Debatte um Achille Mbembe: Zum Schweigen gebracht
Bei der Debatte um Achille Mbembe geht es weniger um dessen angeblichen Antisemitismus als um Deutschlands Unwillen, die eigene Kolonialzeit aufzuarbeiten.
W er die globalisierte Welt verstehen will, kommt an „Critique de la raison nègre“ nicht vorbei. Das Hauptwerk des kamerunischen Philosophen Achille Mbembe aus dem Jahr 2013 entwirft die globale Moderne als Geschichte ihrer ersten Opfer, den versklavten Afrikanern, aus deren Status sich alles andere ableitet. Der „Neger“ des Titels ist der Mensch als Ware. Er ist Rohstoff und Arbeitswerkzeug, zu zähmendes Lebewesen, zu dressierender Wilder, im Zustand permanenter Erniedrigung gehalten, mit einer auf Gehorsam und Ungehorsam reduzierten Gedankenwelt. Die Sklaverei gründet darauf, der Kolonialismus, die Apartheid, auch die Segregation in den USA oder der Antisemitismus in Europa.
Keine Person, eine Kondition
Mbembes Neger ist nicht einfach der Schwarze, wie es die verhunzte deutsche Übersetzung des Buchtitels („Kritik der schwarzen Vernunft“ statt „Kritik des Negerdenkens“) nahelegt. Er ist jeder, dessen Identität andere bestimmen. Er ist das „vergiftete Subjekt“. Er ist der Proletarier im Schatten, zum Arbeitseinsatz gerufen oder ausgesondert. Er ist keine Person, sondern eine Kondition. „‚Neger‘ sagen“, schreibt Mbembe, „heißt, all die Leichen in Erinnerung zu rufen.“ Das „Neger-Werden der Welt“ gehört zu Mbembes Dystopien.
Dominic Johnson
ist Afrikaredakteur und leitet zusammen mit Barbara Oertel das Auslandsressort der taz.
Das besondere Interesse Mbembes galt zuletzt Stadtentwicklungsformen, die Ungleichheit zementieren, sowie Grenz- und Migrationsregimen als Systeme der Kontrolle, Überwachung und Zuordnung. Er hat auch Europas Flüchtlingspolitik so analysiert. Der mittlerweile in Südafrika familiär verankerte Kameruner erkennt darin eine Weiterentwicklung der südafrikanischen Apartheid, in der der Schwarze als „Neger“ fungierte: Schwarze durften die Gebiete der Weißen nur zwecks Arbeit betreten und mussten sich ansonsten in elende Townships zurückziehen, reglementierte Lager unter Flutlicht, außer Sichtweite.
Ab den 1970er Jahren steigerte Südafrika die Rassentrennung in das Ansinnen der kollektiven Ausbürgerung aller Schwarzen: Sie sollten Südafrika nur noch als Arbeitsmigranten betreten, als Bürger unabhängiger „Homelands“, mit Staatlichkeit geadelte Fetzen Brachland. Das Homeland-System wurde nie vollendet, aber als Modell, sich die „Neger“ zugleich vom Leib und zur Verfügung zu halten, bleibt es unübertroffen. Züge davon sind in allen Arbeitsmigrationsregimen der Welt zu erkennen und für Mbembe auch in Israels Besatzungsregime gegenüber den Palästinensern, in „autonome“ Enklaven verbannte Objekte von Exklusion an Mauern und Kontrolle an Checkpoints.
Koloniale Kontinuitäten
Dabei interessiert sich Mbembe nicht besonders für Israel. Sein Gedankengang ist universalistisch. Er vergleicht ständig alles mit allem. Die Vorwürfe gegen Israel stehen bei Mbembe nicht im Hauptwerk, sondern bloß in Streitschriften, die im Kontext der universitären Debatten Südafrikas entstanden. Denn der Apartheid-Vorwurf gegenüber dem israelischen Besatzungsregime ist in Südafrika und auch in Israel selbst gang und gäbe, und in beiden Ländern ist auch präsent, dass Israel und Apartheid-Südafrika einst militärisch zusammenarbeiteten und dass Israels radikale Siedlerbewegung das Homeland-System bejubelte. Heute tritt Israel in Afrika vor allem als Elite-Militärausbilder sowie als Anbieter von Spitzentechnologie zu Kampf- und Überwachungszwecken auf: Hightech gegen den „Neger“.
Für Achille Mbembe ist etwas anderes zentral. Sein Heimatland Kamerun, einst deutsches Kolonialgebiet, ist das einzige Land Afrikas, in dem Frankreich eine bewaffnete Befreiungsbewegung militärisch zerschlug und die Unabhängigkeit einem Marionettenregime übertrug. Eine postkoloniale Diktatur, die bis heute andauert, trat in die Fußstapfen der kolonialen. Eine Generation von Dichtern und Denkern hat diese Kontinuitäten erbarmungslos seziert und musste ins Exil – Mongo Beti, Célestin Monga, Achille Mbembe.
Mbembe durfte in Kamerun seine Magisterarbeit über den antikolonialen Widerstand, mit dem er familiär verbunden war, nicht offen schreiben, sondern versteckte das Thema 1981 in einer anderen Arbeit, bevor er das Land verließ. Draußen editierte er die Schriften des ermordeten Unabhängigkeitsführers Ruben Um Nyobè – in Kamerun verboten – und legte 1996 doch noch sein großes historisches Werk über den antikolonialen Untergrund vor, „La naissance du maquis dans le Sud-Cameroun, 1920–1960“, auf das 2001 sein grandioser Essayband „De la postcolonie“ über koloniale Kontinuitäten in Afrika folgte.
Zufällig arbeitete just damals der heutige deutsche Antisemitismusbeauftragte und aktuelle Mbembe-Chefkritiker Felix Klein als Diplomat an der deutschen Botschaft in Kamerun und promovierte dann mit einer Arbeit über „Eherecht und Ehewirklichkeit in Kamerun“. Man darf also bei Klein davon ausgehen, dass er genau weiß, wer Mbembe ist, und dass ihm klar ist, was er anrichtet, wenn er ihn als Antisemiten diffamiert: nämlich einen der wichtigsten afrikanischen Kolonialismusdenker in deutschen Augen zu diskreditieren. Mbembe hat sofort begriffen, dass es darum geht, ihm die Deutungshoheit über sein Werk zu entziehen. Er fühle sich, als sei er „nichts als ein Neger“, erklärte er in einem Interview.
Wären die Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe seriös, wären sie erhoben worden, als die fraglichen Texte erschienen. Wurden sie aber nicht. Mbembe wurde in Deutschland ernst genommen, gefeiert und mit Preisen überschüttet. Sein Ruhm verlieh der Forderung nach Aufarbeiten der Kolonialgeschichte intellektuelle Akzeptanz. Teile der Politik aber tun sich damit weiterhin schwer, von der Anerkennung des Völkermords an den Herero und dem Umgang mit geraubten Kulturgütern bis zur Verteidigung des Kolonialismus durch den Afrikabeauftragten Günter Nooke. Ihnen hilft eine Schmutzkampagne gegen Mbembe. Der Kampf gegen Antisemitismus wird dafür missbraucht, eine weltweit anerkannte antikoloniale Stimme aus Afrika auszuschalten.
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