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Debatte um Wehrpflicht„Viele wissen gar nicht, was Musterung ist“

Seit der Bund ein neues Wehrpflicht-Gesetz plant, laufen bei der DFG-VK die Telefone heiß. Am Dienstag diskutiert Referent Yannick Kiesel in Hamburg.

Selber entscheiden, wohin man geht. Protestschild am Rande des Camps „Rheinmetall entwaffnen“ Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Kiesel, die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt. Wie kommt es, dass die Deutsche Friedensgesellschaft, Vereinigung der Kriegsdienstverweigerer weiter existiert?

Yannick Kiesel: Wir sind ja nicht nur die Verweigerer-Organisation, auch wenn wir dazu von den 1960ern bis in die 90er verstärkt Beratung angeboten haben. Aber das Thema Krieg und Frieden blieb ja. Unsere Arbeit war schon immer, gegen Militarisierung die Friedensstimme in die Debatte zu bringen.

taz: Wie viele Mitglieder haben Sie denn?

Kiesel: Bundesweit rund 3.500, Tendenz ist steigend, einfach aufgrund der Wehrpflichtdebatte. Darunter sind viele alte Friedensbewegte aus den 80ern. Aber nun kommen verstärkt Jüngere zu uns.

taz: Wann hatten Sie zuletzt eine Beratung?

Kiesel: Die Beratung machen Ehrenamtliche. Wir haben tagtäglich eine steigende Zahl von Beratungen. Wir bieten gerade Kurse dafür an und bauen unsere Kapazitäten aus, um den Ansturm, den wir durch das neue Wehrpflichtgesetz erwarten, zu bewältigen.

taz: Wer ruft denn da an und weshalb?

Kiesel: Es sind viele junge Menschen, die noch nie mit der Wehrpflicht in Berührung gekommen waren. Viele wissen gar nicht, was Musterung ist. Sie sind unsicher, ob sie jetzt ein Jahr ihres Lebens verlieren? Ob sie verweigern können – und was die Bundeswehr überhaupt von ihnen möchte,

taz: Die haben Informationsbedarf?

Kiesel: Exakt. Ich bin jetzt 32 und bin nicht mehr gemustert worden, bekam das aber bei Freunden mit. Menschen, die nach 2000 geboren sind, wissen davon einfach oft nichts.

Diskussion und Vortrag

„Kriegstüchtig auf Kosten demokratischer Rechte?“: 9. 9, 19 Uhr, im Jugend- und Stadtteilhaus Tesch, Max-Brauer-Allee 114, Hamburg

taz: Man hört auch gute Gründe für den Bund. Hadert die Jugend mit der Frage?

Kiesel: Viele junge Menschen denken erst mal, Wehrpflicht ist sinnvoll, da lernt man Disziplin. Aber wenn die Frage heißt, möchtest du jemanden mit deiner Waffe töten oder für Deutschland in den Krieg ziehen, dann sind die Antworten plötzlich ganz andere.

taz: Nun sollen ab 2027 alle 18-Jährigen einen Fragebogen zur Wehrpflicht ausfüllen, die Männer müssen es sogar. Löst das Ängste aus?

Kiesel: Auf jeden Fall viel Unsicherheit. Noch soll der Dienst freiwillig sein. Aber man landet in der Kartei der Bundeswehr und kann theoretisch verpflichtet werden, wenn die Regierung die Pflicht auslöst. Bisher konnte man der Weitergabe seiner Adresse widersprechen. Das geht künftig nicht mehr. Das finden wir einen schwerwiegenden Eingriff.

taz: Sie reden heute in Hamburg zum Thema „Kriegstüchtig auf Kosten demokratischer Rechte?“. Welches Recht meinen Sie?

Kiesel: Das Recht, zu entscheiden, ob man an einem Militärdienst teilnehmen möchte oder nicht. Durch das Wehrpflichtgesetz bleibt der Bundesregierung die Hintertür, wirklich eine Gesamtpflicht einzuführen. Das nimmt vor allem den jungen Menschen die Mündigkeit, selbst zu entscheiden, wohin sie gehen.

Bild: Sandra Kühnapfel
Im Interview: Yannick Kiesel

32, Humangeograph, ist Referent der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigung der Kriegsdienstverweigerer (DFG-VK).

taz: Was tut der Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein?

Kiesel: Wir führen Kundgebungen durch und beraten. Wir haben bei uns Menschen, die haben das schon vor 30 Jahren gemacht und wissen, wie man ordentlich berät. Wir haben jetzt eine größere Website gestartet, auf der die Leute selbst erst mal testen können: Bin ich überhaupt in der Lage zu verweigern? Wie ist meine Situation?

taz: Wieso ist das verweigern so schwierig, dass man Beratung braucht?

Kiesel: Die Verweigerung geht nur mit Berufung auf die Gewissensfreiheit. Hier muss der eigene Lebensweg erklärt werden, die Motive, warum man verweigert. Es gibt auf rechten Seiten KI-Tools, die so einen Text schreiben. Da raten wir von ab. Diese Anträge werden meistens nicht anerkannt. Wir sprechen mit den Leuten persönlich und versuchen, ihnen zu erklären, wie man am besten die Schreiben formuliert. Das ist eine wichtige Sache.

taz: Kann man denn jetzt schon verweigern?

Kiesel: Ja. Es kommen auch Reservisten zu uns, die vor 30 Jahren ihren Wehrdienst leisteten. Die können eingezogen werden und kommen zu uns, weil sie nicht mehr bereit sind, mit der Waffe zu kämpfen.

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10 Kommentare

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  • Ich wußte 1977 auch gar nicht, was eine Musterung ist und erst hinterher, wie sie abläuft. In welcher Weise das ein Argument für oder gegen irgendwas sein soll, erschließt sich mir nicht. Trotz Smartphone ist auch die Jugend von heute noch nicht vollkommen lernunfähig.

  • Steht alles irgendwo im Netz:



    de.wikipedia.org/w...nstvorschrift_46/1



    Die Kreiswehrersatz-Ämter u. die zivilen "Standortärzte" für d. Musterung sind aber passé.



    Aus einem Artikel der taz 1988 zum koordinierten Sanitätsdienst:



    "Militärärzte greifen nach Zivilmedizin



    ■ Militärarzt fordert Dienstpflicht für Ärzte und Umstrukturierung des Zivildienstes / Kriegsdienstverweigerer sollen Reservisten–Status mit Übungspflicht erhalten / Hardthöhe sieht darin „Grundlage weiterer Überlegungen“ / Bundesweiter KDV–Kongreß gegen Militarisierung"



    Ein Revival denkbar?



    Weiter dort:



    "Die Planung im Gesundheitswesen müsse auf eine enge zivil– militärische Zusammenfassung aller vorhandenen Kapazitäten ausgerichtet werden. Da nach 40jähriger Friedenszeit der „Erfahrungsschatz“ aus dem letzten Krieg verloren gegangen sei, fordert Schultze eine Änderung der Approbationsordnung der Mediziner: Sie müßten sechs Monate lang in dieser Notstands– Medizin ausgebildet werden. Da anders das Personalproblem nicht zu lösen sei, dürfe auch eine Dienstverpflichtung für alle Ärzte und das medizinische Assistenzpersonal „kein Tabu“ sein. In die Ausrichtung des Gesundheitswesens für Kriegszwecke..."

  • Also so kompliziert war die Verweigerung nicht. Lasst mal die Kirche im Dorf…

  • Jedes Land hat eine Armee, entweder die Eigene oder eine Fremde.



    Ziel einer starken Armee ist nicht der Krieg, sondern durch Stärke den Frieden zu sichern. Jeder muss für sich selber entscheiden, was ihm wichtig ist.

    • @Nico-1:

      Viele haben schon lange entschieden, wer unterm Strich kommt.

    • @Nico-1:

      Den Blödsinn redet uns die Politik dieser Tage gerne ein. Man sichert nicht den Frieden, man sorgt lediglich für militärische Ruhe. Bei den Ursachen für Konflikte kommt man damit nicht weiter und sorgt ggf. erst recht für Spannungen (Wettrüsten).

      Das hatten wir alles schon einmal– das nannte sich dann kalter Krieg und im Osten sang man dazu „Kleine weiße Friedenstaube… komm recht bald zurück“. ;)

  • Oh je, jetzt kommen wieder die Zeiten, in denen junge Verweigerer vor dem Ausschuss des Kreiswehrersatzamt stehen und gefragt werden, ob sie, wenn sie mit einer Freundin im Park angegriffen würden, nicht bereit wären, ihre Freundin zu verteidigen.

    • @Il_Leopardo:

      Schöne Anekdote - aber Falle der Bezugnahme auf eine persönlichen Notwehrsituation wurde und wird nie das Recht auf die Verweigerung des Wehrdienstes entschieden - auch wenn die Bekannte der Schwester eines Freundes einen Bruder hat, dem genau das passiert ist. Das gehört in den Bereich urbane Legenden.

      • @Zven:

        "Die Vorgehensweise in den (...) Verhandlungen waren ein dauerhafter Streitpunkt. Bevorzugt wurden Szenarien vorgestellt, die teilweise jenseits jeder Wahrscheinlichkeit lagen. Ein Beispielszenario, (...), war, dass man sich nach dem Untergang eines Schiffes dank eines Stückes Treibholz über Wasser halten konnte. Ein anderer Schiffbrüchiger schwimmt heran, aber das Treibholz reicht nicht aus, um beide zu tragen. Was tut der Antragsteller? Weist er den anderen zurück, so konnte er offensichtlich doch die Tötung eines anderen Menschen akzeptieren. Sagte er aus, er würde sich opfern und das Treibholz dem anderen überlassen, so war die Antwort offensichtlich unglaubwürdig. Sagte er, es käme zu einem Kampf, so wurde dem Antragsteller entweder unterstellt, er versuche einer Antwort auszuweichen, oder aber er sollte Stellung beziehen, ob er im Rahmen des Kampfes die Tötung des anderen in Kauf nahm. Weitere beliebte Szenarien hatten die Notwehr zum Thema. Es wurde jedoch gerichtlich festgestellt, dass die Bereitschaft zur persönlichen Notwehr und Nothilfe nicht zu Ungunsten des Antragstellers ausgelegt werden darf (...)" (Wikipedia)

        Mein Kommentar ist also keine "urbane Legende"!

      • @Zven:

        Nun, ich bin ein alter Knabe, vor 58 Jahren gemustert. Und solche Fragen wurden damals tatsächlich gestellt.