Debatte über Nikab-Verbot in Hamburg: Unterricht ohne Gesicht
Für das Nikab-Verbot argumentieren Politiker:innen oft mit der unsichtbaren Mimik. Aber ist die ein Problem? Die Antwort fällt schwerer als gedacht.
Kann eine Studentin oder Schülerin gut lernen, wenn ihr Gesicht nicht zu erkennen ist? Und kann eine Lehrkraft lehren, wenn sie nur die Augen der Schüler:innen sieht?
Pendorf sagt Nein, und das leuchtet intuitiv ein. Es ist das Argument, mit dem für ein Nikab-Verbot an Schulen und Hochschulen geworben wird. Jüngst auch vom Hamburger Schulsenator Ties Rabe: „Lernen braucht die offene Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern. Für eine gute und gelingende Kommunikation ist es unabdingbar, dass sich die Beteiligten dabei ins Gesicht blicken können.“
Nicolle Pfaff, Bildungswissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen, hält das Argument für vorgeschoben. In anderen Fällen, zum Beispiel bei Menschen mit Sehbehinderung, würde man die offene Kommunikation ja auch nicht gefährdet sehen: „Wenn wir sagen, Mimik und Gestik sind entscheidend, würden wir viele Menschen ausschließen.“ Hochschulen bemühten sich seit Jahren um Inklusion und Pluralität, gleichzeitig würden Präsenz-Seminare immer weniger, Online-Vorlesungen nähmen zu. Auch die Bereitschaft, für Einzelfälle Lösungen zu finden, werde größer.
Zu wenig Forschung
Pfaff meint, hinter der Argumentation stecke die Angst vor unbequemen Auseinandersetzungen. „Mit Verboten erreichen wir nur Trennung, Pädagogik ist dann nicht mehr möglich.“ Es gehe am Ende um die Frage, was wir als Unterdrückung wahrnehmen und was als normal.
Die Frage über den pädagogischen Wert der Mimik in der Bildung ist schwierig zu beantworten, weil es zu wenig Forschung gibt. Aber eben auch deshalb, weil sie in einem politischen Kontext gestellt wird. Fragen der Diskriminierung, der Religionsfreiheit, der weiblichen Selbstbestimmung und Unterdrückung schwingen bei jedem Versuch eine Beantwortung mit. Sowohl bei denen, die für ein Verbot argumentieren, als auch bei denen, die dagegen sind.
Neben der Mimik gibt es noch eine weitere pädagogische Frage, die eine Rolle spielt bei der Bewertung eines Verbots: Führt es zu mehr Abgrenzung, zu Radikalisierung? Kurt Edler war lange Lehrer in Hamburg, er beschäftigte sich mit Demokratievermittlung und auch mit Islamismus für Schulen. „Dass ein junger Mensch durch Ausschluss unter Druck gerät, stimmt“, sagt er. „Aber das ist Pädagogik, so funktioniert die Gesellschaft.“ Man würde auch keine rechtsextremen Parolen zulassen, nur damit sich die Person nicht weiter radikalisiere.
Dabei gebe es einen Unterschied zwischen der Schule und der Universität. Man müsse einem jungen Mädchen nicht unterstellen, dass es den Nikab aus politischen Gründen trage – anders als womöglich bei einer Studentin –, aber man müsse ihr die Öffentlichkeitswirkung verdeutlichen. „Als Lehrer muss ich ihr klarmachen: Du verdeckt deine Individualität, das ist die größte Form der Selbststigmatisierung.“
Die Unterscheidung zwischen Schule und Hochschule taucht immer wieder auf. Viele, die zu dem einen eine klare Meinung haben, sind sich beim anderen unsicher. Auch weil in der Schule neben dem Bildungsauftrag ein Erziehungsauftrag besteht – es geht auch um Demokratie.
Der Nikab hat wahrscheinlich Auswirkung auf die Kommunikation im Unterricht. Aber es bleibt eine Abwägung, denn Pädagogik ist mehr als lernen. Die Frage sei: „Wie weit geht unser pädagogisches Interesse?“, sagt Nicole Pfaff. So weit, dass wir die Kommunikationseinschränkung in Kauf nehmen, damit auch Frauen mit Gesichtsverschleierung zusammen mit den anderen lernen können?
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