Demo gegen Labour-Antisemitismus: Englische Ironie
In der Labour-Partei gibt es einen Antisemitismus-Skandal nach dem anderen. Nun protestierten hunderte Juden und Unterstützer dagegen.
Für Sonntag, eine Woche vor dem Parteitag der britischen Labour-Partei, hatten zwei britisch-jüdische Organisationen, der jüdische Dachverband Board of Deputies und die Vereinigung jüdischer Gemeinschaftsführer Jewish Leadership Council, zum Protest gerufen. Die beiden gelten mehr oder weniger als offizielle Stimme der britischen Juden.
Schon im April hatten die beiden Gruppen zu einer Protestveranstaltung vor dem Parlament in London aufgerufen. Die Demonstration führte zu einem monatelangem Streit um Antisemitismus in der Labour-Partei. In der Folge jagte ein Skandal nach den nächsten. Auch jetzt, zwei Wochen nach der Verabschiedung einer Definition von Antisemitismus gemäß der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) durch die Parteiführung, scheint die Krise keineswegs beendet.
Liz Arif-Fear, Muslimin aus Süd-London, ist extra nach Manchester gereist, um sich solidarisch mit jüdischen Menschen zu zeigen. Es sei jedoch keine vollkommen positive Erfahrung gewesen, gesteht sie. Ein jüdischer Sicherheitsbeamter habe ihre Tasche durchsucht. Sie glaubt, dass er sie aus der Menge zog, weil sie als einzige in der Menge ein Kopftuch trug: „Ich verstehe das zwar irgendwie, aber es schmerzt.“ Dennoch ist sie sich im Klaren, warum sie kommen wollte: „Ich spüre und erlebe eine antisemitische Unterströmung in der britischen Gesellschaft und wollte mich dagegen äußern.“
Patriotismus und englische Ironie
Arif-Fear, 30, die unter „Voice of Salam“ bloggt, glaubt, dass der steigende Antisemitismus Teil der gesellschaftlichen Polarisierung ist, in der auch der Islam als Problem erscheint. Auf der Veranstaltung im Memorial Park war sie jedoch nur eine von wenigen nicht-jüdischen Personen. Das ist schlecht, bedauert sie, „denn gemeinsam könnten wir gegen diese rassistischen, islamophoben und antisemitischen Störtendenzen besser ankommen.“
Ewans erzählt, dass auch er persönlich Antisemitismus gegen Juden beobachten konnte, vor allem in den sozialen Medien: „Viel davon liegt im Bereich der Verschwörungstheorien.“ Auch Labourchef Jeremy Corbyn habe Aussagen gemacht, die in diese Richtung gingen, beispielsweise als er nach einem Bombenanschlag in Ägypten mutmaßte, Israel stünde dahinter. „Von Labour, anders als von anderen Parteien, erwarte ich Besseres“, sagte er. Auch ein Repräsentant der Kommunistischen Liga, die auf der Demo einen Stand aufgebaut hat, kritisiert Labour.
Die Rednerbühne selbst wird von zwei riesigen Union Jacks geschmückt. Um den britischen Charakter zu untermalen, wurden kleine Fahnen auch unter den Anwesenden verteilt, die sich mit Plakaten mit Davidsternen und einigen Israelflaggen vermischen.
Wieso dieser Patriotismus? Im August kam an die Öffentlichkeit, dass Corbyn im Jahr 2013 von „Zionisten, die wahrscheinlich ihr gesamtes Leben in Großbritannien lebten“ sprach, und sie beschuldigte, weder Geschichte noch englische Ironie zu verstehen. Nicht nur die Union Jacks sollten dem nun widersprechen, viele der Redner begannen ihre Ansprachen absichtlich mit ironischen Bemerkungen.
Kurz vor Jom Kippur
Zu Beginn der Protestaktion erinnerte einer der Sprecher an eine Reihe von antisemitischen Kommentaren und Aufdeckungen der letzten drei Monate. In ihnen hieß es beispielsweise, dass Antisemitismus-Vorwürfe nur eine Verleumdungskampagne seien oder von Israel gesteuert würden oder dass es sich um böswillige Haltungen von fanatischen Juden und Blair-Unterstützern handele. Es gab sogar Lob für Jeremy Corbyn von Seiten des ehemaligen Grand Wizards des Ku Klux Klan, David Duke, und des ehemaligen Führers der rechtsextremen Partei Nick Griffins für seine Worte über Juden.
Die Präsidentin des Dachvereins Board of Deputies, Marie van der Zyl, gab sich in ihrer Ansprache frustriert über den gerade vergangenen Sommer und verlangte, dass Corbyn sich entschuldigen solle und Verantwortung für seine eigenen Taten übernehmen müsse. Die Partei solle endlich handeln.
Die Beifügung einer Präambel zur Adoptionserklärung der IHRA-Definition von Antisemitismus wurde nicht nur von ihr kritisiert. Alle Sprecher waren sich einig, es fehlten vor allem Taten hinter den Worten der Partei. Allen voran viel hierbei Ephraim Mirvis auf. Mirvis ist Hauptrabbiner der britisch-jüdischen Gemeinschaft.
Der Zeitpunkt seiner Ansprache, genau wie der der Veranstaltung konnte dabei, rein jüdisch gesehen, nicht bedeutender gewesen sein. Der jüdische Kalender steht nämlich kurz vor dem Feiertag Jom Kippur, der am Dienstagabend beginnt. Hier wollen jüdische Menschen auf den richtigen Weg zurückkehren.
Das sollten auch Labour und Jeremy Corbyn tun, verlangte Mirvis. „Wir sind eine starke und resistente britisch-jüdische Gemeinschaft. Wir werden uns nicht verängstigen lassen oder leise werden“, warnte Mirvis.
Hoffnung, dass die Protestaktion wirkt
Die Veranstaltung, bei der neben konservativen Politikern auch die in den letzten Monaten gemobbten und antisemitisch beschimpften Labour-Abgeordneten Margarete Hodge und Louise Ellman sprachen, wurde mit einem Gebet des Hauptrabbiners sowie mit der israelischen und britischen Nationalhymne beendet.
Lara, 33, eine orthodoxe Mutter aus Sheffield mit rosa-farbenem Kopftuch, hofft, dass die Protestaktion etwas bewirkt hat. Sie spricht offen von ihrer Angst: „Ich wurde vor 14 Tagen gegenüber von meinem Haus und vor meinen Kindern als Jüdin verbal angegriffen.“
Antisemitische Vorgänge in Großbritannien verbuchen momentan Rekordzahlen. 85 Prozent aller britisch-jüdischen Menschen halten sowohl Labour als auch Parteichef Corbyn für antisemitisch. „Corbyn hat es geschafft die Juden zu vereinen.“ Wenn das nur nicht ironisch gemeint war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen