Debatte um andere Impfreihenfolge: Stur bürokratisch
Es ist typisch deutsch: Immer schön der Reihe nach impfen. Doch dieses Prinzip verhindert fatalerweise eine schnellere „Durchimpfung“ der Bevölkerung.
A straZeneca sofort und für alle, die den Impfstoff gespritzt haben möchten, auch wenn sie noch nicht an der Reihe sind! An dieser Stelle könnte der Kommentar auch schon zu Ende sein. Denn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der diesen Vorschlag gemacht hat, liegt völlig richtig. Bevor über eine Million AstraZeneca-Impfdosen ungenutzt in den Kühlhallen vergammeln, sollten sie jenen Menschen zugutekommen, die sich damit impfen lassen wollen – und das jenseits der vorgegebenen Impfreihenfolge.
Man könnte dem CSU-Mann populistischen Stimmenfang vorwerfen. Oder den Pragmatismus anerkennen, der hinter diesem Vorstoß liegt. Was spricht gegen einen geänderten Impfplan, wenn der alte zu unnötigen Impfverzögerungen führt? Hierzulande haben noch nicht einmal 5 Prozent der Menschen die erste Spritze erhalten. Im internationalen Vergleich ist das lächerlich wenig. In Israel ist bereits über die Hälfte der Einwohner:innen ein erstes Mal geimpft worden. Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in den USA und in Großbritannien wird geimpft, was das Zeug hält. Selbst auf den Seychellen hat mehr als die Hälfte der Bewohner:innen die erste Anticoronaspritze erhalten.
Hierzulande gibt es Impfpriorisierungen: erst die ganz Alten in den Pflegeheimen, dann die etwas weniger Alten sowie medizinisches- und Pflegepersonal, dann die chronisch Kranken und so weiter und so fort. Das ist grundsätzlich richtig, um soziale Ungerechtigkeiten zu vermeiden und Leben zu retten. Aber es ist auch typisch deutsch und vor allem stur bürokratisch: Immer schön der Reihe nach, schließlich muss alles seine Ordnung haben! Dieses Prinzip verhindert allerdings eine schnellere „Durchimpfung“ der Bevölkerung.
Aber was, wenn es jetzt einen Run auf Impfzentren gibt, ein heilloses Chaos entsteht und auch noch Impfvordrängler:innen Schwächere zur Seite schubsen? Diese Angst ist vermutlich unbegründet. Bislang haben sich die Bürger:innen ziemlich deutsch und bürokratisch verhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen