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Der Fall OfarimWarten auf das Landgericht

Muss sich der jüdische Musiker Gil Ofarim einem Verleumdungsprozess stellen? Nach der Anklageerhebung dürfte sich das bald klären.

Ist unter anderem wegen Verleumdung angeklagt worden: Musiker Gil Ofarim Foto: dpa

Dresden taz | Der jüdische Musiker und Schauspieler Gil Ofarim habe mit seinen vorerst nicht belegbaren Unterstellungen antisemitischer Beleidigungen dem Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst erwiesen: In diesem Sinne äußern sich viele Kommentatoren, nachdem Ofarim am Donnerstag von der Staatsanwaltschaft Leipzig wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung angeklagt wurde. Jüdische Institutionen halten sich mit solchen Vorwürfen allerdings zurück. Gewarnt wird vor einer vorzeitigen öffentlichen Verurteilung des momentan wenig glaubwürdig erscheinenden Künstlers.

Der 39-jährige Gil Ofarim behauptete, am Abend des 4.Oktober 2021 von einem unbekannten Hotelgast und einem als „Herr W.“ bezeichneten Mitarbeiter des Leipziger Westin-Hotels in der Lobby herabsetzend behandelt worden zu sein. Ein Übernachtungswunsch wurde angeblich verweigert, weil Ofarim offen eine Kette mit Davidstern trug. Ofarim verbreitete ein entsprechendes Video, das laut Staatsanwaltschaft „große und überregionale öffentliche Wahrnehmung“ erfuhr. Der Musiker und der Hotelmitarbeiter zeigten sich gegenseitig an.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Angestellten aber wurde nun eingestellt. Zahlreiche Zeugen wurden zuvor vernommen und die Aufzeichnungen der Überwachungskameras im Hotel ausgewertet. Der von Ofarim geschilderte Vorfall habe sich „tatsächlich so nicht ereignet“, erklärt die Staatsanwaltschaft Leipzig.

Stattdessen wird nun der Sänger selbst wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung angeklagt. Er habe das Video „mit dem Wissen um die Unwahrheit seiner Aussagen“ verbreitet und die Behauptungen bei seiner polizeilichen Vernehmung wiederholt. Wegen der öffentlichen Bedeutung des Falles ist die Anklage gleich beim Landgericht Leipzig erhoben worden.

„Bärendienst“ oder nicht?

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, hatte sich im November nach ersten Zweifeln an den Anschuldigungen Ofarims deutlicher geäußert als jetzt. Sollten sie zutreffen, „hätte Gil Ofarim dem Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst erwiesen“, sagte Schuster damals. Man habe die Anklageerhebung „zur Kenntnis genommen“, teilt Schuster nun mit. Der Zentralrat werde das Verfahren mit Interesse verfolgen, ohne Vorverurteilungen vorzunehmen. Die Israelitische Gemeinde in Leipzig und der Landesverband Jüdischer Gemeinden in Sachsen waren nicht für Statements zu erreichen.

Von einem „Bärendienst“ sprachen in einer MDR-Straßenumfrage auch Leipziger Bürger. Ein Passant schilderte allerdings auch, dass er den Mitarbeitern des Westin-Hotels Blumen gebracht habe. Nach Angaben des Hotels waren sie nach den Anschuldigungen Ofarims persönlich und in den sozialen Medien bedroht worden.

Auch die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) hatte im Oktober den „offenen Antisemitismus“ im Hotel als „unsäglich und unerträglich“ bezeichnet. Die AfD-Landtagsfraktion fordert deshalb jetzt ihre Entlassung. Der Leipziger Linken-Landtagsabgeordnete Marco Böhme rechtfertigte hingegen die damalige Demonstration von „Leipzig nimmt Platz“ vor dem Hotel mit der Vielzahl antisemitischer Vorfälle im Land.

Kretschmer löscht Tweet

Für heftige Reaktionen auch aus konservativen Kreisen sorgte ein inzwischen gelöschter Tweet von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). In den vergangenen Jahrzehnten sei „ein großes Vertrauen zwischen Deutschen und Juden gewachsen“, schrieb er. Diese Unterscheidung verweise selbst auf latente Ressentiments, heißt es in Kommentaren.

Während Kretschmer bereits eine Entschuldigung von Gil Ofarim verlangte, wird das Landgericht Leipzig voraussichtlich in den kommenden beiden Wochen entscheiden, ob es die Anklage zulässt und das Hauptverfahren eröffnet. Die Höchststrafe für falsche Verdächtigung und Verleumdung beläuft sich auf fünf Jahre Freiheitsentzug.

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18 Kommentare

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  • Für Ofarim gilt das Gleiche wie für den ex-beschuldigten Hotelangestellten: er ist unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist, im Zweifel vor Gericht.

    Auf wenn es schwerfällt - Vorverurteilungen helfen nicht weiter, sie bringen nur Unfrieden.

  • "Die Israelitische Gemeinde in Leipzig und der Landesverband Jüdischer Gemeinden in Sachsen waren nicht für Statements zu erreichen."

    Welche Statements sollten die genannten jüdischen Gemeinden denn abgeben? Ich stelle fest, dass der Fall Ofarim in den Medien mehr Beachtung findet als klar erwiesene Fälle von Antisemitismus in Deutschland. Was sagt uns das über den Umgang mit Antisemitismus in Deutschland?

    • @Elena Levi:

      Sehr richtig. So echt was zur Sache beitragen können sie nicht. Das hat aber im Zweifel auch niemanden gestört, als sie vor einigen Monaten in Reaktion auf Ofarims Film sehr deutliche und abschließende Meinungen über Leute geäußert haben, die sich nun als unschuldige Opfer eines sehr realen und ungewöhnlich schweren Shitstorms herausstellen könnten.

      Medien haben eine natürliche - und nicht mal falsche - Tendenz, den polititischen Stakeholdern etc. genau dann Fragen zu stellen, wenn die gerade Schwierigkeiten haben, Antworten zu finden. Das gilt jetzt natürlich für Jeden, der seinerzeit wortgewaltig Herrn Ofarim zur Seite gesprungen ist, ohne dabeigewesen zu sein. Ob es dem einen oder anderen Mitglied der journalistischen Zunft besondere Freude bereitet, ganz bestimmten Beteiligten ihre möglicherweise vorschnellen Positionierungen unter die Nase zu reiben, gehört daher auch wieder ins Reich der Spekulation...

  • Ich halte das Ganze für einen völlig aus dem Ruder gelaufenen Confirmation Bias: Ofarim hat sich offensichtlich schlecht behandelt gefühlt, und da er Jude ist, hat er das Eine mit dem Anderen verknüpft und impulsiv überreagiert. Das war nicht mal unbedingt eine Lüge, zumal es sich in den Kontext der permanenten Aufgeregtheit und Überempfindlichkeit bestens eingefügt hat - siehe jetzt der brave Herr Kretschmer, der sicher auch kein Antisemit ist, aber besser geschwiegen hätte. Apropos Schweigen: All diejenigen, die jetzt wieder die üblichen wohlfeilen Binsen in Richtung Medien absondern, solten sich ihre Ratschläge an den dafür geeigneten Ort zurückstecken. Das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter der Deutungshoheit, und wer nicht zuerst kreischt, verliert.

    • @yor:

      Wenn es sich so verhält wie Sie schildern war das veröffentlichte Video definitiv eine Lüge und wohl auch strafrechtlich relevant

    • @yor:

      Er hat, wenn die Ermittlungen stimmen, eine Aussage erfunden (= Lüge) und deswegen eine Anzeige erstattet. Mit einer "confirmation bias" hat das gar nichts zu tun.

  • "Diese Unterscheidung verweise selbst auf latente Ressentiments, heißt es in Kommentaren."

    Ernsthaft? Die Tweets waren klar antisemitisch, und das wurde dargelegt. Dass jemand maximal vage "Latente Ressentiments" beklagt hat, ist schwer vorstellbar.

    Einen wirklich guten Kommentar hat Sibel Schick im Kreuzer veröffentlicht:

    kreuzer-leipzig.de...en-herr-kretschmer

  • Nicht der erste Fall, wo Journalisten besser genau hinschgeschaut und im Zweifel lieber abgewartet hätten, statt vorschnell das gesamtgesellschaftliche Antisemitismusfass aufzumachen. Dieser Fall zeigt, dass das mächtig nach hinten losgehen kann.

    • @Phineas:

      Gibt es eigentlich auch ein gesamtgesellschaftliches Antirassismus-Fass oder bleibt diese Art von Fässern dem Hass auf Juden vorbehalten?

  • Liebe taz-Redaktion, wie stehen eigentlich die Chancen, dass Gil Ofarim nicht die Unwahrheit gesagt hat und die Vorwürfe "nur nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnten"?



    Weder im vorliegenden Artikel noch bei anderen Medien konnte ich dazu Details finden. Die Aussage "tatsächlich so nicht ereignet" könnte auch bedeuten, dass Gil Ofarim in der Aufregung zwar Details verwechselt hat, aber die Vorwürfe im Kern stimmen. Er war meiner Erinnerung nach ja recht aufgelöst damals.



    Es könnte auch sein, dass sich das von Ofarim geschilderte überhaupt nicht hatte abspielen können, z.B. weil auf den Videos ganz andere Beteiligte zu sehen sind.



    Ein bisschen kritische Berichterstattung in dem heiklen Fall fände ich besser. Auch deswegen, weil das besagte Bundesland gewisse "Probleme" mit dem Thema Aufarbeitung zu haben scheint.

    • @Terraformer:

      Vielen Dank an alle Rückmeldungen. Dann warte ich mal ab, wie der Prozess gegen Gil Ofarim ausgeht.

    • @Terraformer:

      Gibt im aktuellen Spiegel einen Artikel dazu. Die Beweislage gegen den Sänger (Zeugen, Videos, Aussageverhalten) ist, auch aufgrund erheblicher Ermittlungsanstrengungen, gut. Hierbei geht es nicht um Details sondern Kernpunkte.

    • @Terraformer:

      Es gibt da aktuell gar nicht so viele neue Fragen zu berücksichtigen.

      Die Staatsanwaltschaft hat sehr akribisch ermittelt und alle Hausaufgaben abgehakt. Es wurden mehrere Gutachten erstellt, Szenen nachgestellt etc. Man hat sich die Sache nicht leicht gemacht.



      Am Ende der Ermittlungen stand für die Staatsanwaltschaft nicht nur fest, dass hier etwas nicht so geschehen ist wie verlautbart, es ist der Anklage nach auch vorsätzlich gehandelt worden.

      Etwa 30 Personen waren zum betreffenden Zeitpunkt im Foyer des Hotels. Mehrere Zeugen in unmittelbarer Nähe. Eine einzige Person gab eine Aussage zu Protokoll, die Ofarims Anschuldigung unterstützt. Ansonsten gab es einige Aussagen, die gegenteiliges darstellen. Demnach soll Ofarim wegen des Vorziehens zweier Gäste, die bereits eingecheckt waren, aufgebracht gewesen sein und gar gedroht haben ein virales Video zu veröffentlichen.



      Entscheidend für zumindest ein Anklagepunkt gegen Ofarim soll auch gewesen sein, dass er die Anschuldigungen gegenüber den Behörden im Rahmen einer Anzeige nochmals wiederholt habe.



      Kurzum: die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass Ofarim bewusst und vorsätzlich gehandelt hat. Nun gilt es vor allem abzuwarten wie es das Gericht nach Anhörung aller Beteiligten und Begutachtung aller Aspekte bewertet.

    • @Terraformer:

      Beide Szenarien sind denkbar: Antisemitische Äußerungen im Hotel oder auch ein PR-Gag eines B-Prommis. Ich erinnere mich an den "Fall Kachelmann", da haben sich die Medien und Emma auch erst mal auf den Wettermoderator gestürzt und ihn verurteilt, am Ende waren die Anschuldigungen aber haltlos.



      Gerade weil Sachsen bzgl Antisemitismus einen gewissen Ruf hat, sollte mit Urteilen sehr sorgfältig umgegangen werden.

    • @Terraformer:

      Kritische Berichterstattung gibt es dann sicherlich aus dem Prozess. Jetzt wurde die Anklage mitgeteilt, wer alles nicht zu erreichen war und diverse Stellungnahmen. Für den Status quo also umfassend. Kritisch übrigens auch schon dahingehend, dass der Zentralrat der Juden scheinbar eher allein dasteht was eine Vorverurteilung angeht. Kretschmann weiß scheinbar Bescheid und fordert eine Entschuldigung. Meier wusste auch Bescheid und vorverurteilte den Mitarbeitern...

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe nicht: warum sollte es zu keinem Prozess kommen? Und - wenn schuldig - warum sollte der Beschuldigte nicht Zeit im Knast verbringen! Verleumdung von wem gegen wen auch immer ist strafbar! Trauen sich die Gerichte die Rechtsprechung in diesem Fall etwa nicht zu? Warum das denn?

    • @83635 (Profil gelöscht):

      Zur ersten Frage: Unser Strafrecht ist nach dem Prinzip aufgebaut, möglichst keinen Unschuldigen unnötig vor den Kadi zu ziehen oder gar zu verurteilen (also "in dubio pro reo" in voller Ausbaustufe). Deshalb muss, nach dem die Staatsanwaltschaft zu dem schluss gekommen ist, dass eine Anklage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Verurteilung führt, erst noch das ericht prüfen, ob es das nach dem, was die Staatsanwaltschaft so vorzubringen hat, auch so sieht und die Anklage annimmt. Erst dann wird über den Fall öffentlich verhandelt.

      Zur zweigen Frage: Das Strafmaß ist "bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe". Das lässt eine Menge Platz, und und der sollte auch "nach oben" gewahrt bleiben. Die vollen fünf Jahre sollte also nur bekommen, wer so ziemlich alle strafschärfenden Faktoren auf sich vereint und keine mildernden Umstände anführen kann.

      Beispiele: Herr Ofarim ist (soweit bekannt) unbescholten und hat erkennbar im Zustand hoher Erregtheit, also im Zweifel unbedacht, gehandelt. Das sind zwei Argumente, die die Strafe allein schon recht weit von der Höchststrafe ansiedeln würden. Sollte sich umgekehrt heraustellen, dass er nicht bloß "sich die Erschütterung von der Seele reden" sondern absichtlich einen möglichst schwerwiegenden Rufmord begehen wollte (z. B. um mal zu zeigen, welche Konsequenzen es hat, IHN nicht seinen Ansprüchen entsprechend zu behandeln), wäre das strafschärfend zu berücksichtigen.

      Am Ende landet nur im Knast, wer zwei Jahre oder mehr aufgebrummt bekommt oder wegen seiner kriminellen Vergangeneheit keine Bewährung verdient. Egal was herauskommt, dass Ofarim in diese Kategorien fallen wird, ist ziemlich unwahrscheinlich.

    • @83635 (Profil gelöscht):

      Knast ist überzogen. Strafe muss schuldangemessen sein, da dürften Sozialstunden ausreichen.