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Deutsch-marrokanische BeziehungenAnbandeln trotz Westsahara-Konflikt

Baerbocks Reise war ein diplomatischer Coup für das Königreich. Nun knüpft es sich im Konflikt um die Westsahara Tunesien vor.

Freundliche Annäherung: Außenministerin Baerbock und ihr Amtskollege in Marokko Foto: Mosa'ab Elshamy/ap

Tunis taz | Der Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Marokko am vergangenen Donnerstag hatte ein klares Ziel: Die auf Eis liegenden Beziehungen zu verbessern. Nach Beginn des Ukrainekrieges sucht die Bundesregierung, wie auch Frankreich und Italien, in Nordafrika nach neuen Energiepartnerschaften – und Marokko gilt in der Region als Vorreiter im Bereich alternativer Energieprojekte.

Schon die Begrüßung durch ihren marokkanischen Amtskollegen Nasser Bourita in Rabat schien erfolgversprechend. Auf Deutsch versprach er den Neustart der Beziehungen. Wie wichtig die Partnerschaften mit Nordafrika den EU-Ländern sind, zeigt der Zeitpunkt der Visite. Kurz vor Baerbocks Landung war der französische Präsident Macron in das benachbarte Algerien gereist.

Während das französisch-algerische Verhältnis wegen der unaufgearbeiteten Kolonialverbrechen angespannt ist, waren zuletzt auch deutsch-marokkanische Spannungen aufgetreten. Nach einer Forderung deutscher Diplomaten, Marokko möge sich an den UN-Friedensprozess für die Westsahara halten, zog das Königreich 2021 seinen Botschafter aus Berlin ab. Zuvor hatte sich Deutschland nicht dem Vorstoß der USA und Israels angeschlossen, die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzuerkennen. Erst nach dem Regierungswechsel in Berlin näherten sich die beiden Regierungen wieder an.

Baerbock betonte nun zwar erneut Deutschlands Unterstützung des UN-Friedensprozesses. UN-Sondergesandter Staffan de Mistura versucht, zwischen der in Algerien basierten Westsahara-Unabhängigkeitsbewegung Polisario und Marokko zu vermitteln. Die Polisario verlangt ein Unabhängigkeitsreferendum gemäß geltender UN-Beschlüsse, Marokko will der ehemaligen spanischen Kolonie, die es seit 1975 fast komplett kontrolliert, lediglich Autonomie gewähren.

Teilnahme der Westsahara an Ticad-Konferenz führt zu Eklat

Die gemeinsame Erklärung, die Deutschland und Marokko zum Abschluss des Baerbock-Besuchs veröffentlichten, bestätigt nun aber auch die Suche nach einer „kompromissbasierten politischen Lösung“ und fährt fort: „In diesem Zusammenhang betrachtet Deutschland den im Jahr 2007 vorgestellten Autonomieplan als ernsthafte und glaubwürdige Bemühung Marokkos und eine gute Grundlage, um zu einer Einigung beider Seiten zu kommen.“

Bourita begrüßte das: „Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem 2007 von Marokko vorgelegten Autonomieplan und der Schlüsselrolle der Vereinten Nationen“, sagte er.

Wie schnell sich aufgrund des Westsahara-Konflikts der diplomatische Wind drehen kann, zeigen die aktuellen Verstimmungen zwischen Marokko und Tunesien. In der tunesischen Hauptstadt Tunis fand am Wochenende die Ticad-Konferenz statt, das regelmäßige Forum Japans zur Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika. Tunesiens Staatspräsident Kais Saied hatte unter anderem auch Polisario-Anführer Brahim Ghali eingeladen und ihn persönlich am Flughafen von Tunis begrüßt. Innerhalb weniger Stunden sagte Marokko die Teilnahme an der Konferenz ab und zog seinen Botschafter aus Tunis ab.

Zwar verschwand daraufhin das Foto des Treffens von Saied und Ghali von der Face­book-Seite des tunesischen Präsidentenpalastes. Aber dennoch zeigte man sich in Tunis erstaunt über die Abreise der marokkanischen Delegation. Die Einladung der Vertreter der Westsahara stehe im Einklang mit den Beschlüssen der Afrikanischen Union (AU), so ein Sprecher von Kais Saied. Tatsächlich waren Ghali und andere Polisario-Vertreter bereits zu Ticad-Treffen in Japan und ähnlichen Regionalkonferenzen eingeladen, ohne dass es zu Protesten Marokkos gekommen war.

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9 Kommentare

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  • Okay, wir erkennen Eure "Bemühungen" nun doch als glaubwürdig an! Dafür kriegen wir von Euch Beistand in unserem von uns selbst angerichteten Schlamassel in Sachen unseres antirussischen Sanktionsmanagements.



    Eure vormals von uns so intensiv benannten Völkerrechtsverletzungen, wollen wir nun mal ganz kleinlaut ganz hinten anstellen.



    Bei der nächsten Bundestagswahl werden unsere Parteistrategen wie gehabt, wieder alles unternehmen, um unseren hier mehr als anrüchigen Deal künstlich vedreht an den deutschen Grünen-Wähler zu verkaufen. - Augen zu und durch.

  • Baerbock zeigt einmal mehr eindrucksvoll, dass ihre "wertebasierte Außenpolitik" in Wirklichkeit nichts wert ist.

    Sie betreibt knallharte Realpolitik, und von ihrer feministischen Außenpolitik und dem anderen Zeug ist nichts mehr übrig geblieben. Das machte sich eben schön im Wahlkampf, und das war's auch.

  • Vielleicht sollte man mal der Wahrtheit ins Auge gucken:



    Die Staaten der Europäischen Union spielen international nicht mehr in der Spitzenklasse.

    Spanien hat ja auch schon klein beigegeben.

    Seltsamerweise wollen das viele weder auf der rechten noch auf der linken Seite erkennen.

    Dort herrscht irgendwie immer noch der Glaube, Deutschland sei ein internationales Schwergewicht in jeder Hinsicht.

    Begegnen auf Augenhöhe bedeuten nun mal, dass eben auch die andere Seite Bedingungen stellt.

    Spannend wäre, wie die AU damit umgeht.

    Schade, dass ein zwischen der AU und der EU abgestimmtes Vorgehen unwahrscheinlich ist.

  • Macron in Algerien, Baerbock in Marokko. Wenn die Europäer kommen, um „Beziehungen zu pflegen“ und die „Zusammenarbeit zu stärken“, dann sind afrikanische Staaten zu recht auf der Hut.

  • "...sucht die Bundesregierung... in Nordafrika nach neuen Energiepartnerschaften..."



    ...und da kann natürlich auch eine Völkerrechtlerin das Völkerrecht ein bisschen flexibel auslegen...

    • @sollndas:

      Warum glauben Sie, dass dieser Außenministerin das Völkerrecht am Herzen liegt?

    • @sollndas:

      Sie sagen es … aber die Westsahara ist wohl zu klein und zu unwichtig, um Marokko zur Umsetzung eines Unabhängigkeitsreferendums gemäß der entsprechenden UN-Resolutionen zu drängen. Die neue „wertebasierte“ deutsche Außenpolitik - schon wenn ich das Wort höre, setzt bei mir ein Würgereflex ein - erfolgt ausschließlich nur noch nach dem Opportunitätsprinzip. Diese Doppelmoral hinsichtlich völkerrechtlicher Standards und Verbindlichkeiten wird unserer Außenministerin noch ganz schön vor die Füße fallen.

    • @sollndas:

      Jaja, die Völkerrechtlerin... wer's glaubt. Zunächst Politikwissenschaften machen, und dann gerade mal zwei Semester Master in Völkerrecht ist ungefähr so, als würde ein Metzger nach einer Schulung von einem Monat versuchen, in einer Klinik Herztransplantationen vorzunehmen.

      Was sie hat, ist ein Schmalspur-Master, und das wars.

  • Wir werden Zeuge, wie Menschenrechtsverletzungen stillschweigend hingenommen werden, solange diejenigen gegen Russland sind.

    Die Außenministerin betreibt keine werteorientierte, sondern eine eurozentristische und opportunistische Außenpolitik.

    Ihre Einigkeit mit der griechischen Regierung, die nach SPIEGEL schwerste Verbrechen gegen Geflüchtete begeht, die Einigkeit mit Marokko, das den Frieden mit der Westsahara torpediert, das Schweigen zur Verfolgung von Assange und den 90 % Zivilisten, die durch US-Drohnen getötet werden, die Akzeptanz gegenüber Saudi-Arabien, welches eine Twitter-Nutzerin zu 34 Jahren Haft verurteilte.

    Die Liste könnte unendlich fortgesetzt werden.

    Wer aber Menschenrechte selektiv betrachtet, instrumentalisiert sie und zerstört ihre Grundbasis. Ebenso verlieren solche Staaten ihre Legitimation, sich moralisch über andere zu empören.

    Die Unterstützung der durch Russland angegriffenen Ukraine wird deshalb durchgeführt, weil es um die eigenen Interessen geht und den Wunsch, eine mögliche weitere Expansionspolitik Putins einzudämmen.

    Mit Menschenrechten hat dies nichts zu tun, denn jeder, der gegen Putin ist, darf gerne auch schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen.

    Es ist schwer erträglich, die ganze Menschenrechtsrhetorik derjenigen zu hören, die zu der Katastrophe in Eritrea schweigen, sich Saudi-Arabien andienen oder jeden Tag an den Außengrenzen der EU zeigen, welchen Lebenswert sie tatsächlich Geflüchteten aus Afrika zuweisen.

    Unerträglich sind ebenfalls die Stimmen derjenigen, die aus dem generalisierten Menschenrechtsversagen der EU den Schluss ziehen, die Menschenrechtsverletzungen Putins wären nun in Ordnung oder die diese gar leugnen.

    Womöglich ließe sich eine Lösung ehe finden, wenn die beteiligten Seiten zugeben würden, dass es ihnen um Eigeninteressen geht, anstatt heilige Moralkriege zu führen.

    Echte Menschenrechtler:innen stehen so wieder zwischen den Stühlen, siehe die Denunziationen gegen den AI-Bericht.