Denkmalstreit in Hamburg: Wenn Granit weich wird
Das Bismarck-Denkmal ragt über dem Hamburger Hafen in den Himmel. Derzeit wird es saniert – umso lauter erklingt die Kritik am umstrittenen Kanzler.
I m Winter ist es halb so schlimm. Wenn es spät hell wird, früh dunkel, und dazwischen der norddeutsche Himmel auch nur Schattierungen von Grau durchspielt, dann lässt sich der Hamburger Granit-Bismarck beinahe übersehen. Und das will etwas heißen: Rund 34 Meter hoch, inklusive Sockel, ist dieses Denkmal für den preußischen Politiker Otto von Bismarck (1815–1898) nicht nur weit und breit, sondern gleich weltweit das größte seiner Art. Aus 100 Blöcken Schwarzwälder Granits errichtet, nach Plänen des Architekten Emil Schaudt und des Bildhauers Hugo Lederer.
Seit 1906, da war Bismarck seit acht Jahren tot, ragt seine steinerne Repräsentation auf dem Hang über dem Hamburger Hafen empor, in einem Ausläufer der einst von Napoleons Truppen geschleiften Festungsanlagen. Er drehe der Stadt den Allerwertesten zu, so bekommen es Ortsunkundige manchmal erzählt, und dass das eine Art subversiver Distanzierung bedeute: Mit Preußen hätten sie es in Hamburg ja nie sonderlich gehabt. Ob er je ein Wahrzeichen war, darüber gehen die Meinungen auseinander, ebenso darüber, wie groß 1906 unter den Hamburger:innen die Begeisterung wirklich tobte.
Hannimari Jokinen, Künstlerin
„Das Denkmal ist eine Kreation oder ein Fantasma der Hamburger Kolonialkaufleute“, sagt Hannimari Jokinen, Künstlerin, seit vielen Jahren engagiert in der Aufarbeitung von Hamburgs Verstrickungen in den Kolonialismus, und heute Teil der Initiative Decolonize Bismarck. Errichtet worden sei es „als Dank für die Kolonien und die Berliner Finanzspritzen für die Hafenerweiterung“ –, für preußisches Geld konnten sie sich an der Elbe also durchaus erwärmen.
Seinen rekordverdächtigen Dimensionen zum Trotz: „Den Bismarck habe ich immer so aus dem Augenwinkel wahrgenommen“, auch das sagt Jokinen, „schmuddelig und voller Graffiti.“ In der Tat waren das Denkmal und die kleine Grünanlage, in der es steht, ziemlich lange das, was in Leser:innenbriefen an Lokalzeitungen gerne ein „Schandfleck“ genannt wird, wegen der vielen Graffiti und der Drogenkonsumenten, die sich manchmal hierher zurückziehen.
Aber dass der Koloss wirklich schlechte Presse hatte, weil sich im Fackelschein nationalistische Burschenschaftler hier trafen – auch ein paar örtliche Sozialdemokraten übrigens –, das ist Jahre her. Manchmal ließen die Verantwortlichen ihn vom umgebenden Grün aus dem Blick wuchern, dann wieder nahm man Geld in die Hand und ließ die Büsche stutzen.
Der seit 1960 denkmalgeschützte Granit-Ritter könnte aber gut und gerne heute eine Art Dornröschenschlaf halten, den träumenden Blick die Elbe hinab gerichtet, in Richtung der Weltmeere, die der Stadt so viel von ihrem Reichtum bescherten. Wären da nicht diese Bauarbeiten – und gäbe es nicht auch hierzulande längst die Black-Lives-Matter-Bewegung.
Geht das noch: So einen zu ehren?
Insbesondere, was seine Haltung zur wilhelminischen Kolonialpolitik angeht, wandelt sich das Bismarck-Bild derzeit. Es werden diejenigen weniger, die daran festhalten, den Mann habe man zu deutschem Engagement in Afrika geradezu zwingen müssen. Geht das also noch: So einen zu ehren, derart prominent? Darüber ist in der Stadt eine Diskussion in Gang gekommen, nicht zum allerersten Mal, aber umso engagierter in einem Jahr, da anderswo die Statuen von Sklavenhändlern in Hafenbecken versenkt werden oder sogar Blut fließt im Kulturkampf um die richtige Erinnerung an den US-Bürgerkrieg.
„Bismarck stoppen!“ war Ende Juni in Hamburg eine Kundgebung überschrieben, ausgerichtet von den Initiativen Intervention Bismarckdenkmal und Decolonize Bismarck. Die Forderung bezieht sich dabei auf die laufenden Sanierungsarbeiten an dem Denkmal, bezahlt von der öffentlichen Hand: Mindestens seit 2003 ist bekannt, dass der steinerne Eiserne Kanzler sich gefährlich gen Osten neigt, Wasser eindringt ins Fundament. „Um 2013 herum ging dann die Diskussion um eine Restaurierung des Denkmals los“, erinnert sich Jokinen. „Schon da hieß es, es würde Millionen Euro kosten, und ich habe eine erste Kritik daran online gestellt. Und gefragt: Was soll da eigentlich restauriert werden?“
Im ausgehenden Jahr nun wurde der Bismarck tatsächlich eingerüstet, von Moos, Kalk und Vogelkot gereinigt und ausgebessert. Knapp neun Millionen Euro sollen die Arbeiten am Denkmal selbst kosten, zu großen Teilen bezahlt vom Bund. Noch einmal mehr als sechs Millionen gibt die Stadt aus: für die Aufhübschung des umgebenden Elbpark-Areals. Vorgesehen ist zudem eine kommentierende Ausstellung im Sockelgeschoss.
Neben dem Geld geht es den Kritiker:innen um Grundsätzlicheres: „So eines Politikers im Stadtbild zu gedenken, heute noch, steht im Widerspruch zu einer zeitgemäßen, weltoffenen Erinnerungskultur“, sagte etwa Dirk Lau von der Initiative Intervention Bismarckdenkmal im November: Eingeladen hatte zu einem Debattenauftakt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.
Nicht nur drei Tafeln zur Erklärung hinstellen
Der Titel der Veranstaltung, „Bismarck neu kontextualisieren“, variierte einen Gedanken, den der Sozialdemokrat selbst wiederholt geäußert hat: „Wenn man als demokratischer Staat Geld in die bauliche Sanierung eines solchen Monuments investiert, dann geht das nicht, ohne dass wir uns inhaltlich dazu verhalten“, so Brosda im September zur taz. „Da kann ich nicht sagen: Ich mach den hübsch und dann freuen sich alle.“
„Wir tun dem Werk gut, wenn wir es nicht nur erklären, indem wir da drei Tafeln hinstellen“, so Brosda weiter. „Sondern indem wir da ein auch emotional erlebbares Spannungsverhältnis hinbekommen. Es geht ja immer darum: Wie hole ich die Leute aus der Situation heraus, dass sie an etwas vorbei laufen können, ohne es wirklich zu sehen. Darum, sie in ihren Wahrnehmungsroutinen zu brechen. Und das kann Kunst besser.“
Ob der Senator von selbst zu dieser Einsicht gelangt ist oder es sanften Drucks von außen bedurfte, ist nicht ganz klar: „Die Stadt hätte einfach nur saniert und aufgehübscht“, sagt Decolonize-Aktivistin Jokinen. Erst nach Protest und längeren Gesprächen sei in der Behörde die Idee entstanden,„da ein ‚Störgefühl‘“ erzeugen zu wollen. Die Künstlerin weiß von Stimmen in der Stadt, „die sagen, man sollte das Denkmal ganz abreißen. Das sage ich nicht. Als Künstlerin sehe ich in Kolonialdenkmälern auch Bilder, mit denen visuell umgegangen werden kann: indem man sie dekonstruiert, indem man Gegendenkmäler, Nachdenkmäler schafft oder direkte Interventionen in das Denkmal hinein.“
Konsens unter den Kritker:innen ist neben dem Sanierungsstopp der Ruf nach einer ergebnisoffenen Verständigung über die Zukunft des Denkmals – und dass daran maßgeblich die Menschen beteiligt werden müssen, deren Vorfahren unter dem deutschen mithin Bismarck’schen Kolonialismus gelitten haben.
Die andere Seite der Medaille
Sozusagen das andere Ende des Debattenspektrums bildet die bundeseigene Otto-von-Bismarck-Stiftung, die im November auch mit am virtuellen Tisch saß: „Wir nähern uns Bismarck wissenschaftlich, auch dem Bismarck-Mythos“, sagt Stiftungsgeschäftsführer Ulrich Lappenküper. „So kann ich mir auch eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Denkmal vorstellen – sei es durch eine dauerhafte Kommentierung, sei es durch künstlerische oder sonstige Bildungsangebote.“ Am Ende müsse „ein politischer Entscheidungsprozess stehen, und das auf der Basis eines hoffentlich breiten öffentlichen Diskurses“.
Auch hier also: Diskurs, Debatte, kritischer Einordnung des Geehrten – klingt beinahe, als gäbe es eigentlich gar keinen Dissens. Zum ganzen Bild gehört aber auch, dass Lappenküper im Juli per Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt von daneben liegenden „Bilderstürmern“ sprach und von „einschlägigen Kreisen“, für die „Bismarck Kolonialpolitik betrieben habe und ergo Rassist gewesen sei“.
Selbst wenn man das koloniale Thema umschiffen wollte, bliebe freilich immer noch genügend Problematisches – an Bismarck, aber auch konkret am Hamburger Denkmal selbst. Denn einen wesentlichen Grund für den millionenschweren Sanierungsbedarf bildet der nachträgliche Umbau des Sockels zum Luftschutzbunker im Jahr 1939. An den Wänden finden sich bis heute NS-kitschige Malereien – Hakenkreuze, aber noch mehr Adler und Schwerter und derlei – und Bismarck zugeschriebener Durchhaltesprech.
All das, so sieht es das Sanierungskonzept vor, soll wieder zugänglich werden: Plausibel ist das, weil es belegt, wie sehr Bismarck – zumal mit wachsendem zeitlichen Abstand – als Projektionsfläche für nationalistische und völkische Kräfte diente. Aber nachvollziehbar ist auch die Sorge, da werde ein Rechtsaußen-Wallfahrtsort entstehen. Heute sind es prominente Vertreter:innen der AfD, die sich sein Konterfei auf die Abgeordnetenschreibtische stellen.
Als vor einiger Zeit Hamburgs kleineres Bismarck-Denkmal im Stadtteil Altona – bis 1937 preußisch – Opfer wiederholter Farb- und Sprühattacken wurde, versuchten sich örtliche AfD-Vertreter schon einmal am Kulturkampf: Von sanften Gitarrenklängen begleitet, beklagte ein Abgeordneter die Angriffe auf „den Kanzler der Einheit“ und überhaupt: unser aller Identität.
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