„Deso – Der Rapper, der zum IS ging“: Wenn Grautöne zugelassen werden
Der funk-Podcast will herausfinden, wie Denis Cuspert sich in aller Öffentlichkeit radikalisieren konnte. Er setzt auf Transparenz und Zwischentöne.
Denis Cuspert, Deso Dogg, Abu Maleeq und Abu Talha al-Almani: Hinter allen vier Namen verbirgt sich der gleiche Mann. In den 70ern in Berlin-Kreuzberg geboren, versucht Denis Cuspert als „Deso Dogg“ in den Nullerjahren Karriere zu machen. Er gilt als einer der ersten Gangster-Rapper Deutschlands. Obwohl er in der Szene einen Namen hat, kommt es nie zum großen Durchbruch. Etwas verändert sich in Cusperts Leben und ab 2010 tritt er als „Abu Maleeq“ als radikaler Prediger in Berlin auf. Nur drei Jahre später heißt er erneut anders: Abu Talha al-Almani ist sein Kampfname. Und mit Kampf ist Dschihad gemeint.
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der zum IS ging“,
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Cuspert ist weder der erste noch der einzige Mann aus Deutschland, der sich dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen hat. Doch das Besondere an seinem Fall ist, dass seine Radikalisierung in der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Wie konnte es soweit kommen? Und wieso konnte ihn niemand aufhalten? Das sind Fragen, die sich die Journalist*in Azadê Peşmen, ebenfalls gebürtige Berliner*in, im sechsteiligen Podcast „Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ stellt.
Anhand alter Interviewschnipsel von Cuspert selbst, durch Gespräche mit Journalist*innen, Wegbegleiter*innnen und Expert*innen wird in den ersten Episoden Cusperts Leben relativ chronologisch nacherzählt: Von seinem Aufwachsen in SO36 und seinem ausbleibendem Erfolg als Rapper, von seinen Gefängnisaufenthalten und seinem „Weg in den Islam“. Wie er erste Kontakte in die islamistische Szene knüpft und bald darauf als Hassprediger am Kottbusser Tor auftritt.
Bei der Rekonstruktion seines Lebenswegs schwingt immer die Frage mit: Welche Ereignisse haben dazu geführt, dass aus Deso Dogg, dem Rapper, ein international gesuchter Terrorist wird? Schnell wird klar – und das ist eine Stärke des Podcasts – es kann keine einfache Antwort auf diese Frage geben. Mit wissenschaftlichen Stimmen untermauert betont Peşmen, dass es nur selten dieses eine Erlebnis gibt, das zur Radikalisierung führt. Selbst dann, wenn Cuspert einen Unfall als Plan Gottes umdeutet. Stattdessen werden unterschiedliche Aspekte seines Lebens näher beleuchtet und dabei versucht, Erklärungsansätze zu suchen.
Viel mehr als „True Crime“
Eine weitere Stärke des Podcasts ist der transparente Umgang mit Quellen und Expert*innen. Denn die Ausgangslage ist schwierig: Viel Material stammt aus Propagandavideos, viele Wegbegleiter*innen wollte nicht mit Peşmen sprechen. Und die Expert*innen, mit denen die Journalist*in gesprochen hat, sind nicht immer unproblematisch.
Einer von ihnen ist Abdul Adhim, ein salafistischer Prediger, mit dem Cuspert Ende der Nullerjahre in der Al-Nur-Moschee verkehrte und der damals vom Berliner Verfassungsschutz als Radikalisierer eingestuft wird. Laut Expert*innen hat sich Abdul Adhim mittlerweile vom Salafismus abgewandt, doch auch heute noch wird er von Wissenschaftler*innen kritisch gesehen. Peşmen lässt Abdul Adhim im O-Ton zu Wort kommen, aber nicht ohne kritische Einordnung durch eine Islam-Wissenschaftlerin und Konfrontation mit einem Facebook-Post, in dem er kürzlich die Taliban verharmlost hatte.
Die Gespräche mit Jermaine, dem Bruder von Denis Cuspert, verleihen dem Podcast auch einen persönlichen Zugang. Sie sind es, die Grautöne in Cusperts Geschichte zulassen – und zwar ohne die krassen Menschenrechtsverletzungen, an denen Cuspert beteiligt war, in irgendeiner Form zu verharmlosen.
Funk, die den Podcast produziert hat, bewirbt den Sechsteiler als „True Crime“. Und obwohl die Mittel der Spannungserzeugung und das Storytelling teilweise an das Genre erinnern, verkauft der Sender damit sein eigenes Produkt unter Wert. Denn dem Podcast geht es nicht nur darum, einen Kriminalfall oder eine persönliche tragische Geschichte zu erzählen. Vielmehr ist es eine Analyse davon, wie Radikalisierungen in diesem Land stattfinden können und welche Rolle dabei Ausgrenzungserfahrungen, Medien, Rassismus und überforderte Behörden spielen.
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