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Demonstrationen in der TürkeiProteste gegen Folgen der Inflation

In mehreren Städten der Türkei protestieren Tausende, weil das Geld nicht mehr zum Leben reicht. Polizei geht gegen StudentInnen in Ankara vor.

Protest des Gewerkschaftsdachverbandes DISK in Istanbul am Sonntag Foto: rtr

Istanbul taz | Mehr als zehntausend Menschen haben am Sonntag in Istanbul gegen die explodierenden Lebensmittelpreise protestiert. Sie forderten eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns und eine andere Wirtschaftspolitik. Auch in Ankara gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Während in Istanbul der zentrale linke Gewerkschaftsdachverband DISK für die Demonstration mobilisiert hatte, waren es in Ankara vor allem Studentenverbände, die gegen mangelnden Wohnraum protestieren.

Die Gewerkschaften treibt um, dass viele ihrer Mitglieder in die Armut abzurutschen drohen, obwohl sie täglich zur Arbeit gehen. Der Hauptgrund dafür ist die galoppierende Inflation und die damit verbundenen Preissteigerungen. Vor allem die Lebensmittelpreise sind nach übereinstimmender Ansicht von Wirtschaftsexperten in den letzten 12 Monaten um rund 50 Prozent gestiegen, einzelne Grundnahrungsmittel wie Salatöl sind sogar um 130 Prozent teurer geworden. In den letzten Wochen gaben deshalb einige Supermärkte nur noch maximal 1 Liter Speiseöl bei einem Einkauf ab, weil sich die Preise fast täglich erhöhten.

Da die allermeisten Arbeiter lediglich den Mindestlohn verdienen, forderten die DISK-Demonstranten am Sonntag vor allem eine Erhöhung des Mindestlohns. Der wird von der Regierung und den Tarifparteien derzeit nun ausgehandelt. Während die 3.500 Lira Mindestlohn vor einem Jahr noch gut 400 Euro wert waren, sind es jetzt nur noch 230 Euro. Die Gewerkschaften fordern jetzt 5.200 Lira.

Opposition fordert Neuwahlen

Während in Istanbul die Kundgebung der Gewerkschaft von der Polizei relativ unbehelligt blieb, schritt die Gendarmerie in Ankara gegen die Studentenproteste massiv ein. Bereits am Morgen wurden Busse mit Studenten aus anderen Städten gestoppt und an der Weiterfahrt nach Ankara gehindert. Von denen, die dennoch im Stadtzentrum protestieren wollten, nahm die Polizei 90 Personen fest. Seit Monaten protestieren die Studenten, weil sie angesichts der steigenden Preise die Wohnungsmieten nicht mehr zahlen können.

Am letzten Wochenende hatte die größte Oppositionspartei CHP trotz Verbot eine Großdemonstration in der südtürkischen Hafenstadt Mersin durchgeführt. Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu forderte vorgezogene Neuwahlen, weil Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Land in die wirtschaftliche Katastrophe führe. „Die Finsternis muss enden“, ist die Parole der Opposition.

Hintergrund der Proteste ist die größte Wirtschaftskrise, die die Türkei derzeit durchmacht, seit Erdogan, damals noch als Ministerpräsident, 2003 die Regierung übernahm. Opposition und viele Ökonomen werfen ihm vor, durch seine religiös motivierte Niedrigzinspolitik den Verfall der Lira anzuheizen und damit Inflation und Preissteigerungen mit anzutreiben. „Die Regierung fährt die türkische Wirtschaft an die Wand“, rief deshalb auch Gewerkschaftschef Adnan Serdaroğlu den Protestierenden zu. „Sie muss abtreten, bevor es noch schlimmer wird.“

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1 Kommentar

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  • Danke dafür, dass sie es im Gegensatz zu den meisten anderen Berichten benennen, dass Erdogans Niedrigzinspolitik religiös motiviert ist, zumindest auch. Den allumfassenden Anspruch des islamistischen Fundamentalismus (bitte nicht als Islam verstehen) kann man sich kaum vorstellen. Seine Rede vom "Dreiklang des Bösen" oder "Dreieck des Teufels" über Zins, Wechselkursen und Inflation anfangs November 2020 wies deutlich in diese Richtung. Wie unbeirrt er an seiner Politik festhält, passt ebenfalls zu einer fundamentalistischen Überzeugung.