Der Hausbesuch: Keine Angst vor Verzicht

In Hamburg könnte Containern straffrei werden. Katharina Heinrich und Mischa Bareuther leben schon lange von Weggeworfenem.

Eine jung Frau und ein junger Mann sitzen auf dem Sofa. Vor ihnen auf dem Tisch ist eine Fülle von lebensmtiteln ausgebreitet

Wer containert, hungert nicht Foto: Joanna Nottebrock

Sie leben von dem, was andere wegwerfen. Nach einem Auslandssemester in Indien mit Praktikum auf einer Farm für Saatgutbewahrung sind Katharina Heinrich und Mischa Bareuther wieder in Göttingen. Sie schreiben an ihren Bachelorarbeiten. Einmal in der Woche gehen sie mit anderen Containern.

Draußen: Eine Neubausiedlung mit pflegeleichtem Abstandsgrün, als Arbeitersiedlung in den 1970er-Jahren gebaut. Früher galt der Ort als „sozialer Brennpunkt“, heute leben auch viele Studierende hier. Neben dem Nachbarschaftszentrum aus bröckeligem Beton und den gewaschenen Autos am Straßenrand fallen die Fahrräder auf, die vor den Häusern stehen.

Drinnen: Eine helle kleine Wohnung, zwei Sofas, zwei Schreibtische, Musikinstrumente und Reisefotos. In der Küche lagern in Kisten und Körben gerettete Lebensmittel, der Kühlschrank ist übervoll. Der Blick aus dem Fenster fällt auf einen Gewerbehof voller Gerümpel.

Gasthauskind: Katharina Heinrich ist ein Gasthauskind. Ihre Eltern führten in vierter Generation im Dorf Rothenbürg im Frankenwald das Wirtshaus „Zum heiteren Blick“. In ihrer Kindheit gab es auf dem Dorf mehr Kühe als Menschen. Die Oma hatte noch ein Hausschwein. Nach dem Realschulabschluss machte Katharina Heinrich eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin und bekam eine Anstellung in einer Apotheke in Hof. Acht Jahre arbeitete sie in dem Beruf, hatte aber Lust auf mehr. Sie machte das Fachabitur und begann mit einem Studium der Biologischen Diversität und Ökologie. Göttingen hat sie sich gezielt ausgesucht und erst dort gemerkt, dass die Uni einen guten Ruf hat.

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Arbeiterkind: Mischa Bareuther stammt aus Oberfranken. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie in einem Dorf an der Grenze auf („Da gab es nur die freiwillige Feuerwehr – und viel Natur“). Der Vater ist Schlosser und die Mutter hatte einen kleinen Bioladen im Nachbarstädtchen, erzählt er, und dass er und seine Brüder auf die Waldorfschule gehen konnten, obwohl Geld knapp war. Nach dem Abitur machte er eine Banklehre.

Bescheiden leben: „Bei uns zu Hause gab es häufig abgelaufene Lebensmittel aus dem Laden“, erzählt Bareuther, „es musste doch gespart werden.“ Anfangs gab es auch noch Pferde, Schafe und Hühner. Dass sich der Großvater bescheiden ernährte, im Wesentlichen von dem, was seine Restlandwirtschaft abwarf, hat ihn beeindruckt.

Sackgasse: Nach drei Jahren Ausbildung, einem Freiwilligendienst in Bolivien und drei Jahren als Kundenberater bei einer Sparkasse, wollte er „was Sinnvolles tun“, sagt er. Die sich abzeichnende ökologische Katastrophe habe ihn nicht kalt gelassen. Er wollte etwas Zukunftsbezogenes studieren und schrieb sich in Göttingen in Ökosystemmanagement ein.

Die Liebe: Die beiden haben sich in Hof auf einer Fete ihres Spanischkurses kennengelernt. Die Entscheidung, doch noch zu studieren, trafen sie gemeinsam.

ein Tisch voller Lebensmittel. Zwei Hände greifen nach einzelnen Waren

Geht noch mehr? Foto: Joanna Nottebrock

Lebensmittel retten: Als sie nach Göttingen kamen, hörten Heinrich und Bareuther bei einer konsumkritischen Stadtführung, dass das Containern in der Universitätsstadt unter Studierenden gängig sei und zogen nachts mit Kommilitonen gegen Lebensmittelverschwendung los. „Containern ist laut Gesetz verboten, aber in der Regel wird es geduldet“, sagt Bareuther. Problematisch sei, wenn die Abfallbehälter auf dem Firmengelände stehen – das ist dann Hausfriedensbruch. Bareuther ist schon von Mitarbeitenden vertrieben und von der Polizei festgehalten worden („Wegen der Nichtigkeit des Diebstahls hatte das aber kein Nachspiel“).

Protest: Die Studierenden verstehen Containern als praktischen Protest gegen die Verschwendung. Als sie das erste Mal in den Abfallbehälter eines Supermarkts geguckt hätten, seien sie geschockt gewesen, erzählt Katharina Heinrich. „Was da alles drin ist, was alles weggeworfen wird, und vor allem warum.“ Weil das Etikett nicht mehr aktuell ist, weil die Sorte aus dem Sortiment genommen wird, weil eine Packung eine Delle hat. „Die Leute wissen auch nicht, dass das Haltbarkeitsdatum oft nichts aussagt, dass viele Lebensmittel Wochen bis Jahre länger haltbar sind.“ Sie gehen in Gruppen auf Containertour. Sie hätten schon in nur einer Nacht Waren im Wert von über 1.000 Euro aus den Abfallbehältern geholt.

Klimafrage: Es gehe ihnen nicht darum, Geld zu sparen, sondern darum, das Klima zu retten („Damit fällt der CO2-Footprint und der hohe Flächenverbrauch für den Anbau dieser Dinge und unserer Ernährung weg“). Dafür überwinden sie mitunter dichte Hecken oder sieben Meter hohe Zäune in finsterer Nacht. Hinterher sucht sich die Gruppe eine mager beleuchtete Unterführung, um zu teilen. Wer nimmt das eingeschweißte Fleisch? Die meisten sind Vegetarier.

Küche: „Containern macht kreativ“, erzählt Katharina Heinrich, „man muss vor allem ständig kochen. Man guckt in den Kühlschrank: Was muss als nächstes weg?“ Essen gehen oder auch die Mensa: nein. Wer einmal pro Woche containern gehe, möglichst mit Freunden, auch bei Schnee und Regen, finde ausreichend zu essen. Nur Bareuthers Lieblingsessen („Frischer Salat, Biokartoffeln und Gemüse“) gibt es nicht immer.

Bio: Beim Graben in den Abfallbehältern würden sie kaum Bio­lebensmittel finden. Die hätten sie lieber als eingeflogene Heidelbeeren aus Peru, grünen Bohnen aus Kenia und Maiskölbchen aus Thailand, die sie ständig in den Containern fänden und durch das Aufessen dann retten würden. „Man muss sich nur mal den ökologischen Fußabdruck von solchen Nahrungsmitteln vorstellen“, sagt Bareuther. Ihm kommt der Lebensstil seines Großvaters wieder in den Sinn. Die Zukunft sei nicht Monokultur, Monsanto und Exportlandwirtschaft sondern Verzicht, meint er.

Jemand, von dem man nur die Hände sieht, schmiert sich eine Käsestulle

Brot, Butter, Käse – sie finden alles in den Containern Foto: Joanna Nottenbrock

Foodsharing: Wenn die Gruppe in ihren nächtlichen Streifzügen mehr eingesammelt hat, als sie selbst verbrauchen können, verteilen sie es unter Freunden. „Und wenn dann immer noch was übrig ist, bringen wir es zum Foodsharing oder legen es in die Fairteiler, sagt er. Fairteiler, das sind öffentliche Regale, aus denen sich jeder nehmen kann, was er oder sie braucht.

Politikversagen: Beide treibt das Zukunftsthema um. Damit meinen sie ihre Zukunft und wenn sie Kinder hätten, die Zukunft von denen. „Wie schlecht es um den Planeten steht, kapiert man schnell, wenn man Umweltwissenschaften studiert.“ Gerade vergeige die Politik die Energiewende. „Man weiß gar nicht, ob man noch Kinder kriegen soll“, sagt Heinrich. „Konsequente Konsumverweigerung ist unsere einzige Chance.“ Es sei einfach verrückt, dass die Leute glauben, in 30 Jahren noch so gut leben zu können wie heute. Das Containern helfe ihnen, ihre Machtlosigkeit zu überwinden. „Je länger wir es machen, desto radikaler werden wir“, sagt Bareuther.

Verzicht: Sie jedenfalls hätten sich entschieden, nichts Neues mehr zu kaufen. Es gebe sowieso alles gebraucht. „Die Leute haben Angst vor Verzicht. Dabei muss man überhaupt nicht verzichten“, sagt er. Sie kämen gerade zurück von einer Reise nach Mazedonien und Griechenland zu einem Freund. „Statt unseren CO2-Fußabdruck mit einem Flug zu ruinieren, sind wir mit Bussen gereist – und konnten viel mehr sehen.“

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