Debatte Political Correctness: Wir müssen streiten
Die Debatte um den Berliner Historiker Jörg Baberowski polarisiert. Doch: Moralisches Sektierertum sollten wir den Rechten überlassen.
Z um Chor der Stimmen, die eine kulturelle Hegemonie der Linken in unserer Gesellschaft beklagen, gehört auch die des Historikers Jörg Baberowski, zumindest laut einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Er gehört zur Clique jener „alten, weißen Männer“, die überall im öffentlichen Raum wichtige Posten besetzen. Ein kluger, interessanter Wissenschaftler, aber nicht unbedingt ein linker Sympathieträger. Ein langer Artikel der taz am Wochenende beschäftigte sich mit Angriffen auf ebenjenen Professor durch eine trotzkistische Studierendengruppe. Darf man jemandem so viel Platz in einer Zeitung, die sich als links versteht, einräumen?
Selbstverständlich. Wir müssen uns in der Berichterstattung an den gesellschaftlichen Konfliktlinien abarbeiten, in die Kampfzonen gehen, Widersprüche benennen, herausarbeiten. Ohne Vorverurteilung. Ohne Berührungsängste. Alles andere wäre Selbstvergewisserung und Besserwisserei. Aufklärung ist das Credo der Linken. Recherche ist journalistisches Handwerk. Auch wenn wir für die Interessen der sozial Benachteiligten eintreten und nicht für die eines Bankdirektors.
Moderne Gesellschaften, aber vor allem Linke, haben einen hohen Demokratie- und Gleichheitsanspruch. Das ist gut so: Rassismus ist verpönt, die Gleichstellung von Frauen, Lesben, Schwulen und anderen selbstverständliches Ziel, religiöse und kulturelle Vielfalt das Gebot der Stunde. Aber es ist wenig aufklärerisch und für den Journalismus geradezu kontraproduktiv, Widersprüche der Realität, die diesen hehren Zielen entgegenstehen, auszublenden.
Etwa im Namen einer schwammigen Political Correctness. Die Bewegung einer „politischen Korrektheit“ entstand in den 1980er Jahren im Rahmen von Antidiskriminierungsbestrebungen der Neuen Linken in den USA. Die Bewegung hat ihre Wurzeln an den US-Universitäten. Auch sprachlich sollten Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, ihrer sozialen Stellung, ihres Alters oder aufgrund einer Behinderung nicht beleidigt und zurückgesetzt werden. In der Annahme einer engen Verbindung von Sprache, Denken und damit Handeln entstanden so Sprachreglementierungen, die zum einen den Gebrauch bestimmter Ausdrücke ächten, zum anderen eine neue, „feinfühligere“ Terminologie vorschlagen oder vorschreiben.
Neue Tabus
Über diesen angestrebten Sprachwandel soll ein Bewusstseinswandel und idealerweise auch eine kulturelle Veränderung weg von der kritisierten Diskriminierung erreicht werden. So entstehen aber auch neue Tabus: Was nicht ins Bild der Gesellschaft oder der guten Absicht passt, wird verschleiert. Verstöße werden mit Ächtung belegt.
Der Historiker Jörg Baberowski lehrt an der Berliner Humboldt-Universität. Dort mögen ihn nicht alle: eine trotzkistische Studierendengruppe zum Beispiel, die gegen ihn vorgeht. Die taz berichtete in Form einer Reportage über den Konflikt. Zu umfassend sei Baberowskis Position darin dargestellt worden, klagen nun einige. Der Vorwurf wirft die Frage auf: Wie über den Fall berichten? Dem gehen wir in dieser und weiteren Debatten-Beiträgen nach.
Sprachkritik ist sinnvoll, Feinfühligkeit wünschenswert. Doch Achtsamkeit kann zum Tunnelblick werden, Ironie schnell zur Beleidigung. Moral schlägt Analyse, die Diskussion wird entpolitisiert: „Bilder werden abgehängt, Kunstwerke zensiert, Gedichte übermalt. Prüderie und radikale Schuldzuweisung greifen um sich. Aufklärung bekämpft im Zeitalter der Migration sich selbst. Was darf die Kunst heute noch thematisieren?“, fragt die Autorin Viola Roggenkamp.
Was dürfen wir thematisieren? Kritiker werden schnell des Rassismus verdächtig, wenn sie wie Journalisten in der Hochphase der Willkommenskultur auf Probleme der Zuwanderung hinweisen oder auf anstehende Verteilungskämpfe – wie aktuell die Diskussion um die Essener Tafel zeigt. Ihr Einspruch könnte ja den Gegnern von Zuwanderung, also den Rechten, zuspielen.
Wenn Alice Schwarzer beispielsweise nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 von „entwurzelten, brutalisierten und islamisierten jungen Männern vorwiegend aus Algerien und Marokko“ spricht, so ist diese Aussage nicht unbedingt falsch: Es gibt viele Männer aus dem Maghreb, Illegale, die ziellos durch Europa mäandern und dabei immer weiter verrohen – die Täterlage zu Köln dazu war relativ klar. Warum also der Aufschrei?
Widersprüche benennen
Wir sollten über die Probleme, die Migration mit sich bringt, genauso schreiben wie über die Schwierigkeiten der Integration. Es ist besser, über Ängste und Vorurteile zu sprechen, statt sie zu verdrängen oder zu stigmatisieren, weil sie dem eigenen Ideal nicht entsprechen. Wir sollten uns streiten über die Untiefen des Islam, ohne gleich der „Islamophobie“ oder des Rassismus verdächtigt zu werden, über israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik, ohne gleich des Antisemitismus bezichtigt zu werden.
Wir müssen reden, nachhaken, genau sein, die Widersprüche benennen. Vorauseilender Gehorsam, politische Grundgewissheiten bringen weder intellektuellen Zugewinn noch Problemlösungen. Im Gegenteil, sie überlassen das Feld anderen, die diese Themen für ihre Interessen funktionalisieren. Diese Steilvorlage sollte man den Konservativen mit ihrer Kritik an der angeblichen linken kulturellen Hegemonie nicht bieten: Alles, was die 68er-Generation als Werte angestoßen hat – sexuelle Toleranz, Vielfalt, Befreiung – wird damit abgewertet. Nicht nur bei den Rechten, auch im Mainstream, bei der Bevölkerung. Dabei sind die einst gegenkulturell formulierten Ideale wie Autonomie, Emanzipation, Eigenverantwortung, Freiheit, Kreativität längst schon vom kapitalistischen System vereinnahmt worden.
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dieser Satz – Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3 – ist, wenn auch ungegendert, ein guter Leitfaden für Political Correctness. Moralisches Sektierertum, Gewissheiten, schlichte Wahrheiten überlassen wir gern weiterhin den Rechten.
Lesen Sie zu dieser Debatte auch den Beitrag von Ambros Waibel „Jede Menge Märchen“
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