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Deutsch-israelische BeziehungenSchuld und Universalismus

Israels Demokratiebewegung setzt auch auf deutsche Rückendeckung. Bedenken als Nachfahren der Täter sollten uns dabei nicht im Weg stehen.

Gemeinsame Kranzniederlegung an der Gedenkstätte Gleis 17 in Berlin Grundewald von Benjamin Netanjahu und Olaf Scholz Foto: Michael Kappeler/dpa

N un gab es also eine jüdisch-israelische Protestkundgebung in Berlin, klein, bunt und laut, wie zuvor in anderen Städten der Welt. Nur ist in Deutschland eben nichts wie anderswo, wenn es um Israel geht. Um mit dem Subjektiven zu beginnen: Kann sich eine nichtjüdische Deutsche am Protest gegen Rechtsextremismus in Israel beteiligen? Antworten, die ich hörte, reichten von „auf keinen Fall“ bis „ja, klar“.

Gleiche, universelle Werte zu postulieren, jenseits von Herkunft, ist hier ungleich schwieriger als in der Gegnerschaft zu Autoritarismus anderswo, in Gestalt von Trump, Orbán oder Erdoğan. Die Nachkommen der Täter sollen sich gegenüber den Nachkommen der Opfer nicht als Lehrmeister in Demokratie aufspielen – die Ermahnung hallt weiter nach.

Und am Ort des Geschehens, dem Pariser Platz zu Berlin, genügte ein Blick auf einige der handgemalten Plakate, um zu wissen: Sprecherposition hat Bedeutung. Das Schild „We know what fascism can do“, sollte ich eher nicht tragen. Es gab allerlei NS-Anspielungen; sie reflektierten die Inanspruchnahme des moralischen Kapitals der Holocaust-Erinnerung durch den Gegner, Netanjahu & Co., wie auch den (deutschen) Ort des Geschehens. Ich fand da für mich keinen adäquaten Platz.

Vielmehr warf die Erfahrung dieses Tages einen Strauß von Fragen auf, die um die Begriffe Schuld und Universalismus kreisen. Was sagt uns die vielzitierte Lehre aus der Geschichte, wenn es um ein vibrierendes jüdisches Anliegen der Gegenwart geht? Lähmt uns richtigerweise ein Schuldgefühl, bindet es Deutschen die Hände – oder ist das nur eine billige Ausrede?

Bild: privat
Charlotte Wiedemann

Sie befasst sich als Auslandsreporterin und Buchautorin mit Gesellschaften außerhalb Europas und deren Auseinandersetzungen mit dem Westen. Zuletzt erschien „Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis“ (Propyläen 2022).

Palästinensisch-jüdischer Dialog

Weil es unbequemer wäre, sich der universalistischen Herausforderung zu stellen und von Israel Demokratie und Menschenrechte für alle, Juden wie Palästinenser, zu fordern? Letztere waren auf dem Pariser Platz nur Randfiguren, sollten eher unsichtbar sein, damit die Kundgebung nicht in Verdacht geriete, antiisraelisch zu sein. Die Sorge ist einerseits verständlich – hier trat eine jüdische Zivilgesellschaft in Aktion, ohne das Dach der Gemeinde und jenseits der sonst sorgfältig abgesteckten Grenzen, folglich angreifbar. Da war Vorsicht berechtigt.

Andererseits spiegelt diese Vorsicht wiederum ein sehr deutsches Setting. Selbst nachdem führende israelische Militärs den Siedler-Angriff auf die Ortschaft Huwara ein Pogrom nannten, gelten Palästinenser bei uns nicht als Stimme Betroffener und Gefährdeter, nicht als rechtmäßig Beteiligte am öffentlichen Diskurs. In den USA spricht dieser Tage der palästinensische Rechtsphilosoph Raef Zreik an der Universität Harvard zur israelischen Verfassungskrise, in Dialog mit dem jüdischen Juristen Noah Feldman.

Warum ist dergleichen hier so schwer denkbar? Will dafür ernsthaft jemand die deutsche Schuld bemühen? Bevor Kanzler Scholz und sein Gast Netanjahu am Deportationsmahnmal Gleis 17 des S-Bahnhofs Grunewald der Schoah-Opfer gedachten, waren dort, mit weißen Rosen, Protestbotschaften hinterlegt worden: Die Holocaust-Erinnerung nicht für politische Zwecke missbrauchen!

Beschämendes Schweigen

Einer der Beteiligten, der israelische Historiker Arie Dubnov, erklärte gegenüber der Zeitung Haaretz, die Zeremonie an Gleis 17 verleihe dem unkoscheren Besuch Netanjahus einen koscheren Anstrich. Eben noch ein Angeklagter, der daheim ein Verräter genannt wird, ein Spalter und Zerstörer seines Landes, stand er hier nun als unanfechtbarer Repräsentant der Opfer. Was, wenn demnächst noch schlimmere Gestalten seines Kabinetts auf solch einem Gedenkakt bestehen?

Die deutsche Politik steckt in einem hausgemachten Dilemma fest: schon zu lange Schoah-Verantwortung und die Haltung zu israelischem Regierungshandeln nicht getrennt zu haben. Darauf ist der ganze Apparat, die gesamte Diplomatie geeicht. Gewiss, umsteuern ist möglich, aber unter Beachtung eines Risikos: Das Israel-Bild in deutschen Meinungsumfragen ist seit Langem kritischer, negativer als bei der Elite, bis hin zu jenen 20 Prozent mit dezidiert antisemitischen Überzeugungen. Und diese Marke steigt bei akuten politischen Konflikten.

Die Angst von Juden und Jüdinnen in Deutschland, dass negative Schlagzeilen über Israel sie selbst gefährden könnten, ist also ernst zu nehmen. Aber wäre es dem Kampf gegen Antisemitismus nicht gerade dienlich, wenn das Verhältnis zu den verschiedenen Kräften im heutigen Israel und ihre jeweilige Bedeutung für die Erinnerungskultur demokratisch verhandelt würde? Die jetzige Situation erzwingt das geradezu, mit allen neuen, schwierigen Facetten.

Die prodemokratische Bewegung in Israel erwartet von Deutschland ein Signal des Beistands. Darüber sollte der Bundestag debattieren, ohne Fraktionszwang und jenseits üblicher Floskelstarre. Oder ist die moralische Trägheit zu groß, um zum Thema deutsche Verantwortung einmal eigene, frische Gedanken zu formulieren? In der Zivilgesellschaft gibt es genug antifaschistisch motivierte Kräfte, um eine solche Debatte einzufordern. Das deutsche Schweigen als Antwort auf die Rufe aus Tel Aviv, Haifa und Jerusalem ist beschämend.

Vielleicht kann der Universalismus, nach dem ich suche, in diesem Land und für nichtjüdische Deutsche nur ein eingeschränkter sein, ein gebrochener Universalismus mit historischem Schuldvorbehalt. Eine dialektische Position, die immer wieder neu zu bestimmen ist. Nur dies bitte nicht auf dem Rücken der Palästinenser.

Auch wenn wir keine Harvard Law School haben: Wäre jetzt nicht genau der richtige Augenblick, ein deutsch-jüdisch-palästinensisches Gespräch aufzubauen, mit öffentlichen und nicht-öffentlichen Formaten, vielleicht mit einer Ringvorlesung – immer entlang der Überzeugung, dass wir eine gemeinsame Geschichte teilen, auch wenn sie für jede Seite sehr anders aussieht?

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Die prodemokratische Bewegung in Israel erwartet von Deutschland ein Signal des Beistands."

    Sagt wer? Bei allen Abstrichen: Israel ist nach wie vor eine funktionierende Demokratie - übrigens die einzige in dieser Region. Und die derzeitige Regierung Netanjahu - zu der mir wirklich nichts Positives einfällt - hat immerhin eine parlamentarische Mehrheit hinter sich. Insofern hat die Vorstellung, dass die Israelis nur auf deutsche Unterstützung warteten, etwas ungeheuer Anmaßendes an sich und offenbart nur einmal mehr die hierzulande übliche Hybris, man sei dazu berufen, die Probleme des Globus zu lösen.

    Schlicht naiv erscheint mir die Vorstellung, man könne dies nun ausgerechnet unter Einbeziehung einer palästinensischen "Zivilgesellschaft" tun. Letztere zeichnete sich schon von jeher dadurch aus, dass sie es nie schafft, einen sauberen Trennungsstrich zu Hamas und Fatah und deren Vernichtungswünsche zu ziehen. Und man ahnt schon, wer da deutscherseits mittun wird: Der übliche Reigen an "Israel-Kritikern", die ansonsten damit beschäftigt sind, Resolutionen pro BDS und Konsorten zu organisieren.

    Diese Regieurng Netanjahu hat alle erdenkliche seriöse Kritik verdient. In Deutschland ist dies, das zeigt die Erfahrung. leider kaum möglich, weil man damit automatisch Antizionisten, Antisemiten und sonstige Israelhasser anzieht.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @Schalamow:

      Legitime Kritik nicht zu äußern, weil man Trolle anziehe - da kann man auch Putinkritik einstellen, weil das Todenhöfer und Jessen auf den Plan ruft. Und mit der Einschätzung "Israel ist NOCH eine funktionierende Demokratie" haben Sie eben den Nagel auf den Kopf getroffen: Die Regierung Netanyahu ist gerade dabei die Gewaltenteilung abzuschaffen. Was passiert, wenn Autokraten auf lokale Konflikte treffen, kann man in der Ukraine bewundern.

      Auf Israel bezogen würde das heißen, dass der schwelende Nahost-Konflikt auch ganz gut ein richtiger Krieg werden könnte. Sowohl die palästinensische als auch die israelische Zivilgesellschaft wäre sehr dankbar, wenn das vermieden werden kann.

    • @Schalamow:

      Ich schließe mich an.

      Und ich frage mich, wer die palästinensische Zivilgesellschaft überhaupt sein soll.

      BDS kann ja nicht gemeint sein. Im obersten Gremium des BDS, dem BNC nehmen Hamas, Islamischer Jihad und PFLP die ersten Plätze ein:

      www.bdsmovement.net/bnc

      The current members of the BNC are:

      Council of National and Islamic Forces in Palestine

      Und der Council ist der da:

      en.wikipedia.org/w...and_Islamic_Forces

      Also wird der BDS von Terroristen geführt und die ganzen westlichen Unterstützer bilden den politischen Flügel dieser Terrorgruppe.

    • @Schalamow:

      Und wo ist der saubere Trennungstrich der Israelis zu den religiös-faschistischen Regierungsmitgliedern? Haben sie nicht diese Konstellation gewählt? War nicht vor den Wahlen längs und breit diskutiert worden was passieren würde wenn Netanjahu wieder ans Ruder kommt?

      • 3G
        31841 (Profil gelöscht)
        @Martha:

        Genau diesen Trennungsstrich suche ich auch.



        Ist faschistisch gewählt demokratisch regiert, wenn demokratisch gewählt hier faschistisch regiert bedeutet?

  • Das Vorgehen der Regierung war richtig.



    Wir führen einen Dialog mit einem Land, unter schwerwiegenden historischen Umständen.



    Die sind nicht klein zu reden.



    Dennoch hat der Kanzler seiner Besorgnis um den Rechtsstaat Ausdruck verliehen.



    Sie dürfen davon ausgehen, dass dies durchaus in Israel und Palästina registriert wurde.



    Für die Zusammensetzung der israelischen Regierung ist die Bevölkerung verantwortlich.



    Wer wählt, trägt Verantwortung für sein Tun.



    Wir sind jetzt und auch in 100 Jahren nicht in der moralischen Position, Israel irgendwelche klugen Ratschläge zu geben.

    • @Philippo1000:

      "Wir sind jetzt und auch in 100 Jahren nicht in der moralischen Position, Israel irgendwelche klugen Ratschläge zu geben."



      Das sehe ich anders: Wir in der wir in einer Demokratie leben und diese demokratischen Werte nach außen vertreten (u.a.Bärbock) können nicht zusehen, wie befreundete Staaten diese mit Füßen treten! Klare Stellungnahmen unserer Regierung und gesellschaftlichen Gruppen sind notwendig, wollen wir uns nicht Doppelmoral vorhalten lassen.