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Deutscher Ethikrat ist arbeitsunfähigAmpel hat keine Zeit für Ethik

Weil die Bundesregierung keine neuen Kan­di­da­tIn­nen vorschlägt, ist der Deutsche Ethikrat seit Monaten unvollständig. Die Geduld ist nun erschöpft.

Judith Simon ist seit 2018 Mitglied des Ethikrates Foto: Stefan Boness/ipon

Berlin taz | Die Hängepartie um den Deutschen Ethikrat geht weiter. Seit Ende April ist die Amtszeit von zwanzig Mitgliedern abgelaufen, darunter auch die der ehemaligen Vorsitzenden Alena Buyx. Aktuell besteht der Ethikrat deshalb nur noch aus vier Mitgliedern und ist dementsprechend kaum arbeitsfähig. Der Unmut bei den verbleibenden Mitgliedern steigt. Nun fordern sie die Bundesregierung zum Handeln auf. Denn die hätte ihre Vorschläge für neue Mitglieder des Ethikrates schon vor Monaten einreichen sollen.

„Es ist ärgerlich und nicht nachvollziehbar, warum das so lange dauert, die Ratsperioden sind ja bekannt und in den Vorjahren gab es keine Probleme“, sagt Judith Simon, Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg. Seit 2018 ist sie Mitglied des Ethikrates. Das Gremium berät die Politik in gesellschaftspolitischen Fragen und entwickelte etwa während der Corona-Pandemie Kriterien für eine Impfpflicht.

Dass der Ethikrat seit Wochen größtenteils arbeitsunfähig ist, liegt daran, dass die Bundesregierung es versäumt hat, Mitglieder rechtzeitig zu berufen. Die eigentlich 26 Mitglieder des Ethikrates werden je zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Bundestag vorgeschlagen und anschließend von der Bundestagspräsidentin für vier Jahre berufen. Die Amtszeit der Mitglieder beträgt maximal zwei Ratsperioden, also acht Jahre.

Der Deutsche Bundestag hat seine elf­ Kan­di­da­t:in­nen Ende April im Plenum beschlossen. Weil die von der Regierung benannten Neumitglieder feststehen müssen, konnten die vom Parlament gewählten Personen ihr Amt bisher nicht antreten. In der Folge finden seit Mai keine Sitzungen des Ethikrates statt.

Einmalig in der Geschichte des Rates

Das hat es in der Geschichte des Rates, der in seiner jetzigen Form seit 2008 existiert, noch nie gegeben. Bundestag und Bundesregierung hätten die Benennung der neuen Ratsmitglieder bislang immer rechtzeitig vorgenommen, sagt der Geschäftsführer des Ethikrates Joachim Vetter.

Simon findet es schade, dass „die Zeit ungenutzt abläuft für uns im Rat und jene, die neu berufen werden sollen.“ Ihr zufolge gibt es viele Nachfragen zu Publikationen wie Künstlicher Intelligenz oder Klimagerechtigkeit. Auch die letzte Tagung im Juni zum Thema Einsamkeit sei auf ein großes Interesse gestoßen.

„Wir vier Mitglieder übernehmen Funktionen des Ethikrates, doch an neuen Themen können wir in der jetzigen Form nicht arbeiten“, sagt Simon. Mark Schweda, ebenfalls Ethikratsmitglied, ergänzt: „Wir wollen die Arbeit wieder aufnehmen und unseren gesetzlichen Auftrag erfüllen.“

Auch Frauke Rostalski findet die aktuelle Situation ärgerlich. Die Strafrechtsprofessorin wurde von der FDP-Fraktion im Bundestag vorgeschlagen und anschließend vom Parlament gewählt, ist aber mangels Vorschlägen der Bundesregierung nur teilberufen für den Ethikrat – eine bislang einmalige Situation.

Wann der Rat endlich tagen kann: unklar

„Es ist für mich nicht nachvollziehbar und wird auch nicht transparent gemacht, was den Prozess der Benennung des neuen Rates seit so vielen Monaten aufhält“, sagt Rostalski. „Das ist misslich, weil uns Zeit verloren geht, in der wir uns wichtigen aktuellen Fragen widmen könnten.“ Sie wünscht sich, dass die Bundesregierung zeitnah über ihre Liste beschließt – „und wenn sie dies nicht tut, dann wäre es zumindest fair, offen zu kommunizieren, woran es liegt.“

Wann die Bundesregierung ihre Vorschläge einreicht, ist immer noch unklar. „Die Besetzungsvorschläge der Bundesregierung werden derzeit zwischen den Bundesressorts abgestimmt“, sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der taz.

Die konstituierende Sitzung für Oktober könnte auch ausfallen, wenn die Bundesregierung am kommenden Mittwoch keine Vorschläge für den Ethikrat einreicht. Das Gremium, das außerdem immer noch kei­ne:n Vor­sit­zen­de:n hat, bleibt weiter arbeitsunfähig.

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33 Kommentare

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  • Die Ethik ist ein scheues Reh.



    Sie hält sich nicht im Portemonnaie.



    de.wikipedia.org/w...Deutscher_Ethikrat

  • Danke für den informativen Artikel!

    Und jetzt aber bitte Leute



    an die Tastaturen setzen

    und an die zuständigen Ministerien und Behörden, Parteien



    eine E-Mail schicken

    und um Antwort bitten



    und 'In- die- Pötte-kommen' einfordern.

    Adressen sind alle bei Google zu finden.

  • Unglaublich.

    Früher haben wir noch zu Philosophen aufgeblickt. Kant, Voltaire, Schopenhauer und wie sie alle hießen. Im 21. Jahrhundert würden solche Personen im Ethikrat sitzen, denn heutzutage gibt es keine klassischen Philosophen mehr, deren Weisheiten als Kalendersprüche in der Gesellschaft akzeptiert sind. Wenn der/die das sagte, musste das auch stimmen, und nicht wenige hielten sich daran.

    Heute wird der Ethikrat belächelt. Kann man machen, ich finde das aber schade. Der Ethikrat ist schließlich eine Instanz für Menschenrechte.

  • Wer ein eigenes Gewissen hat, braucht keinen Ethikrat. Kann weg.

    • @Alterchen:

      Stimmt, wer Probleme mit dem eigenen Gewissen hat, ist im Beichtstuhl besser aufgehoben, da wäre ein mit einer zweistelligen Anzahl von Wissenschaftlern besetztes Gremium etwas überdimesioniert.

      Dagegen wäre der Seelsorger mit Fragen die Organspende, KI, Tierhaltung, Klimagerechtigkeit ..... betreffend vermutlich überfordert bzw. der Seelentrösterchor würde kein Gehör finden.

  • Das Kommentariat scheint genausowenig Lust auf, wie die Ampel Zeit für, die Ethik hat.

  • Der Ethikrat kann nicht arbeiten und keiner hat's gemerkt.

    Alena Buyx ist einmal in irgendeiner Talkshow in schallendes Gelächter ausgebrochen, als sie gefragt wurde, wie viele Wochen der Rat für Entscheidungen brauchen würde.

    Wochen, sagte sie dann, das dauert Monate.

    Ethik macht wohl viel Arbeit.

    • @Jim Hawkins:

      Richtig, es ist anstrengend aber erfolgreich, ein Beispiel:



      /



      "Entscheiden!



      Ethikberatung hilft in schwierigen Entscheidungssituationen die Überzeugungen aller Beteiligten einzubeziehen.



      Menschen mit unterschiedlichen Moralvorstellungen sind beteiligt. Mitarbeitende, Betroffene und Angehörige haben verschiedene Vorstellungen, was richtig und gut und wie in einer bestimmten Situation zu handeln ist.



      Ethik stellt Regeln und Instrumente zur Verfügung, damit Entscheidungen möglichst im Konsens, transparent und gut begründet getroffen werden."



      Quelle



      www.joho-dortmund....ere-qualitaet.html



      /



      In der Pandemie waren die ethischen Leitplanken sehr hilfreich, im Alltag gibt es unglaublich viele Beispiele für ein ethisches Dilemma.

  • Ein Schelm wer böses denkt, Zustände wie in den USA unter Trump.

    • @Sanni:

      Weil der Ethikrat fehlt?



      Kommen Sie, dass können Sie besser.

  • "Die konstituierende Sitzung für Oktober könnte auch ausfallen, wenn die Bundesregierung am kommenden Mittwoch keine Vorschläge für den Ethikrat einreicht. Das Gremium, das außerdem immer noch kei­ne:n Vor­sit­zen­de:n hat, bleibt weiter arbeitsunfähig."



    Fahrlässigkeit und Ignoranz im Umgang mit Themen dieser Bedeutung, das macht schon gewissermaßen fassungslos, als ob es eine Abwertung sei und Ethik ein Feigenblatt der Politik wäre. Im Land der Dichter und Denker sind helle Köpfe mehr denn je gefragt.

  • Hat mal jemand den effektiven Nutzen dieses Gremiums ermittelt. Bis 2008 sind wir immerhin auch wunderbar ohne ausgekommen. Ein Gremium, wie maßgeschneidert, um politische Verantwortlichkeit zu delegieren.

    Aber in Summe so nützlich wie ein Baum in der Einfahrt.

    • @insLot:

      Vielleicht schauen Sie doch etwas genauer hin, weil die im Gesundheitswesen Tätigen oft sehr genau abwägen, wie u. wo mit welchen Mitteln geholfen wird. In Krankenhäusern gibt es Ethikforen u. Ethikvisisten.



      Es würde mich freuen zu hören, dass Sie ihre Angehörigen auch gerne in die Obhut von Pflegenden u. Ärztinnen/Ärzten geben, die sich für ethische Zusammenhänge interessieren oder darin engagieren.



      Quelle



      aerzteblatt.de



      "Berlin – Die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, hält einen Teil der Kritik an den staatlichen Maßnahmen gegen die Coronapandemie für unredlich. Sie persönlich habe „kein Problem damit, um Entschuldigung zu bitten dafür, dass wir vom Ethikrat die Jungen nicht genug in den Fokus genommen haben“, sagt Buyx Zeit online in einem Interview. Gleichzeitig beobachte sie ein unstillbares Bedürfnis, nach Schuldigen zu suchen."



      bei evangelisch.de



      "Die Kölner Juristin Frauke Rostalski, Mitglied des Deutschen Ethikrats, hat sich strikt gegen eine Streichung des Schwangerschaftsabbruchs-Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch gewandt. „Den Staat trifft eine Schutzpflicht auch gegenüber dem ungeborenen Leben“, schreibt Rostalski in einem Kommentar im „Kölner Stadt-Anzeiger"❗

  • Eigentlich ist dieses Verhalten der Regierung unverständlich.



    Jetzt haben sie noch die Möglichkeit Personen ihrer Couleur für die nächsten 4 Jahre zu bestimmen.



    In einem Monat könnte das schon ganz anders aussehen.

    • @Ramaz:

      Welcher Couleur?



      Schon mal überlegt das die Regierungsparteien , komplett unterschiedliche Ansicht im Bereich Ethik haben könnten?

  • Meines Wissens braucht keine andere Demokratie einen "Ethikrat." Und auch unsere Demokratie nicht. Mal ehrlich - was hat dieses Gremium erreicht? Ist deutsche Politik seit seiner Gründung ethischer geworden? Strahlt der Ethikrat in die Gesellschaft hinein?

    • @Suryo:

      Bei lobbycontrol.de



      "Neu beschlossenes EU-Ethikgremium: Eine verpasste Chance!



      Nach jahrelangen Debatten mit der EU-Kommission hat das EU-Parlament heute ein Ethikgremium verabschiedet. Das aus Vertreter:innen der sieben beteiligten Institutionen* und fünf unabhängigen Expert:innen zusammengesetzte Gremium soll bei der Erarbeitung von Ethikstandards mithelfen. Es hat jedoch keine Möglichkeit, die Einhaltung von Ethikregeln eigenständig zu kontrollieren oder diese durchzusetzen."



      Das muss aber nicht so bleiben❗

    • @Suryo:

      Sie machten also nicht mit, wenn Sie gefragt würden?

      • @Martin Rees:

        Ich behaupte, dass Ethik nichts ist, was erst von einem Gremium erarbeitet werden muss.

        • @Suryo:

          Doch, muss sie, zu Transformation, KI, Transplantation, Leben und Sterben, Technik u.v.m.



          /



          www.h-brs.de/de/ze...der-transformation



          Der Wandel der Ethik ist evident, ein aktuelles Beispiel: Strafverfolgung und Migrationsdebatte.

          • @Martin Rees:

            Nein, es ist ein gut bezahlter Debattierklub, der sich z.B aus der Technik, KI bitte raushalten soll.



            Wir leben nicht mehr in den 80ern.

          • @Martin Rees:

            Ethik kann man nicht in einem staatlich bestellten Gremium erarbeiten und dann verordnen.

            Die ethische Richtschnur ihres Handelns müssen Abgeordnete und Regierungsmitglieder schon selbst mitbringen.

            Ansonsten: okay, gut, Ethikrat. Aber dann richtig, mit Vetorecht und quasi diktatorischen Vollmachten. Ist vermutlich aber auch wieder nicht recht.

  • Ja, ich habe die aktuelle Regierung mit gewählt.

    Leider muss ich immer mehr feststellen, dass diese Regierung tatsächlich handwerklich sehr schlecht arbeitet.

    Das ist eine große Enttäuschung.

    Trotzdem werden ich nicht AfD oder BSW wählen.

  • 6G
    611245 (Profil gelöscht)

    Sollte dieses Gremium morgen aufgelöst werden, keine/r würde es merken.

    • @611245 (Profil gelöscht):

      Dito.

      Der Deutsche Ethikrat ist ein angeblich unabhängiges Gremium, von Gnaden der Bundesregierung und des Bundestages, die jeweils die Hälfte der Mitglieder vorschlagen. Wer von Anfang an von der richtigen Seite bestellt wird, kann in seinen ethischen Urteilen gar nicht mehr irren. Der Deutsche Ethikrat ist so überflüssig, dass seine Abschaffung gewissermaßen ein Gebot jeder einzelnen Stunde ist. Er ist nur ein weiterer Schlag ins Gesicht demokratischer Meinungsvielfalt, die in einer auf mehrheitsfähigem Konsens gebürsteten Politik und Medienlandschaft ein seltenes Pflänzchen ist.

    • @611245 (Profil gelöscht):

      Gut gepopulistet!

    • @611245 (Profil gelöscht):

      So sieht es aus. Das die Besetzung gerade hakt ist ärgerlich, aber es gibt weitaus wichtigere Dinge um die sich die Regierung kümmern muss, Stichwort Kontrolle der Migration und Bewältigung der Wirtschaftskrise.

      • @Phili:

        Zitat "es gibt weitaus wichtigere Dinge um die sich die Regierung kümmern muss, Stichwort Kontrolle der Migration ..."

        Da sitzt der Hase im Pfeffer:

        Die Kontrolle der Migration soll außer Kontrolle stattfinden - dass da bloß kein Ethikrat nützliche Tipps gibt, das alles wohlkontolliert verfassungskonform zu managen und zu gestalten! Lieber will Olaf Scholz vor dem Verfassungsgericht scheitern. Was für ein Masochist.

  • Der Deutsche Ethikrat wurde am 11. April 2008 gegründet. Er ersetzte den Nationalen Ethikrat, der von der damaligen Bundesregierung im Jahr 2001 ins Leben gerufen worden war.



    Vorher gab es so etwas nicht. Man kann nicht sagen, dass es Deutschland vorher ausgesprochen schlecht ging.



    Vor allem während der Corona-Pandemie hat sich der Ethikrat auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

    Der Ethikrat ist letztendlich ein Beispiel eines immer weiter ausufernden Staates mit immer weiter ausufernden Kostenstrukturen.



    Entscheidend wird sein, wie wir den Staat wieder auf seine Kernfunktionen zurückführen können und ihn entschlacken können.



    Die Abschaffung des Ethikrates wäre dabei ein erster sehr guter Schritt.

    • @Andere Meinung:

      Auch wenn "Andere Meinung" das schon für uns beide sagt, ich habe dazu echt eine andere Meinung, wie auch zu den immer wieder hinterfragten Bundesbeauftragten, die ich hier wertschätzen möchte.



      www.ethikrat.org/p...lle-publikationen/



      Die Arbeit braucht mehr Unterstützer:innen, in der Breite mehr Akzeptanz und in der Wirkung mehr Resonanz.



      Die Ethik-Arbeit ist auch mit kleinerer Wirkung lokal nicht zu unterschätzen im Bereich der Zivilgesellschaft und der Versorgung hilfsbedürftiger Menschen.



      Neue Aufgabe nach der Legislative: Das "Gesundheitssicherstellungsgesetz", ein komplexes Thema für Ethik.



      Bei aerztezeitung.de stand



      "Vorbereitung auf Konflikte und Katastrophen



      Regierung will Gesundheitssicherstellungsgesetz: Genaue Inhalte sind noch unklar



      Die Regierung hat es damit eilig, das Gesundheitswesen für Katastrophen und militärische Konflikte fit zu machen. Bis zur nächsten Bundestagswahl 2025 soll es möglichst ein Gesetz geben."



      Das ist Grundlage einer Diskussion um Krieg und Frieden.