Debatte Islam und Feminismus: Frauenrechte fallen nicht von Himmel
Islamische Feministinnen stellen starke Musliminnen heraus oder arbeiten sich am Koran ab. So werden wohl kaum Freiheiten erstritten werden.
Die Debatten über Islam und Feminismus, wie sie hier zuletzt von Kübra Gümüşay geführt wurde, sind unergiebig. Sie geben keine Antworten auf die aktuellen Fragen und politischen Forderungen der Frauen in der islamischen Welt. Auf Kleidervorschriften, Ungleichheit, Unterdrückung, Schwule oder Lesben in islamischen Gesellschaften und andere patriarchale Traditionen und Verbote. Ihr Bekenntnis „für Vielfalt, für die Kopftuch tragenden, die Minirock tragenden, die queeren, die beschwipsten“ kommt aus der Kuschelecke, es ist nicht überzeugend. Denn ihr feministisches Credo ist: Starke Frauen und unkonventionelle Vorreiterinnen im Islam gibt es durchgehend seit der frühen islamischen Geschichte.
Zwei Beispiele von Frauen werden angeführt: „Khadidscha, die erste Person, die den Islam annahm, war eine erfolgreiche und selbstständige Geschäftsfrau, 15 Jahre älter als der Prophet und mit mehreren Kindern aus vorhergehenden Ehen. Oder Umm Salama – sie ging als politisch weise, sich ihrer Position als Frau in der arabischen Gesellschaft des 6./7. Jahrhunderts bewusst und gleichzeitig dagegen ankämpfend in die – von Männer produzierten! – Annalen ein.“
Zur Untermauerung islamischer feministischer Thesen mag der Rückgriff auf weibliche Vorbilder in der islamischen Frühgeschichte ein wichtiges Instrument sein. Er soll zeigen, dass starke, freie Frauen Teil des Islam waren und sind. Und möglicherweise entgehen islamisch-feministische Vorkämpferinnen so auch dem Vorwurf, dass islamischer Feminismus ein „Westimport“ sei.
Dieser Versuch der eigenen feministischen Geschichtsschreibung mag der Selbstvergewisserung dienen nach dem Motto: Geht doch! Historische Idole sind wichtig, aber keine Garant für heutige Rechte. Auch die Argumentation, dass der Prophet Mohammed bei der Verbreitung des Islam eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Frauen anstrebte, ist noch kein muslimisches Gleichheitsbekenntnis. Die Absicherung beispielsweise alleinstehender Frauen durch Polygamie, wie häufig argumentiert wird, ist nun wirklich keine überzeugende islamische Regel, auf die sich die heutige Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter stützen könnten.
Die Hamburger Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur postuliert einen „Dschihad der Frauenrechte“. Wer „Dschihad“ höre, denke automatisch „an bärtige Männer, die Säbel rasselnd das Abendland islamisieren wollen“. Für viele muslimische Frauen sei ihr Kampf für mehr Frauenrechte ein Dschihad – mit der Waffe des Wortes statt mit Säbeln. Moderne Denkerinnen sähen den Koran nicht als wortwörtliche Rede Gottes, sondern als Wort Gottes in menschlicher Sprache. Vor diesem Hintergrund habe man „mehr Möglichkeiten zur Interpretation“. Außerdem sei es wichtig, die Aussagen im Kontext der Zeit zu sehen: Manches könne heute nicht mehr so verstanden werden, wie es im siebten Jahrhundert verstanden worden ist.
Feministische Interpretation
Deshalb arbeiten sich islamische Feministinnen an der Koranauslegung ab. Es gibt islamische Vordenkerinnen, die keine Kontroverse scheuen und den Koran als Grundlage nutzen, patriarchale Strukturen zu hinterfragen und neu zu denken. Es gibt die akademische Auseinandersetzung mit den religiösen Hauptschriften – dem Koran und den Hadithen –, die sich in der Kunst der Auslegung und Deutung von Texten aus einer feministischen Perspektive hervortun. Sie verweisen beispielsweise auf den Gleichheitsgrundsatzes aller Gläubigen im Islam (Konzept der Umma) für jede Muslimin und jeden Muslim, unabhängig von Herkunft und Bildung. Dies Ringen um feministische Interpretationen des Koran ebnet sicherlich einer Vielzahl von Musliminnen den Weg zum Einfordern ihrer Rechte.
„Die Religion“ schreibt Marx in seiner aus der Mode gekommenen Religionskritik, „ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ Aber man muss kein Atheist sein oder eine weiße, nichtmuslimische Feministin, um trotz aller feministischen Interpretationen des Islams zweifelnd zu fragen: Feminismus und Islam – geht das überhaupt?
Auch für Christen ist ist es schwierig, feministische Begründungen aus der Bibel zu ziehen, selbst wenn Jesus Maria Magdalena verehrte oder wenn die Befreiungstheologie gegen Ausbeutung mit der Bergpredigt argumentiert. Katholische Frauenverbände haben jedenfalls nicht das Recht auf Abtreibung erwirkt.
Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch die Religion macht und die heiligen Schriften in den Kontext ihrer Zeit eingebettet und von Männern verfasst wurden, dann wirkt das Ringen um Auslegung wie Sisyphusarbeit. Muslimische Frauen waren in Deutschland lange stumm, andere redeten für sie, beklagt Kübra Gümüşay. Das hat sich zum Glück verändert, und Gümüşay fordert nun Solidarität.
Rechte fallen nicht vom Himmel
Doch die Solidarisierung mit manchen bekennenden islamischen Feministinnen fällt schwer. Nicht weil für Gläubige die heiligen Schriften Gottes Wort sind und sich patriarchalische Denkstrukturen darin schwer kritisieren lassen, sondern vor allem weil ihre Forderungen schwammig sind. Überzeugender wäre die Aufdeckung der Machtstrukturen, die heutzutage hinter den innerislamischen Diskursen über Frauen stehen. Patriarchale, religiös legitimierte Denkstrukturen, Verhaltens-und Kontrollmechanismen mancher muslimischer Männer.
Es fehlt die Klarheit etwa der ägyptischen Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi: „Die Unterdrückung der Frau in Ägypten geht zurück auf ein System der patriarchalen Klassengesellschaft, das von den Religionen unterstützt wird.“ Oder der Marokkanerin Fatima Mernissi, die behauptet, Kern des Geschlechterverhältnisses im Islam sei die „Angst vor der Selbstbestimmung der Frau“. Verbote sind menschen-, häufig männergemacht. Frauenrechte wurden und werden überall auf der Welt, gegen herrschende Konventionen und Tabus erstritten. Sie sind nirgends vom Himmel gefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört