Tobias Ginsburg über rechte Ideologie: „Diese Angst ist eine Waffe“

Antifeminismus und Kampf gegen die Demokratie strahlen bis in den Mainstream hinein, sagt Tobias Ginsburg. Er hatte sich undercover unter Rechte gemischt.

Rechte zeigen bei einer Veranstaltung den Mittelfinger in die Kamera.

Ob Reichsbürger, Neonazi, Incel oder Islamist: Sie eint der Antifeminismus, so Ginsburg Foto: Michael Tremmer/imago

taz: Herr Ginsburg, Sie haben sich den Kopf geschoren, um mit sexuell frustrierten Männern über die Vergewaltigung von Frauen und mit Faschisten über die Ausrottung „minderwertiger“ Menschen zu fantasieren. Warum?

Tobias Ginsburg: Ich schaue mir vieles, was sonst als Selbstinszenierung von Extremisten zu sehen ist, gern aus nächster Nähe an.

Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschafts­kollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-­Stiftung.

Ist das nicht furchtbar?

Es ist in erster Linie eine Bekämpfung meiner Furcht. All diese antidemokratischen, menschenfeindlichen Positionen können einem irre Angst einjagen. Aber wenn ich mich in die Szene hineinwage, lassen sich die Drohkulissen einreißen und ich sehe die Menschen dahinter. Das macht die Gefahr zwar nicht kleiner, aber es ist unumgänglich für die Frage, wie wir diesen Ideologien gesellschaftlich begegnen.

Sie sind also einfach zu Burschenschaftlern gegangen und haben mit denen Bier getrunken?

Zunächst habe ich mir falsche Identitäten zugelegt: einen Allerweltsnamen, Webseiten, ver­schiedene Fake-Profile. Wer mich googelte, fand etwas, aber nichts zu Spezifisches. Ich muss flexibel bleiben mit den Rollen, in die ich schlüpfe. Denn erstens will ich möglichst unvoreingenommen sein und wirklich verstehen, was die Menschen da reinreißt. Da kann ich nicht mit vorgeformten Feindbildern arbeiten.

Und zweitens?

Die Ideologien mögen krude erscheinen, aber sie sind in sich geschlossen. Also werde ich zum Echo derjenigen, die ich treffe: Ich gebe das Gehörte nur wieder. Außerdem macht man sich so schnell beliebt. Das ist wie im echten Leben: Als Jasager kommt man leicht durch.

Das klingt, als ob es ganz einfach war, sich Zutritt zu höheren Ebenen der extremen Rechten zu verschaffen.

Diese seltsamen Welten, die bereits bis mitten in unsere Gesellschaft reichen, sind darauf aus, neue Leute zu rekrutieren. Wenn ich also etwas verspreche, was dafür dienlich ist – sei es Reichweite, Geld oder Loyalität –, bin ich da schnell drin. Als vermeintlicher AfD-Mann mit fiktiver finanzkräftiger Organisation im Rücken habe ich es sogar zu einer klerikalfaschistischen Organisation in Polen geschafft. Das ist extrem spooky, wenn die die Arme ausbreiten: Komm rein, werde Teil unseres internationalen Netzwerks!

Tobias Ginsburg: „Die letzten Männer des Westens“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 336 Seiten, 16 Euro

Die Bandbreite derjenigen, die Sie undercover besucht haben, ist groß. Was haben polnische Klerikalfaschisten mit den liberalen Männern der FDP zu tun, einer Regierungspartei?

Antifeminismus hält die extreme Rechte zusammen und ist anschlussfähig für die bürgerliche Gesellschaft. Die Rechte versucht darüber, immer mehr Menschen zu radikalisieren und Unsagbares sagbar zu machen. Bedrohlich gut funktioniert das mit dem Hass gegen „Verweiblichung“, gegen Emanzipation von Frauen und sexuellen Minderheiten. Die Angst davor, dass der westliche Mann ausstirbt, steckt in so ziemlich allen rechtsterroristischen Manifesten der letzten zehn Jahre. Diese Angst ist eine Waffe. Der bin ich hinterhergereist.

Wo sind Sie gewesen?

Zum einen tief im neurechten Netzwerk, auch bei der US-amerikanischen Alt-Right. Aber ich wollte auch schauen, wie die Gedanken im bürgerlichen Lager instrumentalisiert werden. Deshalb bin ich in die sogenannte Manosphere hinabgestiegen, in die Ausprägungen eines radikalen, aber weitverbreiteten Antifeminismus und Männlichkeitswahns. Mögen das nun bürgerliche Männerrechtler sein oder Pick-Up-Artists oder Popstars wie Kollegah, dem ich monatelang hinterhergereist bin.

Sie machen sich über Ihre Protagonisten lustig, entdecken Sympathisches, manche tun Ihnen leid. Wie viel Empathie darf man mit Nazis haben?

Ich würde erst mal von mir weisen, dass ich mich über sie lustig mache.

Sie schreiben: „Ich lache diese Männer aus.“

Okay, ertappt, aber das war ein wirklich außergewöhnlicher Moment. Eine bürgerliche Männerrechtsgruppe diskutierte ausufernd darüber, wie man Frauen am besten zwischen die Beine treten könne – weil Frauen ihrerseits ja beigebracht würde, Männern in die Eier zu treten, um sich vor Vergewaltigung zu schützen. Da traten schwer erträgliche Gewaltfantasien zutage. Ich habe schon mit Al-Quds-Islamisten Tee getrunken, ich war in einer Reichsbürgersekte – aber in diesem Moment musste ich zum ersten Mal einfach lachen. Aber trotzdem: Lachhaft sind nicht die Menschen, es sind ihre Ideen.

Inwiefern?

Wir sollten nicht so tun, als seien das ein paar komische Hampelmänner am Rande der Gesellschaft – das sind sie nicht. Ihre Gedankenwelten mögen krude oder komisch sein, aber die Schicksale dahinter sind oft bedrückend oder traurig.

Tobias Ginsburg

„Schuld sind die Frauen, die aufmucken“

Die Rechten als Opfer?

Nein, aber mitunter als Beute. Es gibt Verführer und Verführte, ­Profiteure und Verwirrte, Bösartige und Verzweifelte. Das entschuldigt nichts, aber wenn man hinter die Fotos und Videos der ­Identitären ­Bewegung schaut, hinter die ­beklemmenden Fackelzüge, dann begegnet man schlicht Menschen. Die geben sich Mühe, ­möglichst hart und gefährlich zu wirken. Aber mich interessieren die Risse – das, was nicht zur ­Inszenierung passt. Wenn wir dem Hass Einhalt ­gebieten wollen, müssen wir ­verstehen, wie er funktioniert.

Was sind Frauen für diese Menschen?

Diese Männer verstehen sich nicht unbedingt als Frauenhasser, oft hört man eher die Argumen­tation des betrunkenen Onkels oder unangenehmen Nachbarn. Da werden Frauen abstrahiert, ­werden zur Verkörperung für den Verlust ­tatsächlicher oder vermeintlicher Privilegien. Mir wird etwas genommen, ich habe nicht das, was mir zusteht, die Welt ist mir das schuldig – das ist deren Refrain. Und schuld sind die Frauen, die aufmucken. Manchmal wird das zum pathologischen Frauenhass. Je tiefer im rechten Milieu, desto klarer hat die Frau die Funktion als Brutkasten und Haussklavin.

Was bedeutet Männlichkeit in diesem Spektrum?

Männlichkeit ist, was immer man sich wünscht. Mächtig zu sein, autark, stark, souverän – all das wird auf das eigene Geschlecht projiziert. Das sind uralte Stereotype, die uns allen in den Knochen stecken. Außerdem ist es flexibel: Was den Leuten am meisten fehlt, machen sie zum männlichen Ideal.

Sie sind jüdisch. Sich auf einem Neonazikonzert zu tummeln, ist eine große Gefahr für Sie. Wie war das für Sie, sich dort zu bewegen?

Als ich vor elf Jahren das erste Mal undercover ging, tat das noch richtig weh, diesen eiskalten, studierten Hass zu sehen. Aber als deutscher Jude muss ich leider nicht erst in die extreme Rechte abtauchen, um Antisemitismus zu erleben. Meine Recherchen bringen da eher zu Tage, was man ohnehin zu spüren bekommt: wie stark es unter der Oberfläche brodelt.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit?

Das Schrecklichste war vermutlich, zu erkennen, dass extreme Formen von Antifeminismus und Antipluralismus längst im Mainstream angekommen sind. Vorstellungen von ominösen Trans- und Homolobbys, die die traditionelle Familie bedrohen, lassen sich in großen deutschen Zeitungen nachlesen. Zweitens musste ich erkennen, dass das, was da passiert, kein Zufall ist.

Warum nicht, wie meinen Sie das?

Hinter dieser Kampagne steckt Strategie. Klar, die viel beschworene Krise der Männlichkeit, das Bangen um Privilegien – das kennen wir seit der Antike. Traditionelle Männlichkeit steckt immer in der Krise. Aber wie stark daraus politisches Kapital geschlagen werden kann, hat sich in den letzten zehn Jahren auf einem globalen Level gezeigt.

Inwiefern?

Der Hass hat sich weltweit angeglichen und so auch eine neue Qualität erreicht. Ob Boston oder Bautzen: das sind die gleichen verschwörungsideologischen Ideen von der Abschaffung des Mannes. Das liegt aber nicht nur am Internet, sondern auch an Netzwerken, die international tätig sind. In Deutschland heißt es schnell: die Polen mit ihrem Katholizismus, das sei nicht mit uns vergleichbar. Aber die neurechte Sprache und die Narrative sind genau dieselben. Evangelikale, Neofaschisten und kremlnahe Oligarchen wissen, welche Narrative global greifen, und befeuern sie. Und die gekränkten Männer und neurechten Nachwuchskrieger begreifen nicht, dass sie Instrumente sehr mächtiger Menschen sind, die gerade zur Schlacht rufen.

Zur Schlacht worauf?

Ob es um Schwangerschaftsabbrüche oder Schwulenhass geht – das sind Instrumente in einem antidemokratischen Kampf. Dahinter stehen Menschen, die ganz konzentriert daran arbeiten, die Demokratie abzuschaffen.

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