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Die Berliner SPD und die KoalitionsfrageZwischen Grünen und Giffey

Der Landesvorstand der Berliner SPD hat ihre Spitzen­kandidatin nicht vom Hof gejagt. Am Freitag starten die Sondierungen. Das Dilemma aber bleibt.

Links steht die eine Partei (Giffey), rechts steht Raed Saleh Foto: Fabrizio Bensch

BERLIN taz | Für den Moment haben sie sich wieder zusammengerauft. Personelle Konsequenzen, wie sie einige aus der SPD gefordert hatten, spielten auf der Sitzung des SPD-Landesvorstands am späten Montagnachmittag keine Rolle mehr. Stattdessen einigten sich die knapp 40 Mitglieder des Gremiums auf ein gemeinsames Papier. Darin heißt es: „Wir werden die Einladung der CDU zu Sondierungsgesprächen annehmen, auch sprechen wir mit unseren bisherigen Koalitionspartnern über die mögliche Fortsetzung der Zusammenarbeit.“

Klingt nach Formelkompromiss, ist es auch. Dennoch war die Debatte im wichtigsten Gremium der Berliner SPD nicht ganz so kontrovers wie viele erwartet hatten. Wie Teilnehmer berichten, hatte Giffey gleich zu Beginn der Sitzung, die um 16.30 Uhr startete, eine Art Vorwärtsverteidigung angetreten. „Ich klebe nicht an meinem Posten“, soll sie gesagt haben. Wenn die Partei jemand anders an der Spitze haben wolle, solle man es ihr sagen.

Es hat ihr am Ende keiner gesagt. Nach der Ära Wowereit und Müller gibt es niemanden, der das Format hätte, Giffey als Regierungschefin oder Regierungschef nachzufolgen. Giffey weiß das, auch deshalb kam sie ungeschoren aus der Sitzung. Die Frage, ob Giffey diese Wahl politisch überleben würde, wurde an diesem Montagnachmittag beantwortet: vorerst ja.

Keine Berlin-Partei mehr

Kritik kam trotzdem auf. Schließlich hat die SPD, die im Wahlkampf 2021 noch darauf gesetzt hatte, in den Außenbezirken Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, gerade dort an die CDU verloren. Außerhalb des S-Bahn-Rings ist die Wahlkarte schwarz, in den Innenstadtbezirken größtenteils grün. Die SPD ist nicht mehr die „Berlin-Partei“, als die sie sich gerne sieht. Entsprechend schwankte die Diskussion auf der Vorstandssitzung, wie es hieß, zwischen Durchhalteparolen und grundsätzlicher Kritik.

Kontroversen gab es vor allem darüber, welches Regierungsbündnis angestrebt wird. Giffey selbst schloss in ihrer Rede zu beginn nicht aus, den Anspruch auf das Rote Rathaus aufzugeben und als Juniorpartnerin mit der CDU des Wahlsiegers Kai Wegner zu koalieren. Auch einige Kreisverbände, vor allem die im Osten der Stadt, könnten ihr dabei folgen. Die Mehrheit der Mitglieder im Landesvorstand plädierte dagegen für eine Fortsetzung des Bündnisses mit Grünen und Linkspartei.

Giffey selbst hatte betont, dass sie „Respekt vor dem Wahlergebnis habe“. Deshalb müsse die SPD auch zeigen, dass sie Veränderungen will. Wichtig seien ihr dabei die vier Themen Wohnungsbau, innere Sicherheit, Verwaltung und Verkehr.

Bei Kai Wegner wird sie damit offene Türen einrennen. Noch ist zwar nicht ganz klar, wann genau die Sondierungen mit der SPD beginnen, doch die Positionen von Franziska Giffey und dem CDU-Chef liegen etwa in der Verkehrspolitik nicht weit auseinander. „Mit mir gibt es keine Politik gegen das Auto“, hatte Wegner vor der Wahl in einem Interview gesagt. Beim Kandidatencheck im RBB hatte Giffey wiederum betont: „Ich möchte auch, dass Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, auch in der Innenstadt unterwegs sein können.“ Auch beim Wohnungsbau, der inneren Sicherheit und der Verwaltungsreform gibt es viele Schnittmengen zwischen der CDU und Franziska Giffey. Das gilt erst recht für die Ablehnung eines möglichen Enteignungsgesetzes.

Im Grunde zeigen diese Schnittmengen aber nur, dass die SPD eine gespaltene Partei ist. Anders als Franziska Giffey plädierte im Juni 2022 eine Zweidrittelmehrheit auf einem Landesparteitag gegen den Weiterbau der A100. Eine Mehrheit fand sich auch für das Enteignungsgesetz, so es verfassungskonform wäre. Auch die Verkehrswende findet in den mitgliederstarken Bezirken Mitte, Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf viele Anhängerinnen und Anhänger in der Parteibasis. Ist die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzende in der falschen Partei?

Noch hat sie keiner vom Thron gestoßen. Auf der Sitzung des Landesvorstands hatte niemand die Forderung erhoben, dass Giffey als Landeschefin zurücktreten sollte. Vom Tisch ist die Spaltung damit nicht. Und sie wird auch nicht weg sein, falls sich die SPD entschließt, das rot-grün-rote Bündnis fortzusetzen. Im Grunde wäre das dann sogar ein Viererbündnis: Eine Giffey-SPD, die nach rechts rücken und der CDU wieder Stimmen abjagen will, eine Mehrheits-SPD, die ihrem sozialen und linken Gewissen folgt, eine grüne Partei, die womöglich einen Senatsposten zusätzlich, etwa Stadtentwicklung, verlangt und auf Gleichberechtigung pocht, und eine Linkspartei, für die es, anders als bei SPD und Grünen, keine Alternative zu Rot-Grün-Rot gibt. Die Mehrheit der SPD befände sich in diesem Fall zwischen den Stühlen, vulgo zwischen Grünen und Giffey.

Vor Berlin liegen spannende Sondierungen. Die CDU hat SPD und Grüne bereits zu ersten Gesprächen eingeladen, beide Termine sind für Freitag angesetzt. Ein weiteres Gespräch soll es Anfang kommender Woche geben. Angeführt wird die Delegation der SPD von den beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh.

Der Ausgang dürfte nach wie vor offen sein. Denn für alle drei möglichen Koalitionen gibt es mehr Argumente, die gegen das jeweilige Bündnis sprechen, als dafür: Schwarz-Rot wäre wohl Giffeys Wunsch, könnte aber an der SPD-Basis scheitern, Schwarz-Grün als mögliche Präferenz von Kai Wegner an der Verkehrspolitik und der grünen Basis und Rot-Grün-Rot an den Fliehkräften, die einer Fortsetzung des Bündnisses mehr noch eingeschrieben sind als dem, das gerade abgewählt wurde.

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