Debatte über Dienstpflicht: Pflicht schließt keine Lücken
Statt junge Leute für Pflege und Kinderbetreuung zwangszuverpflichten, sollte man lieber stärkere Anreize für Freiwilligenarbeit bieten.
W enn politische Entscheider:innen die Zeichen der Zeit verpennt haben, kommen sie mit Pflichtdebatten. Die Diskussion über einen verpflichtenden Dienst an der Gesellschaft ist das beste Beispiel dafür. In der Pflege fehlen Tausende Fachkräfte, in Kita und Hort sieht es nicht besser aus. Jetzt sollen es vor allem junge Leute richten, die zu einem Arbeitseinsatz verdonnert werden. Im besten Fall nicht nur für eine kurze Zeit: Die Hoffnung ist groß, über solche Pflichtdienste auch neue Fachkräfte zu finden.
Schön wäre es natürlich schon, wenn Mitglieder einer Gemeinschaft nicht nur ihren individuellen Interessen folgen, sondern auch einen Beitrag für das Wohl aller leisten. Aber insbesondere bei Berufen im sozialen Bereich sind die Entbehrungen enorm: Dank schlechter Bezahlung, einkalkulierter Überstunden, wenig gesellschaftlicher Wertschätzung und kaum Karrierechancen werden sich die Lücken bei diesen Jobs langfristig nicht schließen. Wer zum Dienst am Menschen verpflichtet wird und dort miserable Arbeitsbedingungen erlebt, wird kaum einen solchen Beruf wählen, sondern seine Zeit absitzen und dann das Weite suchen.
Damit sich an diesen Missständen etwas ändert, braucht es keine Appelle an die Nächstenliebe, sondern schlicht mehr politischen Willen. Bis es so weit ist, könnten Arbeitgeber:innen zum Beispiel einen freiwilligen Dienst im Pflegeheim, in der Kita oder in einer Umweltschutzeinrichtung als Einstellungskriterium und Karrierevoraussetzung benennen. Vielleicht wäre an den Unis der Erlass eines Scheins drin oder gar die Verkürzung des Studiums – und das nicht nur bei Studiengängen, die in sozialen Berufen münden. Auch der Staat könnte seinen Beitrag leisten: Etwa mit der Anerkennung dieser Dienstzeit bei den Rentenansprüchen. Das sind dicke Bretter. Einfacher wäre es für das Finanzministerium, die Kürzung der Förderung für Freiwilligendienste zurückzunehmen. Das wäre glaubwürdig, und die Debatten über einen Dienstzwang wären beendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken