Deutsche Waffenlieferungen an Israel: „Ausfuhrgenehmigungen stoppen“
Die Menschenrechtsorganisation ECCHR will Deutschland juristisch daran hindern, Waffen an Israel zu liefern. Grund ist die Art der Kriegsführung in Gaza.
taz: Herr Schwarz, wie ist die Idee entstanden, gegen die Lieferung deutscher Waffen an Israel vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu klagen?
ist stellvertretender Programmleiter beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Des Zentrum hat Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht, mit dem Ziel, die von der Bundesregierung erteilten Exportgenehmigungen für Waffenlieferungen nach Israel aufzuheben. Unterstützt wird der 2007 in Berlin gegründete Verein in dem Fall von dem Palestinian Center for Human Rights (PCHR) in Gaza, dem Al Mezan Center for Human Rights in Gaza und der Menschenrechtsorganisation Al Haq aus Ramallah.Die Klage reicht das ECCHR auch im Namen von fünf im Gazastreifen lebenden Palästinensern ein, deren Familienangehörige bei israelischen Raketenangriffen getötet wurden.
Alexander Schwarz: Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen steht im Zentrum unserer Arbeit als Menschenrechtsorganisation. Dazu gehört, grundlegende Rechtsprinzipien, wie die Achtung des humanitären Völkerrechts, juristisch zu verteidigen. Auch arbeiten wir bereits seit mehreren Jahren gegen Rüstungsexporte und haben wiederholt juristische Interventionen gegen Waffenexporte nach Saudi-Arabien unternommen. Hinzu kommt, dass unsere Organisation seit Jahren mit palästinensischen Partnerorganisationen im Westjordanland und in Gaza kooperiert. Viele unserer palästinensischen Kolleg:innen in Gaza haben Familienangehörige und Freunde durch die israelische Kriegsführung verloren, darunter viele Kinder. Nach den brutalen Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober und den israelischen Reaktionen wurde für uns deshalb schnell deutlich, dass die Einhaltung des internationalen Rechts im Gazakrieg juristisch verteidigt werden muss. Es ist eben doch sehr offenkundig, dass die israelische Armee in Gaza gegen humanitäres Völkerrecht verstößt. Wir erheben die Klage deshalb im Namen von fünf betroffenen Palästinensern, die gegenwärtig in Rafah ausharren, bereits aber mehrfach vertrieben wurden und aktuell um ihr Leben bangen. Uns geht es dabei allein um die Art und Weise, wie Israel diesen Krieg in Gaza führt. Das betrifft weder das Selbstverteidigungsrecht noch das Existenzrecht des Staates Israel.
Was werfen Sie der Bundesregierung in Ihrer Klage juristisch vor?
Wir berufen uns in unserer Klage auf das Kriegswaffenkontrollgesetz. Danach ist eine Ausfuhrgenehmigung von Kriegswaffen zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Bundesrepublik durch die Genehmigung gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. Deutschland ist in Hinblick auf Rüstungsexporte europäische und internationale Verpflichtungen eingegangen, die wir im Falle von Kriegswaffenexporten nach Israel als verletzt ansehen. Konkret sehen wir Verstöße gegen den Waffenhandelsvertrag, die Genfer Konventionen von 1949 aber auch gegen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention. Im Kern geht es um die Art und Weise der israelischen Kriegsführung. So sieht der internationale Waffenhandelsvertrag vor, dass ein Rüstungsgut nicht exportiert werden darf, wenn ein überwiegendes Risiko besteht, dass damit schwere Verletzungen gegen humanitären Völkerrechts begangen werden. Nach unseren Erkenntnissen, gibt es klare Anhaltspunkte dafür, dass die israelische Armee in Gaza schwere Verletzungen gegen humanitäres Völkerrecht und sogar Kriegsverbrechen begeht. Das Kriegswaffenkontrollgesetz funktioniert bei Verstößen wie ein Riegel, den wir jetzt aktivieren wollen. Wir haben deshalb im Wege des Eilrechtsschutzes beantragt, die Ausfuhrgenehmigungen der Bundesregierung zu stoppen.
Im Fall der Klage Nicaraguas gegen die Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel, argumentieren die deutschen Vertreter, man liefere nur defensive Waffen und überprüfe deren Einsatz.
Tatsächlich hat der deutsche Vertreter vor dem Internationalen Gerichtshof argumentiert, dass die Bundesregierung seit Oktober nur vier Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen nach Israel erteilt habe. Von diesen Lieferungen sind insbesondere 3.000 genehmigte Panzerfäuste für unsere Klage relevant. Die Panzerfäuste sind für den Einsatz in Gaza bestimmt und stammen aus deutscher Produktion. Allerdings kann bei Panzerfäusten nicht von Defensivwaffen gesprochen werden. Trotz der Bezeichnung als Panzerabwehrwaffen handelt es sich bei Panzerfäusten um einen Waffentyp, der in ganz verschiedenen Situationen eingesetzt wird, wie etwa im Bodenkrieg, in städtischen Gebieten oder bei Angriffen auf Gebäude und Infrastruktur. Wir tragen in unserer Klage deshalb vor, dass Panzerfäuste desselben Typs, wie diejenigen aus deutscher Produktion, durch die israelische Armee bei mutmaßlich völkerrechtswidrigen Angriffen zum Einsatz kommen. Als Beleg hierfür haben wir unter anderem durch soziale Medien verbreitete Videoclips zusammengestellt, welche die Verwendung dieser Waffen durch die israelischen Streitkräfte in Gaza zeigen.
Die israelische Armeeführung sagt, dass die Zahl der bei den Kämpfen getöteten Zivilisten im Vergleich zu anderen Kämpfen im urbanen Umfeld, so wie der Vertreibung des Islamischen Staates aus der irakischen Stadt Mossul, gering sei.
Wir sehen ein ganz anderes Lagebild, bestätigt von Menschenrechtsorganisationen und Berichten von Organen der Vereinten Nationen. 70 bis 80 Prozent aller Gebäude im Gaza-Streifen wurden zerstört oder beschädigt. Dabei handelt es sich nach unseren Erkenntnissen in den meisten Fällen um zivile Gebäude, darunter Krankenhäuser, Schulen, Moscheen, Nahrungsproduktionsstätten und zivile Versorgungsanlagen. Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte, auf dessen Berichte wir in unserer Klage verweisen, hat gleich mehrere Bombardierungen durch die israelischen Streitkräfte dokumentiert, durch die mehrstöckige Gebäude vollständig zerstört wurden, wobei in mehreren Fällen durch einen einzigen Angriff mehr als hundert Zivilisten getötet wurden. Hinzu kommt, dass dabei nach unseren Recherchen kein militärisches Ziel ersichtlich war. Auch macht die Tatsache, dass sich unter einem Wohngebäude ein Hamas-Tunnel befindet, das Wohngebäude nicht automatisch zu einem legitimen militärischen Ziel. Vielmehr muss geprüft werden, ob das untertunnelte Gebäude aufgrund seiner Zweckbestimmung oder seiner konkreten Verwendung überhaupt wirksam zu militärischen Handlungen beiträgt. Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Steht also beim Beschuss eines militärischen Ziels die unvermeidbare Inkaufnahme ziviler Opfer nicht im Verhältnis zu einem militärischen Vorteil, muss der Kampfeinsatz unterbleiben. Wir sehen durch die Art und Weise der israelischen Kriegsführung gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass diese Regeln systematisch missachtet werden und die israelische Armeeführung offenkundig bereit ist, hohe zivile Opferzahlen in Kauf zu nehmen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: dass Israel grundsätzlich das Recht hat, sich gegen Angriffe zu verteidigen, steht außer Frage. Dieses Recht darf jedoch nicht zur Rechtfertigung von Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht, quasi als Blankoscheck, herhalten. Völkerrechtlich handelt es sich beim Selbstverteidigungsrecht um das „Ob“ eines Krieges, hinsichtlich der Kriegshandlungen jedoch um das „Wie“. Beide Rechtsbereiche sind strikt zu trennen. Damit ist aber auch klargestellt, dass gezielte Tötungen von Zivilisten, die unverhältnismäßige Inkaufnahme von zivilen Opfern und wahllose Eigentumszerstörungen oder das Aushungern der Bevölkerung vom Recht auf Selbstverteidigung nicht umfasst werden.
Müssen deutsche Politiker damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden?
Nein. Bei unserer Klage handelt es sich um eine verwaltungsrechtliche Klage, die darauf abzielt, die erteilten Ausfuhrgenehmigungen von Kriegswaffen aufzuheben. Sollte die Klage Erfolg haben, hätte dies zur Folge, dass noch nicht erfolgte Lieferungen von Kriegswaffen, die unter diese Genehmigung fallen, von Deutschland nicht weiter ausgeliefert werden dürften. Es geht bei unserer Klage also nicht um die individuelle Verantwortlichkeit einzelner Personen oder Akteure.
Müssen die Kriegsverbrechen nicht wie im Falle des Krieges in Ex-Jugoslawien strafrechtlich aufgearbeitet werden?
Strafrechtlich könnten diejenigen Personen zur Verantwortung gezogen werden, die in Israel und Gaza Kriegsverbrechen oder andere Völkerstraftaten begehen, solche anordnen oder Beihilfe leisten. Das gilt für Angehörige der israelischen Streitkräfte ebenso wir für Kämpfer der Hamas. Wenn es die deutsche Strafjustiz mit dem Versprechen des Völkerstrafrechts ernst meint, sollten umgehend Ermittlungen auf Grundlage des deutschen Völkerstrafgesetzbuches erfolgen. Unsere Organisation hat deshalb bereits im letzten Dezember die Bundesanwaltschaft öffentlich dazu aufgefordert, sowohl die Tötung der deutsch-palästinensischen Familie Abujadallah aus Gaza als auch die Tötung der Deutsch-Israelin Shani Louk als Kriegsverbrechen zu untersuchen. Bislang hat die Bundesanwaltschaft allerdings verlautbaren lassen, dass sie keine Anhaltspunkte für die Begehung von Völkerstraftaten sieht. Eine Entscheidung, die sich, zumindest juristisch, nicht nachvollziehen lässt. Schließlich ist die Bundesanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, jedem Anfangsverdacht einer Straftat nachzugehen. Und natürlich dürfen Entscheidungen über eine Strafverfolgung nicht von politischen Folgen abhängig gemacht werden, auch bei entgegenstehender Staatsraison. Gleichzeitig sollte man sich bereits an den Gedanken gewöhnen, dass nicht nur Kämpfer der Hamas, sondern in nicht allzu ferner Zukunft auch israelische Soldaten und Befehlshaber Gegenstand von Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag sein dürften. Dort werden gerade aktiv Ermittlungen in beide Richtungen geführt, Beweise gesammelt und Zeugen angehört. Das Weltstrafgericht ist dem Anspruch der Universalität in besonderer Weise verpflichtet und wird sich hoffentlich nicht von politischer Opportunität leiten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung