Debatte Pegida: Der zentrale Zündstoff
Aufklärung? Es ist angesichts von Pegida an der Zeit, über politische Emotionen zu sprechen.
W enn Tausende unter dem Label Pegida durch Dresden oder andere deutsche Städte ziehen – was passiert da eigentlich? Was schreckt uns, wenn diese selbst ernannten „patriotischen Europäer gegen die Islamisierung“ als Retter des Abendlands ins Feld ziehen? Wir stehen etwas blank vor diesen geballten Gefühlsladungen, vor diesen Emotionen auf zwei Beinen, die „Wir sind das Volk“ schreien. Es ist an der Zeit, über politische Emotionen zu sprechen.
Was den Blick des überzeugten Demokraten trübt, ist die eigene Vorstellung: dass nämlich Demokratie eine rationale Gesellschaftsordnung, eine Vernunftsordnung sei. Man tauscht vernünftige Argumente aus, wägt ab und findet schließlich kluge Kompromisse. Das ist keine Karikatur, sondern der übliche aufgeklärte Gemeinplatz.
Es ist das Ideal von Politik, das in unseren Köpfen herumspukt – vielleicht ohne uns wirklich bewusst zu sein. Deutlich wird dieses Ideal immer dann, wenn Emotionen im Politischen auftauchen und diese als Pathologien behandelt werden. Zu Abweichungen werden diese ja erst, wenn man sie vom Rationalitätsideal her betrachtet. Erst dann erscheinen Gefühle als pathologische Störungen, als das Irrationale, das den politischen Prozess stört. Dann sind sie Hindernisse, Bedrohungen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Und dann wird sofort nach Aufklärung gerufen, dem Allheilmittel gegen irrationale Störungen.
Das Problem ist, dass das zugleich theoretisch falsch und strategisch dumm ist (man weiß nicht, was schlimmer ist). Wenn wir politische Emotionen im Allgemeinen falsch verstehen, dann reagieren wir auch im konkreten Fall, wie etwa bei Pegida, verkehrt. Es macht uns blind für das, was die „populistische Lektion“ (unter Anführungszeichen!) ist.
Zunächst: Natürlich haben politische Subjekte eine Emotionalität – und nicht nur als Verirrung. Natürlich haben Emotionen politische Relevanz. Sie sind sogar zentraler Rohstoff des Politischen.
Was bleibt am Ende? Spuren. Zeichen. Geschichten. Die taz.am wochenende vom 27./28. Dezember 2014 erinnert an die Menschen, die 2014 starben. An Frank Schirrmacher, Siegfried Lenz und Stefanie Zweig. An den Graffiti-Künstler Oz, der mit 64 Jahren beim Sprayen auf den Gleisen starb. An Daisy Oehlers, die in der MH17 saß, dem Flugzeug, das über der Ukraine abgeschossen wurde. Und an viele andere. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Zum Rohstoff gehört aber das volle Emotionspaket dazu. Im Politischen gibt es, anders als im Privaten, keine Gefühle, die per se gut oder per se schlecht wären. Es ist nicht so, dass etwa Liebe und Mitgefühl demokratischere Gefühle wären als Wut und Zorn. Weder ist ausgemacht, dass manche Gefühle nur positiv sind, also aktivierend, einbindend, engagierend wirken, noch sind manche eindeutig negativ, aufhetzend oder das Gegenteil, nämlich passivierend. Emotionalität im Politischen ist nicht von vornherein konnotiert. Sie ist Ressource oder Gefahr – in jedem Fall aber eine Grundtatsache des politischen Lebens.
Zornbanken
Demokratie hat also massiv mit Gefühlen zu tun – nicht nur dort, wo sie nicht, sondern auch dort, wo sie sehr wohl funktioniert. Deshalb hat sie ja auch von Anfang an politische Großprojekte zu deren Kanalisierung entwickelt. Das war Aufgabe der Volks- und Massenparteien. Peter Sloterdijk hat dafür einen wunderbaren Begriff geprägt: die „Zornbank“. Damit hat er nicht nur eine politische Emotion, den Zorn, als zentrale Ressource, als Kraft zur Gesellschaftsveränderung erkannt. Er hat zugleich den Versuch, diese Ressource produktiv zu machen, beschrieben. Zornbanken: eine sprechende Bezeichnung für linke Massenparteien. Diese sind Zornbanken, weil die Menschen ihre Emotionen, ihren Zorn dort deponieren können, weil diese „Banken“ versprochen haben, ihre Einlagen nicht nur zu verwalten, sondern damit auch zu handeln und sie zu vermehren. Diese Zornbanken hätten aber, so Sloterdijk, die anvertrauten Depots verraten und verspielt.
Tatsächlich sind aber nicht nur linke Parteien Emotionsdeponien. Jede Partei ist eine Gefühlsbank. Genauso wenig sind es nur Wut und Zorn, die dort deponiert werden, sondern auch Angst, Hoffnung und vieles mehr. Zugleich sind diese Emotionen aber nicht einfach da, vorhanden wie Bodenschätze, die man nur zutage fördern muss – sie werden auch produziert, reproduziert, erneuert oder gedämpft. Es gibt also nicht nur eine Deponie und Zirkulation der Gefühle, es gibt auch eine Emotionsproduktion. Eine ganze Gefühlsökonomie. Und diese ist in die Krise geraten. Es scheint, dass alle diese Banken ihre Depots verspielt haben. Vor allem aber die ehemaligen Volksparteien. Volksparteien sind zu Bad Banks der Emotionen geworden.
Was in solchen Situationen droht, hat Lawrence Goodwyn einen „populistischen Moment“ genannt. Ein solcher entsteht, wenn ganze Teile der Bevölkerung gesellschaftlich und emotional „obdachlos“ werden, wie der wunderbare Helmut Dubiel geschrieben hat. Der entscheidende Punkt ist, dass die gesellschaftliche Obdachlosigkeit auch eine emotionale Obdachlosigkeit zur Folge hat. Wenn die symbolische, die identitäre Einbindung brüchig wird, werden die eingebundenen Emotionen freigesetzt. Sie werden zu frei flottierenden Emotionen ohne Bindungen, ohne fixe Zugehörigkeit. Ohne Kanalisierung werden politische Leidenschaften aber zu einem „vagabundierenden Potenzial“, wie Dubiel das genannt hat.
Ein freigesetztes, ein vagabundierendes Emotionspotenzial – das ist das, was durch die Straßen von Dresden zieht. Und das ist es, was uns schreckt. Berechtigterweise. Denn wir alle wissen, wie gefährlich solche Freisetzungen sein können. Und genau deshalb dürfen wir uns jetzt keinen Erkenntnisirrtum leisten. Denn dieser führt zu dem strategischen Irrtum, man könne einem populistischen Moment mit rationaler Aufklärung kommen. Statt nach Aufklärung und Information zu rufen, sollten wir die eigene emotionale Barriere überwinden und den Blick für die erwähnte „populistische Lektion“ öffnen.
Eine Bühne für Kränkungen
In emotionaler Hinsicht bezieht sich der populistische Moment auf die negativen Gefühle, die beim Brüchigwerden der Einbindungen freigesetzt werden; er bezieht sich auf Kränkungserfahrungen. Die Einbindung in Großgruppen bot einen Enttäuschungsschutz, ein Enttäuschungsnetz, das unerfüllte Erwartungen auffangen und Kränkungen entlasten konnte. Die emotionale Freisetzung im populistischen Moment bedeutet deshalb auch eine Freisetzung von Kränkungserfahrungen. Gerade Linke müssen lernen, diese Tiefenschichten zu erreichen. Der rechte Populismus hakt genau da ein, er nimmt dieses Moment der Kränkung auf. Er nimmt es dort auf, wo es wehtut – nämlich da, wo die eigene Identität infrage gestellt wird. Und genau da entsteht das, was Ernesto Laclau einen „Überschuss an Antagonismus“ genannt hat. Ein Überschuss, der über den „institutionell-demokratischen Rahmen regulierter agonistischer Kämpfe“ hinausgeht und von diesem nicht mehr absorbiert werden kann.
Was macht nun der rechte Populismus? Er bietet genau diesem Überschuss eine Bühne, eine Arena, in der diese Kränkungen auftreten können. Diese Arena könnte man als Emotionsraum bezeichnen. Genau das passiert in Dresden. Die Straße wird zu einem Emotionsraum, wo das vagabundierende Emotionspotenzial (das keinen Ort hat) auftreten kann.
Deshalb funktionieren populistische Kopien nicht. Wenn etwa konservative Parteien Rechtspopulismus nachahmen wollen (zum Beispiel mit der Forderung, Migranten sollen zu Hause deutsch sprechen), übernehmen sie zwar die Inhalte, bieten aber keine Arena, keine Emotionsräume an. Deshalb scheitern sie.
Genau darin liegt die „populistische Lektion“ und gleichzeitig auch deren Ende. Sie zeigt, dass es einer symbolischen Integration der Emotionen bedarf. Der Populismus bietet dafür aber nur eine reaktionäre Reintegration der freigesetzten Gefühle an: Nur Ängste, Ressentiments und Regressionsneigungen werden aufgegriffen und verstärkt.
Was kann man dagegenhalten? Wenn in populistischen Momenten „die Aufladung der Politik mit Identitätsanliegen“ zentral ist, wie Claudia Ritter anmerkt, muss der Umgang damit dem Rechnung tragen. Er muss etwas anderes bieten als einen Vernunftaufruf. Populismus kann man nicht mit Aufklärung begegnen, weil diese anderswo andockt, weil sie die Gefühle nicht erreicht. Populismus kann man aber auch nicht mit anderen Populismen begegnen, weil die Kopie nicht überzeugt. Populismus kann man nur mit symbolischer Politik begegnen. Mit einem anderen politischen Identitätsangebot. Einer Politik also, die die Emotionen berührt.
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