Die Linke: Das Comeback-Wunder
Noch im Herbst glaubte niemand an einen Wiedereinzug ins Parlament. Jetzt ist die Linke zurück. So hat sie das geschafft.
Vor wenigen Wochen noch totgesagt, wird die Linkspartei nun dem kommenden Bundestag wieder in Fraktionsstärke angehören. Die Menschen auf ihrer Wahlparty in dem prallgefüllten ehemaligen Busdepot an der Spree liegen sich freudestrahlend in den Armen. Van Aken strahlt. „Wunder gibt es immer wieder, sagt man“, sagt der Co-Parteivorsitzende. „Ich sage: Wunder kann man sich erarbeiten!“ Die erstaunliche Renaissance der Linkspartei hatte sich abgezeichnet. Die Wahlveranstaltungen waren überfüllt, die Mitgliederzahl stieg rasant von Woche zu Woche. Ende 2023 hatte die Partei noch rund 50.000 Mitglieder, inzwischen sind es über 90.000.
Es ist ein Comeback, an das selbst Hartgesottene in der Partei bis vor Kurzem nicht mehr geglaubt hatten. Völlig zermürbt von dem selbstzerstörerischen jahrelangen Konflikt mit dem nationalpopulistischen „linkskonservativen“ Flügel um Sahra Wagenknecht, schien nach deren Abgang im Herbst 2023 nur noch ein Trümmerhaufen übriggeblieben zu sein. Noch bis Ende Januar rangierte die Linke in den Umfragen wie eingemauert zwischen 3 und 4 Prozent. Was angesichts der 2,7 Prozent bei der EU-Wahl im Juni 2024 schon geschönt wirkte.
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Die Mission Silberlocke
Nach dem Desaster bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst befand sich die Partei in einem solch elenden Zustand, dass sie nicht einmal mehr die Kraft hatte, sich weiter zu zerstreiten. Das war die Chance von Ines Schwerdtner und Jan van Aken, die Mitte Oktober auf dem Parteitag in Halle an der Saale den Vorsitz übernahmen. Ihr erstes Ziel war es, der entmutigten Linken neue Zuversicht zu geben. Dass der Funken gezündet hat, zeigte der Parteitag Mitte Januar in Berlin. „Es ist so ein Feuer in diesem Laden!“, rief Schwerdtner da in den Saal – und musste nicht mal mehr flunkern.
Ein wichtiger Baustein dafür war, dass sich Mitte November Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch dazu bereit erklärt hatten, die „Mission Silberlocke“ zu starten. Das war einerseits ein Signal vor allem an die älteren Mitglieder im Osten, dass die drei Altvorderen ihre Partei noch nicht aufgegeben hatten. Andererseits ermöglichte die „Mission Silberlocke“ der Parteiführung die Erzählung, dass eine Stimme für die Linke dank der Grundmandatsklausel auch dann nicht verloren wäre, wenn die Partei nicht die Fünfprozenthürde schaffen sollte. Das war psychologisch enorm wichtig, da dadurch bei vielen die Linke überhaupt erst wieder als wählbare Möglichkeit in den Blick geriet.
Zur Strategie der Linken gehörte zudem, sich auf ihr altes Kernthema soziale Gerechtigkeit zu konzentrieren. Mit ihrer Mietwucher-App und ihrem Online-Heizkostencheck gelang es, zu vermitteln, dass es der Partei nicht mehr nur um sich selbst, sondern um die Verbesserung des Lebens aller geht, „die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden“, wie es van Aken formuliert hat.
Der Durchbruch gelang mit dem Tabubruch der Union
Ein richtig kluger Schachzug war es, Heidi Reichinnek, die Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag, neben van Aken zur Spitzenkandidatin zu küren. Damit demonstrierte die Linke, dass die Parteiführung und ihre Vertreter:innen im Bundestag endlich wieder an einem Strang zogen. Vor allem jedoch mobilisierte die 36-Jährige aufgrund ihrer starken Social-Media-Präsenz auf TikTok und Instagram eine jüngere Zielgruppe, die die Partei bis dahin nur unzureichend erreichen konnte.
Der Durchbruch gelang schließlich Ende Januar mit dem Tabubruch der Union, sich gemeinsam mit der FDP, dem BSW und der faschistischen AfD eine Mehrheit im Bundestag gegen Geflüchtete zu suchen. Die wütenden Gegenreden von Reichinnek im Parlament erreichten ein Millionenpublikum. „Gebt nicht auf, sondern wehrt euch“, rief Reichinnek „den Menschen da draußen“ zu, „auf die Barrikaden“. Damit traf die Linke einen Nerv. Von da an ging es auch in den Umfragen bergauf.
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