Debatte Heimat: Entdeutschung heißt Entblödung
Derzeit wird zu viel Rücksicht auf rechte Wirrköpfe genommen. Buddeln wir am Ende den Führerbunker aus, nur um die Besorgten zu beruhigen?
Wie viel Heimat verträgt ein Staat? Wenn ich mich als Vaterlandsloser mit deutschem Pass bei Gleichgesinnten danach erkundige, wird das schnell als intellektuelle Zeitverschwendung abgetan. Identitäten sind das Phantasma der anderen. Sollen die sich damit herum plagen. Wenn man nicht Psychotherapeut ist oder masochistisch veranlagt, sollte man darüber nicht sprechen.
Nun wird man in letzter Zeit immer öfter gezwungen, über etwas zu sprechen, worüber man nach Wittgenstein schweigen müsste, da man nämlich nicht „die Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen“ kann.
Ganz im Gegenteil. So bevölkert inzwischen abstruses völkisches Wirrwarr die öffentlichen Identitätsdebatten, und nicht mehr nur Flüchtlinge, sondern Migranten im Allgemeinen stehen als neue Fragezeichen im Rechnungsbuch der Nation. Das erfordert viel Pseudo-Sprache, die sich an vielen Pseudo-Themen mit ebenso vielen Pseudo-Gesten abarbeitet (ein Kreuz mit den Bayern), und auch wir Einwanderer sind an dem Wirrwarr beteiligt: Wenn wir beispielsweise von Heimat sprechen, dann ist das angeblich nicht rechts, sondern ‚authentisch‘, weshalb man bei hiesigen Festivals der Kulturen kaum auf Lederhosensepperln oder schlesische Trachtenvereine stößt.
Es verwundert daher nicht, dass die deutsche Politik der letzten zwei Jahre darin besteht, die Gefühle einer überschaubaren Gruppe rechter Witzfiguren zu bedienen, deren private Befindlichkeiten zur res publica inthroniert werden. Auch sie wollen am Nationalkapital teilhaben. Sogar ein Ministerium hat man diesem Völkchen gewidmet – das Heimatministerium – obwohl sie noch gar nicht an der Macht sind. Oder sind sie schon an der Macht, und die Wähler müssen nur noch nachziehen? Kommt irgendwann auch ein Reichsministerium für Reichsbürger? Buddelt man am Ende den Führerbunker wieder aus, nur damit die Besorgten nicht über 50% kommen?
Kein Mitläufer sein
Der deutsche Albtraum besteht schließlich darin, dass Nazis nicht mehr rechts sind, sondern bürgerliche Mehrheit werden. Was können wir aber jenseits der liberaldemokratischen Selbstbeweihräucherung sonst noch tun, um die „Probleme der Bürger“ ernst zu nehmen? Wie wäre es einmal zur Abwechslung, die rechten Meinungs-Führer nicht mehr beim Namen zu nennen, ihnen nicht dieses Gewicht der Namensnennung zuzusprechen, nicht jede ihrer Provokationen mit Hochachtung zu belohnen, sich als ‚kritischer Journalist‘ einmal nicht als Nischenexperte der rechten Szene zu profilieren, also nicht mehr Mitläufer zu sein?
Wie wäre es also, eine Art vorauseilenden Bann auszusprechen, bevor die ganz Rechten an die Macht kommen, und nicht erst, nachdem sie alles zerstört haben? Auch heutzutage wird wieder über die „deutsche Seele“ geschrieben (Thea Dorn). Und an der Ostfront muss dem „asiatischen Prinzip“, wie Hegel einst die Bedrohung aus dem Morgenland nannte, Einhalt geboten werden. Wer einmal die rationale Struktur des identitären Wahns entdeckt hat, erkennt aber, wie dünn die zivilisatorische Deckelung ist, welche die kriegerische Barbarei bannt. Die Grenztoten im Mittelmeer geben eine Ahnung dieses im Grunde inneren Konfliktes der Identitätsparanoiker wieder.
geboren 1969 in Banja Luka, studierte Soziologie, Kommunikations-Design, Jazzpiano und Bildende Kunst in Nürnberg, Wuppertal und New York. Dissertation über die „Kunst des Nationalismus“ (Berlin 2007). Im Frühjahr 2019 erscheint bei diaphanes „Idiocracy“.
Insofern muss man jeden politischen Wirrkopf ernst nehmen, ohne dabei selbst wirr also unpolitisch zu werden. Darauf bezog sich etwa Nietzsche nach der Erfahrung von 1871, als er von der Notwendigkeit der „Entdeutschung“ schrieb. Er meinte damit nicht die Abschaffung Deutschlands, sondern dessen Entblödung. Erst wenn diese angegangen wird, kann man über die wirklichen Probleme verhandeln – und die haben gewiss nicht mit religiösen Symbolen an Wänden und Köpfen zu tun.
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