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Deutsch-chinesische BeziehungskriseIm Konflikt mit Peking

Deutschland setzt nun das Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus. Peking reagiert darauf „mit Empörung und fester Opposition“.

Im Mai 2018 war Angela Merkel noch freundlich zu Chinas Xi. Jetzt ist die Bundesregierung „besorgt“ Foto: Jason Lee/reuters

BERLIN taz | Nach langem Zögern hat die Bundesregierung doch noch das Auslieferungsabkommen mit der bisher autonomen chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong ausgesetzt. „Die Entscheidung der Hongkonger Regierung, ein Dutzend Oppositionskandidatinnen und -kandidaten für die Wahl zu disqualifizieren und die Wahlen zum Legislativrat zu verschieben, ist ein weiterer Einschnitt in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger Hongkongs. Sie folgt auf die Verhaftung von drei Aktivisten und einer Aktivistin durch das neu geschaffene National Security Department, die uns sehr besorgt“, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD) Freitagabend auf der Webseite seines Amtes.

Es fällt auf, dass sich die Kanzlerin nicht äußert. Merkel genießt hohes Ansehen in China

Maas’ nüchterne Erklärung hat den Unterton eines enttäuschten Liebhabers. An die Bundesregierung war die Forderung nach Aussetzen des Abkommens erstmals von der Opposition im Bundestag und von Hongkonger Aktivisten herangetragen worden, als China zum 1. Juli der früheren Kronkolonie sein nationales Sicherheitsgesetz übergestülpt hatte. Es untergräbt die von Peking zugesagte Autonomie nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ und bedroht pekingkritische Stimmen.

Die USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland haben ähnliche Auslieferungsabkommen mit Hongkong bereits ausgesetzt. Dies soll verhindern, dass sich in den jeweiligen Ländern aufhaltende Personen von Hongkong aus an Chinas Justiz überstellt werden können. Diese hat mit rechtsstaatlichen Verhältnissen, wie es sie bisher in Hongkong gab, nichts gemein.

Am Freitag hatte Hongkongs Polizei sechs Aktivisten zur Fahndung ausgeschrieben, die nach Europa geflüchtet sind. Darunter ist laut South China Morning Post auch Ray Wong Toi-yeung. Er war 2014 in der Regenschirmbewegung aktiv und floh im November 2018 nach Deutschland, wo er im Mai 2019 politisches Asyl bekam.

Peking-Kritiker sahen Wahlen als ihre Chance

Hongkongs ursprünglich für den 6. September angesetzte Wahlen galten bisher als Chance der demokratischen Opposition, zu zeigen, dass ihre Ablehnung der Politik der pekinghörigen Regierung mehrheitsfähig ist. Die am Freitag durch die Regierungschefin Carrie Lam erfolgte Ankündigung der Verschiebung der Wahl um ein Jahr wird mit der Coronapandemie begründet. Für die Demokratiebewegung ist das aber nur ein Vorwand, um die Wahl von Peking-Kritikern zu verhindern. Die hatten bei den Kommunalwahlen im November einen Erdrutschsieg errungen.

Die chinesische Botschaft in Berlin reagierte auf die Erklärung von Maas „mit Empörung und fester Opposition“. Die Verschiebung der Wahl diene der Gesundheit der Bevölkerung, heißt es auf der Botschaftswebseite. Der Ausschluss bestimmter Kandidaten entspräche den Gesetzen, da die Ausgeschlossenen sich für die Unabhängigkeit Hongkongs, dessen Selbstbestimmung oder die Einmischung des Auslands eingesetzt hätten. Dies gefährde Wohlstand und Stabilität Hongkongs, das Chinas interne Angelegenheit sei.

Die „irrigen Bemerkungen“ der deutschen Seite seien „eine ernste Verletzung des Völkerrechts“. Deshalb behalte sich China weitere Reaktionen vor. Dass die Erklärung im Unterschied zu den meisten Statements auf der Webseite der Botschaft in Englisch statt in Deutsch verfasst wurde, lässt darauf schließen, dass sie direkt aus Peking stammt und eine Kopie der Reaktion auf ähnliche Schritte anderer Staaten ist.

Nach Meinung der Hongkonger Opposition verletzt Chinas Regierung das Völkerrecht. Mit dem neuen Sicherheitsgesetz hebele sie die Autonomie und Selbstverwaltung Hongkongs aus, die der Stadt 1984 völkerrechtlich mit einem Vertrag zugesagt worden waren.

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen, bezeichnete Maas’ Aussetzung des Auslieferungsabkommens als „längst überfälligen Schritt“. Der Außenminister dürfe es nicht dabei belassen. „Es müssen weitere Maßnahmen folgen, um den Druck auf Peking weiter zu erhöhen.“ Sie fordert, personenbezogene Sanktionen gegen chinesische KP-Funktionöre auf EU-Ebene zu prüfen und den von Maas bislang lediglich verschobenen EU-China-Gipfel ganz abzusagen. Auffällig ist, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in China großes Ansehen genießt, bisher nicht geäußert hat.

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