Die Mullahs, der Iran und der Westen : Die „Drecksarbeit“ wird scheitern
Diktaturen militärisch zu beenden, kann gelingen, siehe Hitler-Deutschland. Doch alle, die von einem Regime Change im Iran mithilfe des Westens träumen, sollten sich von dieser Hoffnung eher verabschieden.

taz FUTURZWEI | Als Bundeskanzler Merz (CDU) am Rande des G7-Gipfels in den Rocky Mountains das Wort „Drecksarbeit“ aufgriff, da wirkte er plötzlich wie befreit von aller realpolitischen Zurückhaltung.
„Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“, sagte er im ZDF zur Rechtfertigung der Angriffe Israels und der USA auf die Atomanlagen im Iran und mit Verweis auf die verbrecherische Mullahkratie.
Für einen Moment klang das wie die Bereitschaft, aktiv an der Seite der USA am Ausschalten der Atomanlagen und an einem „Regime Change“ im Iran mitzuarbeiten. Es klang so, als wolle der Westen, anders als im Fall der angegriffenen Ukraine, seine politische Macht, seine militärische Kraft geschlossen zur dauerhaften Sicherung Israels und für einen Regime Change und einen Versuch zu einem demokratischen Neuaufbruch im ganzen Nahen Osten einsetzen.
Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
Meine Freunde in Tel Aviv sahen sich und Israel in diesem Moment schon in eine Phalanx des Westens für die globale Durchsetzung demokratischer Herrschaft aufgenommen.
Alles beim Alten
Heute, nur wenige Tage später, ist alles beim Alten. Israel hat etwas Zeit gewonnen, an seiner existentiellen Bedrohung hat sich nichts geändert. Hisbollah, Hamas, Huthi im Jemen sind geschwächt, aber nicht besiegt. Syrien hat Chancen auf einen demokratischen Neuanfang, sicher ist der nicht.
Die Mullahs haben den Krieg mit Israel und den USA gewonnen. Wie es aussieht, ist ihr Atomprogramm intakt geblieben, das nukleare Material und die Zentrifugen zum Ausbrüten des Materials sind an einem unbekannten Ort versteckt, jede Kontrolle durch die internationale Atomenergiebehörde wird eingestellt. Wenn das so ist, wird der Bau der Bombe fortgesetzt.
Die Mullahs gehen jetzt noch härter gegen die noch nicht hingerichteten Regimegegner vor. Trumps Siegesgeschwätz hat sich als Hollywood Appeasement entlarvt, als inszenierte Beschwichtigungspolitik. Die Vorstellung, die Mullahs würden sich in Verhandlungen auf einen freiwilligen, international kontrollierten Verzicht auf ihr Atomprogramm verpflichten lassen, ist Selbstbetrug.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°33: Wer bin ich?
Der Epochenbruch ist nicht mehr auszublenden. Mit ihm stehen die Aufrüstung Deutschlands und Europas im Raum, Kriege, Wohlstandverluste, ausbleibender Klimaschutz. Muss ich jetzt für Dinge sein, gegen die ich immer war?
Mit Aladin El-Mafaalani, Maja Göpel, Wolf Lotter, Natalya Nepomnyashcha, Jette Nietzard, Richard David Precht, Inna Skliarska, Peter Unfried, Daniel-Pascal Zorn und Harald Welzer.
Das heißt: Jede zukünftige israelische Regierung wird wieder vor der Notwendigkeit stehen, aus eigener militärischer Kraft das Atomarsenal des Irans zu vernichten.
Die Einsichten des Bundeskanzlers haben sich als Kraftmeierei erwiesen. Einfluss auf die Zukunft des Nahen Ostens haben die Europäer nicht. Ihre Haltung gegenüber Israel bleibt zweideutig, auch im Gaza-Krieg. Die Hoffnung auf einen Regime Change von außen im Iran ist geplatzt.
Nun muss man sagen, dass ein erfolgreicher Regime Change von außen eine absolute Rarität der Weltgeschichte ist. Aber es gibt zwei Beispiele.
Die Geschichte befragen
Einer ist die Bundesrepublik Deutschland, der andere Japan. Beide wurden nach ihren totalen Niederlagen im II. Weltkrieg zu einem Regime Change gezwungen. Warum war das erfolgreich? Weil die Alliierten das oberste Gesetz jedes Regime Change beachtet haben: „Wer reingeht, muss bleiben“. Muss bleiben, auch wenn es Jahrzehnte braucht, bis der Prozess des Nation Building unter Kuratel in einen selbstbestimmten, demokratischen Pfad mündet.
In Deutschland hat dieser Prozess bis 1990 gedauert. Erst dann wurde der wiedervereinigten Bundesrepublik von den Alliierten durch ihren Abzug die volle Souveränität zugestanden. Nach 1945 haben die alten Funktionseliten nach einer oberflächlichen Entnazifizierung den Staatsaufbau der neuen Bundesrepublik klaglos und unabhängig von ihren individuellen Verstrickungen ins Naziregime übernommen.
Die Aufarbeitung, der von der ganzen Gesellschaft, von jedem Einzelnen zu verantwortenden Verbrechen wurde dafür für Jahrzehnte aufgeschoben. Der „Kalte Krieg“ hat die gleichberechtigte Rückkehr Deutschlands unter die freiheitlichen Nationen des Westens erleichtert. Grund war die von der CDU unter Kanzler Konrad Adenauer zur Staatsdoktrin erhobene Westbindung.
Die Einigkeit der Westalliierten inklusive Bundesrepublik beim Aufbau der NATO als Antwort auf die Bedrohung Russlands ist ein weiterer Baustein für den Erfolg dieses Regime Change gewesen.
Einfach übertragen auf einen System Change im Iran oder anderswo lassen sich diese Erfahrungen freilich nicht. Aber sie weisen auf die Voraussetzungen hin, wenn er nicht nur Chaos oder bloß erneuerte, undemokratische Strukturen zur Folge haben, sondern erfolgreich sein soll.
Zunächst müsste fest vertraglich vereinbart werden, wie und ob die „regelbasierte Ordnung des freien Westens in der aktuellen Unordnung der Welt voller Regelbrecher“ mit allen Mitteln verteidigt und dazu noch weiterverbreitet werden soll. Dann braucht es die USA. Selbst wenn sie als Weltordnungsmacht ausfallen, werden sie für jeden System Change gebraucht.
Ein Gedankenexperiment
Dazu könnte, nur als Gedankenexperiment, der rein defensive Verteidigungsauftrag der NATO oder Teilen von ihr, um den Auftrag ergänzt werden, gemeinsam Regime, wie die Mullahkratie, zu stürzen.
Das wäre dann die „Drecksarbeit“ aller Beteiligten, um Räume hin zu demokratischen Verhältnissen zu öffnen. Von einer solchen Strategie ist der Westen indes weit entfernt.
Die systemische Schwäche der liberalen Demokratien zeigt sich schon darin, dass sie in ihrem Inneren den Herausforderungen von rechtsradikalen, populistischen Parteien hilflos gegenüberstehen. Die Demokratien neigen eher dazu, sich mit den autoritären Regelbrechern überall auf der Welt zu arrangieren, mit ihnen zu kooperieren.
Bittere Wahrheiten
Für Israel und seine letale Bedrohung durch die Mullahs hat dieses Verhalten konkrete Folgen. Was immer der Westen dazu sagt, Israel wird daher seine offensive, auch den Krieg einschließende Strategie zu seiner Existenzsicherung fortsetzen. Und wenn es nötig wird, auch ohne Unterstützung aus dem Westen, den nächsten Schlag gegen das Atomprogramm der Mullahs ausführen.
Die Iraner, die heute von einem System Change mithilfe des Westens träumen, müssen sich von dieser Hoffnung verabschieden. Der Westen wird ihnen weder offiziell noch inoffiziell in ihrem Kampf gegen die Mullahs zu Hilfe eilen.
Im Gegenteil, er wird die Mullahs durch Deals und fragwürdige Abkommen für lange Zeit stabilisieren und das als Friedenspolitik verkaufen. Dass er damit den Autokraten und Regelbrechern überall auf der ganzen Welt freien Raum für ihre aggressiven Ziele einräumt, sich selbst als weltpolitischer Machtfaktor infrage stellt, wird nicht ernst genommen.
Wir leben in einer Zeit, in der Wahrheiten sichtbar werden, die alle sehr bitter sind.
■ Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
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