Der Gender-Gaga-Gigi-Gugu-Kampf: Star Wars, nächstes Level
In Hessen plant die neue Koalition das Verbot bestimmter genderneutraler Schreibweisen. Die Antwort darauf ist einfach: Aufforderung zum Dialog.
D ie nächste Runde im Gender-Gaga-Gigi-Gugu-Kampf ist eingegongt. Der Schlegel war diesmal in der Hand von CDU und SPD, die in Hessen bestimmte genderneutrale Schreibweisen an Sternchen-Hotspots – Schulen, Unis und Rundfunkanstalten – verbieten wollen. In Berlin machen die Medien freiwillig mit, die Chefetage des Tagesspiegel ließ diese Woche gegenüber ihren Mitarbeitern verlauten, das Gendern bitte einzustellen. Grund sei die Zunahme an Abo-Kündigungen.
Nach Deutschland brachten das orthographische Streitobjekt übrigens taz-Redakteur_innen, die sich in den 80ern von der Schweizer Zeitung WOZ inspirieren ließen. In den letzten vierzig Jahren entpuppte es sich als wandlungsfähig, das Binnen-I wurde zum Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen. In den öffentlichen Debatten werden diese Formen meist unter letzterem subsumiert. Wahrscheinlich, weil es sich am besten dafür eignete, das auszudrücken, was seine Gegner in ihm veranschaulicht sehen: Weltfremdheit. Die wird Gendernden immer wieder attestiert, nach dem Motto, wer die Muße hat, sich die Sprache mit einem Sternchen zu schmücken, müsse sich erst mal nach den richtigen Problemen umschauen.
Die Ressentiments, die in der Debatte rund ums Gendern oft mitschwingen, lassen sich gut ins Kulturkampf-Getöse und das gern bediente Bild einer „abgehobenen urbanen Linken“ einspeisen. AfD-Politiker haben sich die Verteidigung der deutschen Sprache gegen den „Gender-Wahn“ deswegen auf die Fahnen geschrieben. Dass nun auch SPD und CDU auf diesen Zug aufspringen, zeigt, welch große Relevanz sie diesem Thema zuschreiben. In Hessen sammelte eine Kampagne gegen das Gendern zuletzt über 16.000 Unterschriften. Gendern doof, nervig, oder hypermoralisch zu finden, ist die eine Sache. Mit der Forderung nach Verboten ist aber ein neues Level in der Debatte erreicht. Woraus speist sich die große Ablehnung jener, die das Gendern verbieten wollen?
Um das zu erklären, hilft vielleicht ein Blick darauf, wie die Debatte bisher ausgetragen wurde. Seit die Philosophie im letzten Jahrhundert einen linguistic turn gemacht hat, hat sich in den Geisteswissenschaften ein Verständnis von Sprache durchgesetzt, das diese nicht nur als Abbildung der Realität, sondern als realitätsstiftend begreift. Auch deswegen wurde dem Gendern ein so großer Stellenwert von vielen Verfechter*innen zugewiesen. Solange das männliche Geschlecht im Zentrum der Sprache steht, so die Prämisse, steht es im Zentrum der Gesellschaft. Ein Wandel der Geschlechterverhältnisse setze also eine geschlechtergerechte Sprache voraus.
Machtinstrument vs Alltagswerkzeug
Auf der Contra-Seite purzelten die Gegenargumente nur so aus dem Ping Pong-Automaten. Gendern hemme den Lesefluss, sei umständlich, nach den Regeln der Grammatik streng genommen nicht durchführbar und unnötig, da das generische Maskulinum alle mitmeine. Dass es bei diesem Hin und Her blieb, lag daran, dass beide Seiten zwar von derselben Sache sprachen (der Sprache!), aber etwas anderes meinten: Die eine Seite ein Machtinstrument, die andere Seite ein nützliches Alltagswerkzeug. Dementsprechend befand erstere Seite das Schulterzucken letzterer für maximal ignorant, letztere die Forderungen ersterer für maximal nervig. Und weil beide davon ausgingen, dass beide dasselbe meinten, gab es noch weniger Verständnis für die jeweils andere Seite. Vorwürfe der „Gewaltausübung“ und „Diskriminierung“ wurden gegen Vorwürfe des „Zwangs“ in Stellung gebracht. Als Konsequenz daraus folgt, dass dem vermeintlichen „Zwang“ nun Verbote entgegengesetzt werden.
Kampagnen gegen das Gendern, wie sie aktuell in Hessen geführt werden, sammeln keine Stimmen mit Sachargumenten; sondern damit, dass sie denen, die in dieser Frage moralische Überlegenheit behaupten, eins reindrücken. Nun auf feministischer Seite im Modus der Empörung zu verbleiben, wird da nicht weiterhelfen. Besser wäre es, erst recht einen Dialog einzufordern und altbekannte Argumente zu hinterfragen. Beim geplanten Verbot in Hessen geht es etwa darum, die Sprache in ihrer „offiziellen“ Form nicht zu verkomplizieren, zugleich wird proklamiert, Sprache müsse sich natürlich verändern und dürfe nicht durchs Gendern verkünstlicht werden.
Was jetzt?! Ist Sprache nun natürliches Gestrüpp oder amtliches Regelwerk? Sind Wortneuschöpfungen per se schlecht (wieso erlauben wir den Jungen dann das TikTok und den „Cringe“?) Und wenn die Unkompliziertheit des Schreibens und Sprechens das oberste Gebot sein soll, wieso verlagern wir unsere Kommunikation dann bereitwillig in digitale Räume, deren technische Gegebenheiten diese tendenziell erschweren (immerhin ist die Durchschnittstastatur immer noch ein Parcours für den Durchschnittsdaumen)? Ein bisschen unaufgeregter ließe sich vielleicht eher ins Sprechen kommen.
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