Deutsche Politik in der Sahelzone: Wo Kritik unerwünscht ist
Kann Deutschland in der Sahelzone aus dem Schatten Frankreichs treten? Tschads Ausweisung des deutschen Botschafters wirft schwierige Fragen auf.
G ordon Kricke ist zurück in Berlin. Der deutsche Botschafter in Tschad wurde am Freitag hinausgeworfen, am Samstag nahm er den Nachtflug nach Paris. Dass eine befreundete Regierung einen Botschafter schriftlich zum Verlassen des Landes innerhalb von 48 Stunden auffordert, ohne ihn auch nur einbestellt zu haben, ist mehr als ein Affront. Es wirft grundsätzliche Fragen zur europäischen Politik in der afrikanischen Sahelzone auf, und diese Fragen richten sich an Deutschland.
Tschads Regierung warf dem deutschen Botschafter „unhöfliche Haltung“ und „mangelnden Respekt für die diplomatischen Gepflogenheiten“ vor. Das Auswärtige Amt in Berlin sagt offiziell, es könne den Vorwurf nicht nachvollziehen, doch Eingeweihte wissen, worum es geht. Als der junge Mahamat Déby am 20. April 2021 nach dem Tod seines Vaters und Amtsvorgängers Idriss Déby Tschads Staatschef wurde, akzeptierten Tschads Partner das nur, weil er bei Wahlen nach einer Übergangszeit von 18 Monaten die Macht wieder abgeben sollte. Aber im vergangenen Oktober ließ Mahamat Déby in einem von wichtigen Oppositionskräften boykottierten „nationalen Dialog“ die Übergangszeit um zwei Jahre verlängern, und er selbst wird bei Wahlen antreten dürfen, womit sein Machtverbleib gesichert ist, denn freie Wahlen gibt es in Tschad nicht.
„Besorgt“ äußerten sich damals öffentlich zahlreiche Botschafter, darunter der Deutschlands, denn sie fühlten sich düpiert. Berichten zufolge soll Gordon Kricke nichtöffentlich noch andere Worte verwendet haben. Auf den Straßen war die Reaktion heftiger. Oppositionelle gingen am 20. Oktober auf die Straße, die Sicherheitskräfte schossen und am Ende waren nach amtlichen Angaben 73 Menschen tot, laut Opposition mehrere hundert. Das grauenhafte Massaker, international ignoriert, war für Mahamat Déby eine Feuertaufe.
Der 39-Jährige reiht sich nun ein in eine lange Riege von Gewaltherrschern. Diktator Hissène Habré, der 1982 putschte und gemeinsam mit Frankreich Libyen bekämpfte, richtete grausame Foltergefängnisse ein und hat das Blut von Zehntausenden an den Händen. Ein panafrikanisches Tribunal verurteilte ihn später wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da war er schon lange im Exil, 1990 gestürzt von Rebellenführer Idriss Déby, der mit dem Segen Frankreichs putschte und eine neue Diktatur errichtete.
Für Frankreichs Machtpolitik in Afrika ist Tschad zentral. Am Flughafen der Hauptstadt N’Djamena befindet sich die neben Dschibuti wichtigste französische Militärbasis des Kontinents. Jahrzehntelang starteten dort Militärinterventionen zum Schutz befreundeter Diktatoren. Heute starten von dort Antiterroreinsätze. Die aus Frankreichs Militäreinsatz in Mali 2013 hervorgegangene Antiterroroperation Barkhane hat in N’Djamena ihr Hauptquartier.
Gewaltherrscher Mahamat Déby sitzt in N’Djamena fest im Sattel. Nach dem Oktobermassaker wurden 621 verhaftete Jugendliche in das Wüstengefängnis Koro Toro 600 Kilometer außerhalb der Hauptstadt gebracht, viele starben bei der Reise ohne Wasser auf offenen Lastwagen, die anderen wurden in Zellen mit bis zu 50 Insassen gepfercht, mit Terrorhäftlingen als Wächter. Nach einem Sammelprozess wurden viele begnadigt und berichten nun zu Hause vom Staatsterror. Die berühmte Menschenrechtlerin Delphine Djiraibé, die einst Habré vor Gericht brachte, sitzt faktisch unter Hausarrest und berichtet von einer „Bevölkerung in Angst“. Derweil organisiert Frankreich auf seiner Militärbasis Zeremonien und hält mit Tschads Streitkräften Manöver ab.
Die meisten Menschen in den Sahelstaaten sehen Frankreich als neokolonialen Unterdrücker, der Afrika arm hält, um sich selbst zu bereichern, und freuen sich über jeden Schlag gegen Pariser Interessen. In Mali, regiert von einer prorussischen Militärdiktatur, stehen deutsche Soldaten im Rahmen einer UN-Mission, die vor Ort als Werkzeug Frankreichs gesehen wird, da sie im Zuge der französischen Militärintervention entstand. In Niger, wo der einzige gewählte zivile Präsident der Region regiert, agiert die Bundeswehr an der Seite der aus Mali verlegten Franzosen.
Deutschland präsentiert seine Sahelpolitik als Teil einer europäischen Antwort auf Terror und Unterentwicklung. Die EU-Politik vor Ort wird aber von Frankreich gemacht, das die EU-Vertretungen in den Ländern dominiert. Nie hat Frankreich seine Truppen einem UN- oder EU-Rahmen unterstellt, kein französischer Diplomat würde Deutschland in heikle Gespräche mit afrikanischen Freunden einbeziehen. Frankreich fährt in Afrika klassische Machtpolitik, die Machtfragen notfalls außerhalb der Legalität und mit Gewalt klärt. Deutschland agiert als eine Art Frankreich light, das von Sicherheit und Entwicklung spricht, aber keine Machtinstrumente aufzubieten hat.
In Berlin ist derzeit viel von einer neuen Sahelpolitik die Rede. Eine neue „Initiative“ ist in Arbeit, das nächste Mandat für die Bundeswehr in Mali steht an, demnächst reisen Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Verteidigungsminister Boris Pistorius in die Region. Seit Jahren wird die Sahelarbeit der Bundesregierung ressortübergreifend im „Arbeitsstab Sahel“ gebündelt, anfangs geleitet von Gordon Kricke, Sahel-Beauftragter des Auswärtigen Amtes, bevor er 2021 Botschafter in N’Djamena wurde. In Deutschland hat seine Stimme Gewicht. In Tschad wird er ins Flugzeug gesetzt, sobald er den Mund aufmacht.
Offene Kritik an den Verhältnissen in Tschad ist für eine deutsche Sahelpolitik vermutlich wichtiger als alles, was die Bundeswehr in Mali leisten kann. Man kann nicht glaubwürdig gegen Militärdiktaturen in Mali und Burkina Faso eintreten, wenn man an der Seite Frankreichs zur Militärdiktatur Tschads schweigen muss. Eine Sahelpolitik, die tatsächlich friedliche Entwicklung zugunsten der Bevölkerung fördert, muss sich von Frankreichs Machtinteressen lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern