piwik no script img

Deutsch­tür­k:in­nen vor der StichwahlDemokratie fördern durch Einbürgern

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Viele frühere Gastarbeiter:innen sind heute eingebürgert. Sie dürfen in der Türkei nicht mehr wählen, aber in Deutschland - und sind meist liberal.

Deutsche und türkische Flagge an einer Moschee in Offenbach Foto: Michael Probst/ap

W erden die Türkinnen und Türken in Deutschland am Sonntag bei der Stichwahl dafür sorgen, dass der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der Macht bleibt? Man könnte es vermuten, schaut man auf das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl: 65 Prozent der sogenannten Deutsch­tür­k:in­nen haben vor knapp zwei Wochen für Erdoğan und seine AKP gestimmt und nur 33 Prozent für seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu.

Sehr zugespitzt könnte man formulieren: Die Deutsch­tür­k:in­nen wählen in der Mehrheit rechtsnational. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die türkische Community hierzulande ist mittlerweile politisch viel diverser, als es das aktuelle Wahlergebnis in der Türkei widerspiegelt – auch wenn es den Rückhalt für den Autokraten Erdoğan durch Deutsch­tür­k:in­nen nach wie vor gibt. Auch das hat Gründe: Jene Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren als Gast­ar­bei­te­r:in­nen nach Deutschland kamen, stammten häufig vom Land und waren stärker als ihre Landsleute aus den Städ­te­n konservativ-traditionell geprägt, religiöser, weniger politisiert. In Köln, Duisburg, Recklinghausen angekommen – das Ruhrgebiet zog vor allem wegen der dort angesiedelten Kohle- und Stahlindustrie –, mussten sie schmerzlich erfahren, dass sie hierzulande gar nicht so willkommen waren, wie ihnen suggeriert worden war. Möglicherweise war es die Kombination aus Traditionalismus und unerfüllter Hoffnung auf ein besseres Leben, die sie konservativ wählen ließ. Diese Haltung wird zudem bis heute von großen Moscheeverbänden wie Ditib und Millî Görüş und ihren wortstarken Chefs gestützt.

Doch vieles hat sich verändert. Von den in den 50er und 60er Jahren angeworbenen Gast­ar­bei­te­r:in­nen sind einige in die Türkei zurückgegangen, von den hier gebliebenen etwa 3 Millionen Frauen, Männern und ihren Kindern ist mittlerweile die Hälfte eingebürgert. Sie dürfen in der Türkei nicht mehr wählen – nun aber in Deutschland. Und sie sind vielfach liberaler, politisierter und urbaner eingestellt und geben vor allem der SPD ihre Stimme.

Ein Grund dafür ist, das ergeben Meinungsumfragen, das Erleben, in Deutschland endlich einigermaßen ernst genommen und mit einer Migrationsbiographie akzeptiert zu werden. Das trifft freilich nicht auf alle Mi­gran­t:in­nen zu und unterscheidet sich auch stark nach der Region, in der die Menschen leben. Doch ein Fazit könnte sein: Wer sich hierzulande eine demokratischere Türkei wünscht, muss Einbürgerung fördern und ermöglichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Kurz zusammengefasst, weil die Autorin das mögliche Ergebnis einer demokratischen Wahl für nicht passend hält, sollen die Türken durch Einbürgerung liberaler werden.

    Ist das Demokratisch oder nicht eher der Versuch der Umerziehung?

  • Ich würde ja genau das Gegenteil aus den Zahlen herauslesen.

    Die nationalistisch orientierten Türken wollen ihre Staatsbürgerschaft behalten, während die Liberalen bereit sind, Deutsche zu werden.

    Möglich ist die Einbürgerung ja.

    Frau Schmollacks Fazit würde dann klingen wie:



    Lasst uns die nationalistischen Türken in Deutschland zu Deutschen machen, damit sie nicht mehr in der Türkei Erdogan wählen dürfen.

    Wäre schräg.

    • @rero:

      Genau das ist aber die Argumentation, mehr ist da nicht. Deutsch werden macht auf magische Weise liberal, oder so.

  • So weit ich weiß, mußten bisher türkische Bürger zur Einbürgerung in Deutschland ihre türkische Staatsbürgerschaft aufgeben. Wer sich bisher nicht hat Einbürgern lassen, tat dies, weil ihm die Verbindung zur Türkei wichtiger ist, als zu dem Land, in dem er lebt. In Zukunft werden dann auch türkische Nationalisten deutsche Staatsbürger und Wähler.

  • HIer argumentiert die Autorin ja nach dem Motto, von hinten durch die Brust ins Auge. Halten wir fest, wer eingebürgert wird, darf in der Türkei nicht mehr wählen (s. Artikel). Wie soll also eine demokratische Türkei durch Einbürgerung gefördert werden. Ich bin für Hinweise dankbar, um diesen Gedankengang nachzuvollziehen.

  • Wie wäre es mit einem vernünftigen Ausländer-Wahlrecht wie in anderen modernen Republiken üblich?

    • @KnorkeM:

      Damit AKP-Ableger es auch hier leichter haben und Erdogan an Einfluss in Deutschland gewinnt?

  • Ganz abgesehen davon, dass Angehörige der 2. und 3. Generation ja problemlos den deutschen Pass beantragen könnten, so sie denn wollten, macht es sich Simone Schmollack hier ein wenig arg einfach. Dass Türkischstämmige mit deutschem Pass "liberaler, politisierter und urbaner" sind, wäre schön, ist aber leider nicht automatisch der Fall:

    "„Die Unterwanderung der deutschen Parteien hat System und das sind keine Einzelfälle“, äußert sich Politikwissenschaftler Burak Copur aus Essen im „deutschlandfunk“. Und verdeutlicht: „Heute finden sich ‚Graue Wölfe‘ größtenteils in den Volksparteien CDU, SPD, aber auch zum Teil in der FDP wieder.“ Der Politikwissenschaftler weist zudem darauf hin, dass der Gründer der türkischen rechtsextremen Partei MHP („Partei der Nationalistischen Bewegung“) und Anführer der faschistischen Grauen Wölfe, Alparslan Türkes, seine Anhänger:innen bereits 1996 dazu aufrief, auch in Deutschland in politische Parteien einzutreten." www.fr.de/politik/...itik-90162225.html

    Es gibt mittlerweile auch aus der türkischstämmigen community genug Stimmen, die immer wieder auf die Virulenz nationalistischen, völkischen, antisemitischen, rassistischen, frauen- und queerfeindlichen Gedankengutes unter Türkischstämmigen hinweisen. Allein die Grauen Wölfe sind mit über 18000 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Gruppierung in Deutschland. Dass diese nun am nächsten Pride-Day vorneweg mit dabei wären, wenn sie nur den deutschen Pass hätten, ist reines Wunschdenken.