Debatte über HKW-Literaturpreis: Ist das Kunst oder kann das weg?
Eine Jury ist mit dem Vorwurf konfrontiert, Literatur politisch zu bewerten. Dabei lässt sich das Ästhetische nicht vom Schreibenden trennen.
W as ist literarische Qualität? Können Menschen sie objektiv bestimmen? Und kann man sie von der Literatur schreibenden Person trennen? Das sind große Fragen, die gerade große Experten des Literaturbetriebs vor großen Augen des Feuilleton-Publikums diskutieren. Anlass ist ein in der Zeit erschienener Text zweier ehemaliger Jurymitglieder des Internationalen Literaturpreises des Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin. Sie werfen den anderen Jurymitgliedern und dem Haus vor, Literatur nicht nach ästhetischen, literarischen, sondern nach politischen Kriterien auszuzeichnen.
Nun kann ich keine große These über die Bedeutung dieses Vorgangs für die Gegenwartsliteratur anbieten. Stattdessen möchte ich, wie an dieser Stelle üblich, eine Annäherung aus persönlicher Perspektive wagen. Das ist die eines Kolumnisten, der aus der Sicht eines Arbeiterkindes mit Migrationshintergrund schreibt – und der diese Kolumne so nicht schreiben würde, wäre er kein Arbeiterkind mit Migrationshintergrund.
In der Debatte geht es auch um die Frage, in welchem Verhältnis die ästhetische Qualität von Texten und die Marginalisierung von Autor:innen stehen. Schadet den Marginalisierten nicht, wer nicht ausschließlich ihre Arbeit, sondern auch ihre Biografien berücksichtigt? Oder übersieht man ihre gute Arbeit, wenn man ihre Biografien nicht berücksichtigt?
Ich habe vor ein paar Jahren begonnen, „Postprolet“ zu schreiben, weil mein Wunsch, eine Kolumne zu schreiben, in eine Zeit fiel, in der sich Menschen für meine Perspektive interessierten. Wäre es nicht so gewesen, würde ich dann trotzdem eine Kolumne schreiben? Vielleicht. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Bevor ich einen Text geschrieben habe, der veröffentlicht wurde und auf den ich Resonanz bekam, hätte ich nie daran geglaubt, dass ausgerechnet ich einen Text schreiben kann, der veröffentlicht wird und den andere Menschen lesen.
Der Wert der lästigen Verquickung
Die Möglichkeit, diese entscheidende Erfahrung zu machen, habe ich nicht bekommen, weil ich schon mit 18 gewusst hätte, dass ich einmal professionell Texte schreiben möchte. Mir fehlte schon die entsprechende materiell-ideelle Unterstützung der Familie und das entsprechenden Selbstbewusstsein, die entsprechende Laufbahn einzuschlagen. Vielmehr konnte ich diese Erfahrung machen, weil ich auf Menschen gestoßen bin, die sich für meine Perspektive interessiert haben, vielleicht gerade weil die sich von ihrer unterscheidet. Ich hatte schlicht Glück.
Meine ersten Texte habe ich über die türkeistämmige Community geschrieben. Dann über soziale Ungleichheit. Irgendwann kam diese Kolumne dazu. In der ersten habe ich über meine Zweifel geschrieben, welchen Sinn „so eine Kolumne“ überhaupt haben kann. Ob sie nicht „letztlich nur dazu dient, die Glücklichen ihres Glücks und des Unglücks der anderen zu vergewissern“. Ich war Kolumnist geworden, aber auf dem Ausländerproletenticket!
Welchen Wert haben also meine Texte oder geht es gar nicht darum? Sagt mein Werdegang etwas darüber aus, wie gut ich schreiben kann? Auch heute hadere ich mit diesen Fragen. Weil mein Schreiben und meine Erfahrung untrennbar miteinander verknüpft sind, werde ich hadern, solange ich schreibe. Gleichzeitig steckt der Wert meiner Texte, wenn sie überhaupt irgendeinen Wert haben, genau in dieser lästigen Verquickung. Ob das auch ein ästhetischer Wert ist, darüber sollen sich andere streiten.
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