Debatte über neue Gentechnik: Ein Schnitt in die grüne DNA

Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank stößt Diskussion zu Crispr/Cas an: Wegen der Genschere sollten die Grünen ihr Nein überdenken.

Eine Pipette wird in eine Zelle gesteckt

Filigrane Arbeit: Genschere im Einsatz Foto: Gregor Fischer/dpa

HAMBURG taz | Es gehört zum Markenkern der Grünen, an dem Katharina Fegebank rührt: Die Hamburger Wissenschaftssenatorin hat vorgeschlagen, die grundsätzliche Ablehnung ihrer Partei gegenüber der Gentechnik zu überdenken. Im Gespräch mit der taz verwies sie auf die Chancen, die mit den neuen Entwicklungen in der Gentechnik wie der „Genschere“ Crispr/Cas verbunden seien. „Die neue Gentechnik nicht zu nutzen, hätte zur Konsequenz, dass dieses hochinnovative Forschungsfeld abwandert in Länder, die hier weiter sind“, sagte Fegebank.

Anlass ist ein Vorschlag der EU-Kommission, die grüne Gentechnik, also deren Einsatz in der Landwirtschaft, neu zu regeln. Die Kommission zieht damit die Konsequenz aus Neuen Gentechnischen Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas, mit denen sich das Genom präzise verändern lässt, also genau an der Stelle, wo man es möchte. Dabei kann die DNA an einer bestimmten Stelle aufgeschnitten und ein Gen eingefügt, verändert oder abgeschaltet werden.

Die durch NGT erzeugten Pflanzen sollen von den strengen Gentechnik-Regeln der EU ausgenommen werden. Dabei unterscheidet die Kommission Pflanzen in zwei Gruppen: Pflanzen, „die auch auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten“, sollen wie herkömmliche Zuchtpflanzen behandelt werden. Dagegen müssen Pflanzen, die komplexere Modifikationen aufweisen, weiter gesondert gekennzeichnet werden.

Anders als bei den klassischen gentechnischen Verfahren muss bei den neuen Techniken keine genetische Information nicht verwandter oder nicht kreuzbarer Arten eingeschleust werden. Sie sind also nicht transgen. Das Ergebnis sei „in der Regel genetisch nicht von konventionell gezüchteten Pflanzen unterscheidbar“, heißt es auf der Internetseite der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Mit dem neuen Verfahren werde das gleiche getan wie bei einer herkömmlichen Züchtung, behauptet die EU-Kommission, nur sei das neue Verfahren „schneller und präziser“.

Crispr/Cas eröffne neue Möglichkeiten

Fegebank plädiert angesichts dessen für eine „wissenschaftsoffene“ Haltung. „Die Coronapandemie hat uns die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse einmal mehr klar vor Augen geführt“, sagt sie. Im Kampf gegen die großen Krisen unserer Zeit – etwa Klimawandel und Ernährung – sei ein breites Methodenspektrum notwendig. Crispr/Cas eröffne der Forschung neue Möglichkeiten. „Es ist unsere Aufgabe, gentechnische Verfahren dabei immer differenziert nach ihren Potenzialen, ihren Risiken und Folgen zu bewerten“, sagt die Senatorin.

„Differenziert“ – das zur Erinnerung – heißt bei der EU-Kommission, dass für mit den neuen Methoden veränderte Pflanzen nicht die strengen Gentechnik-Regeln gelten.

Für einige in Fegebanks Partei dürfte das wie ein Paradigmenwechsel klingen. Schließlich gilt das Agrarpolitische Konzept 2025, das die Hamburger Grünen schon in der vergangenen Legislaturperiode 2019 mit ihrem Koalitionspartner SPD vereinbart haben. Darin heißt es: „Hamburg wird die bundesweite Diskussion über die gesetzliche Bewertung neuer Züchtungstechniken verfolgen, spricht sich aber klar gegen eine Aufweichung der Vorgaben des deutschen Gentechnikrechts aus.“

Der Bund solle bei der EU Ausnahmen erwirken, die es ermöglichen würden, die Gentechnik in Deutschland stärker zu beschränken, als es die europäischen Regeln vorsehen.

Viel parteiinterne Überzeugungsarbeit nötig

Um hiervon abzurücken, wird Fegebank eine Menge Überzeugungsarbeit in ihrer Bürgerschaftsfraktion leisten müssen. Die dort vorhandene Skepsis spiegelt sich in einem bundesweiten Positionspapier grüner Agrar- und Umweltpolitiker aus dem Jahr 2018, das sich insbesondere auf die neuen Züchtungsmethoden bezieht. Mitunterzeichnet hat es damals die Sprecherin für Umwelt und Energie der Bürgerschaftsfraktion, Ulrike Sparr.

In diesem Positionspapier für das neue Grundsatzprogramm heißt es: „Die langfristigen Folgen von Agrogentechnik und der neuen Verfahren für Menschen und Umwelt sind nicht absehbar und das geltende Vorsorgeprinzip schützt uns vor unwiderruflichen Schäden.“ Es sei offensichtlich, dass zum einen das Versprechen, durch Agrogentechnik den Hunger in der Welt zu stillen, nicht eingehalten wurde und zum anderen Agrogentechnik vor allem dazu diene, Abhängigkeiten und Machtkonzentrationen zu festigen. „Neue Züchtungsmethoden (z. B. Crispr/Cas) lehnen wir ab“, heißt es kurz und bündig.

Aktuell hat die Grünen-Bundestagsfraktion noch einmal bekräftigt, sie trete für „eine strenge Regulierung alter und neuer gentechnischer Verfahren“ ein.

Das Positionspapier beruft sich auf Test Bio, ein Institut zur Technologiefolgenabschätzung des Ex-Greenpeace-Mannes Christoph Then. In einer Stellungnahme zum aktuellen EU-Vorschlag warnt Test Bio davor, „bestimmte Gruppen von NGT-Pflanzen von der Risikoprüfung auszunehmen“.

Risikobewertung ist notwendig

Die NGTs würden in der Regel dazu eingesetzt, um genetische Veränderungen zu bewirken, die über das hinausgehen, was aus konventioneller Zucht bekannt ist. „Deswegen sind in jedem Fall eine detaillierte Analyse und Risikobewertung notwendig, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen NGT-Pflanzen und konventioneller Züchtung zu identifizieren, bevor weitere Schlüsse gezogen werden können“, findet das Institut.

In ihrem 2020 beschlossenen Grundsatzprogramm betonen die Grünen ebenfalls das Vorsorgeprinzip: „Bei Eingriffen in die Natur müssen nicht verantwortbare Risiken, wie die Ausrottung ganzer Populationen oder Arten durch gentechnische Methoden ausgeschlossen werden.“ Die Landwirtschaft solle sich am Leitbild der Gentechnikfreiheit orientieren.

Mit Blick auf die neue Gentechnik wäre das aus Sicht Fegebanks zu modifizieren. „Ökologischer Landbau und die Anwendung neuer Gentechnik widersprechen sich nicht“, findet sie. „Man kann das eine tun und muss das andere nicht lassen.“ Natürlich müssten der ökologische Landbau und Kleinbauern weiterhin unterstützt und Patentfragen so geregelt werden, dass „nicht nur die Großen zum Zuge kommen“.

Die Hamburger Grünen wollen das Thema nach der Sommerpause diskutieren. Fegebank zeigt sich optimistisch: „Mein bisheriger Eindruck ist, dass die Debatte heute in der Gesellschaft unaufgeregter geführt wird als noch vor ein paar Jahren.“

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