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Deutschland und EU gegen RusslandFördern und fordern

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Weicher oder härter auf Putin reagieren ist die falsche Alternative. Gebraucht werden neue Angebote und konkrete Sanktionsankündigungen.

Wie weiter mit Russland? Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock Foto: Michael Kappeler/dpa

W ie steht Olaf Scholz zu Russland? Wissen Sie nicht genau? Das ist nicht verwunderlich. In Pressekonferenzen, im Bundestag bei seiner ersten Regierungserklärung und bei seinem ersten EU-Gipfel am Donnerstag: Prägnante Aussagen vermeidet der neue Kanzler bisher.

In merkelesk verschachtelten Sätzen bekundete er in Brüssel, dass „alle, und wir eben ganz besonders“, sich einig seien, dass ja klar sei, dass auf Grenzverletzungen „entsprechende Reaktionen“ folgten, aber des Weiteren Gespräche im Normandie-Format nötig und erfreulich wären. Das ist so wenig Festlegung wie möglich.

100 Tage Schonfrist gelten für eine neue Regierung gemeinhin. Dass Scholz nicht in den ersten 10 Tagen im Amt mit außenpolitischen Initiativen vorprescht, noch vor dem ersten Telefonat mit Putin und als Novize im Europäischen Rat, ist verständlich. Der Regierungswechsel ist noch ganz frisch, die internationale Lage komplex. Es ist zwar nicht ganz so wie 1998, als Rot-Grün aus den Koalitionsverhandlungen direkt in den Kosovokrieg stolperte.

Der aktuelle Konflikt ist aber auch nicht ohne, er ist vielschichtig. Es gibt neben dem nebulösen Truppenaufmarsch in Russland das zum ungelegensten Zeitpunkt gefallene Urteil zum Tiergartenmord und die allzeit brodelnden Diskussion um Nord Stream 2.

Die Weltpolitik nicht der Bundesnetzagentur überlassen

Freunde und Feinde innerhalb und außerhalb der EU zerren in alle denkbaren Richtungen. Innerhalb der Koalition in Berlin ist der Konflikt auch angelegt: Die Grünen wollen mehr Härte, Scholz’ eigene Partei mehr Nachsicht.

Im Fall der Pipeline haben die Koalitionspartner den Streit notdürftig geparkt. Man wartet die Genehmigungsentscheidung der Behörden ab und hat damit ein paar Monate gewonnen. Auf Dauer kann die neue Regierung die Weltpolitik aber nicht der Bundesnetzagentur überlassen.

Immerhin, wenn man es positiv sehen möchte: Die Ampel könnte ihre Differenzen auch produktiv nutzbar machen. „Grenzen müssen wir setzen, aber auch Auswege aufzeigen“, hat in dieser Woche Rolf Mützenich gesagt. So allgemein formuliert kann dem SPD-Fraktionschef wahrscheinlich selbst Außenministerin Annalena Baer­bock zustimmen. Die beiden stehen in Russlandfragen eigentlich an verschiedenen Enden der koalitionsinternen Bandbreite.

Aber gerade weil die Regierung hier zwei Pole vereint, könnte sie die Dualität von Anreizen und Ansagen schaffen, vielleicht in verteilten Rollen. Es müsste nur gewollt und koordiniert sein und nicht zufällig entstehen, weil man sich auf eine gemeinsame Linie eben nicht einigen konnte.

Baer­bock hat eine toughe Linie angekündigt

Irgendwann müsste die Koalition in dem Fall aber auch klar formulieren, wie ihre Druckmittel aussehen. Und wo der Ausweg sein soll. Bisher ist das nur in Ansätzen erkennbar. Im Außenministerium hat Baer­bock zwar eine toughe Linie angekündigt. Die erste Maßnahme – die Ausweisung zweier Diplomaten wegen des Urteils im Tiergartenmord-Prozess – hätte so aber auch von ihrem Vorgänger Heiko Maas kommen können. Darunter ging es schon aus Gründen der diplomatischen Selbstachtung nicht.

Hinsichtlich der Ukraine hat der Europäische Rat mit deutscher Unterstützung nur allgemein Sanktionen angedroht, sollte Russland einen offenen Krieg wagen. Konkrete Strafmaßnahmen hat er nicht aufgezeigt. Der Kreml kann daraus schließen, dass die EU zu schwach und gespalten ist, um kollektiv Strafen anzudrohen.

Benötigt wird etwas Großes, so wie die Helsinki-Konferenz in den 1970er Jahren

Auf der anderen Seite hat die Ampel für Russland aber auch noch keinen reizvollen Ausweg im Angebot. Scholz’ Angebot neuer Normandie-Gespräche ist schön und gut, ist aus russischer Sicht aber keine gravierende Veränderung des Status quo. Warum keinen größeren Wurf?

Anfang Dezember haben ehemalige deutsche Botschafter und Generäle einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie größere Schritte der Entspannung vorschlagen. Sie regen zuvorderst eine Konferenz über eine neue europäische Sicherheitsarchitektur an, analog zur Helsinki-Konferenz, die in den 1970er Jahren die Gründung der späteren OSZE einleitete.

Zugegeben: Für die ersten 10 Tage im Amt wäre so ein Vorschlag zu viel des Guten gewesen. 2022 aber muss mehr kommen. Und Prägnanteres als Scholz’ Schachtelsätze.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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7 Kommentare

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  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "Fördern und fordern"

    Wie gemein, ausgerechnet der Spruch des ehemaligen Kanzlers Schröder.



    Hat schon damals nicht funktioniert.

  • RU und auch CN verstehen nur harte wirtschaftliche Maßnahmen, bei weiteren "Merkelschen Aktionen"



    werden wir uns weiter im Kreis drehen wie bei Schröder und Merkel...

  • Ooh mein gott! Mit 'putinbashing' und androhungen von sanktionen gegen russland..



    "nur", weil russland sich 'bedroht' fühlt durch die invasive art... von EU und USA&NATO an der russischen westgrenze(incl. Ukraine) und panik ähnlich reagiert (Krim und Donbass..)...



    .. Warum nicht den vorschlag einer art demilitarisierten zone, vom baltikum bis zum schwarzen meer akzeptieren?



    Es gilt doch, krieg zu verhindern und einen Frieden-mit kommunikation, Handel und Kulturaustausch, respekt zu entwickeln?



    politische empathielosigkeit passt doch nicht in die Welt von heute?

  • Journalistische Psychopatholgien

    Zitat: „Deutschland und EU gegen Russland: Fördern und fordern.“

    Zur Charakterisierung der Rußlandpolitik Diskursfiguren aus der Agenda-2010-Revolution zu verwenden, wie sie das paternalistische Abhängigkeitsverhältnis der Arbeitslosen zum gnädig gewährenden Staat beschreiben, ist ein sprachpsychologisch tief blickender Lapsus linguae feinster Güte, also ein Freud‘scher Versprecher. Dieses in dessen Werk "Zur Psychopathologie des Alltagslebens" beschriebene Phänomen müßte also durch eine Psychopatholgie des Journalismus präzisiert werden. Leider ist von einem neuen Karl Kraus weit und breit keine Spur.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Wie steht Olaf Scholz zu Russland?""



    ==



    1.. die von Außenministerin Baerbock angeordnete Ausweisung von zwei russischen Diplomaten wegen des sogenannten Tiergartenmords findet er völlig richtig.

    2..Den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze hält er für besorgniserregend.

    3. Scholz, Originalton: "Deshalb werden wir hier heute noch einmal betonen, dass die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa ist und wir gemeinsam alles dafür tun werden, dass es bei dieser Unverletzbarkeit auch bleibt."

    4..Die Sanktionen gegen Russland haben die Staats- und Regierungschefs der EU verlängert. (Also auch Olaf Scholz in seiner Eigenschaft als Kanzler der Bundesrepublik)

    5..Scholz hat sich dagegen ausgesprochen, die Betriebserlaubnis für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 mit den Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise zu verknüpfen.

    6.. Die EU hat Russland auf ihrem Gipfel für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine geschlossen mit Vergeltung gedroht. In einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs heißt es, Russland müsse dringend die Spannungen entschärfen, die durch den Aufmarsch von Truppen an der Grenze zur Ukraine und aggressive Rhetorik entstanden seien. Jede weitere militärische Aggression werde "massive Konsequenzen und hohe Kosten" zur Folge haben.

    ""geschlossen"" bedeutet: (Also auch Olaf Scholz in seiner Eigenschaft als Kanzler der Bundesrepublik & Vollmitglied der EU)

    Übersetzung: a..Welche genauen Sanktionen folgen werden, wenn Putin weiterhin militärisch eskaliert, bleiben bei Scholz und bei der EU um Dunkeln. Das ist auch richtig so damit Russland sich nicht auf die Sanktionen vorbereiten kann, die dann folgen werden.

    b..Der Dissenz innerhalb der Ampel und innerhalb der EU mit der SPD oder dem Kanzler bleibt NS2. Scholz will NS2 im Spiel halten - unabhängig von der Ukraine.

  • Ich möchte wieder einen verantwortlichen Politiker haben, der sich nicht hinter EU-Gremien versteckt. Einen der mit sich mit seinen Leuten im AA, die Jahrzehnte Erfahrung haben zusammensetzt und einen Plan macht. Sich ohne diese bekannt zu machen, in ein Flugzeug nach Moskau setzt und mit persönlicher Überzeugung ein Problem löst. Ich will Hans-Dietrich Genscher wieder haben.

    • @Albrecht Mayer:

      Tja, leider ist die Lage heutzutage deutlich komplexer als zu Zeiten von Kaltem Krieg und festgefügten Blöcken. Es läuft wohl eher darauf hinaus: je grösser und mächtiger einer (odern ein Verbund) ist, desto eher kann er seine Interessen verfolgen/durchsetzen. Da ist die EU gar keine schlechte Idee. Auch wenn nicht alles so gut funktioniert, wie es viele gerne hätten.