Debatte Gewalt in Partnerschaften: Die Scham ist nicht vorbei
Trotz guter Gesetze hat sich gesellschaftlich wenig bewegt: Noch immer schweigen Frauen nach Gewalt – wegen Schuldgefühlen oder aus Angst.
D ie junge Frau ist irritiert. Eins der vier Fotos auf dem Bildstreifen, den sie gerade aus dem Fotoautomaten gezogen hat, zeigt ihr Gesicht mit blauen Flecken, blutender Nase und Prellungen. Ungläubig streicht sie sich übers Gesicht: Ich habe doch gar keine aufgeplatzte Lippe. Sie versucht, das Bild zu „säubern“. Doch sosehr sie auch darauf herumwischt, die Zeichen offensichtlicher Gewalt kleben auf dem Bild.
Was ist das? In diesem Fall: ein Fake. Die Frau ist auf eine Aktion von Terre des Femmes und des „Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen“ hereingefallen. Die Menschenrechtsorganisation und die bundesweite Beratungshotline haben am 8. März mitten in Berlin einen Fotoautomaten aufgestellt, der weibliche Gesichter erkennt und jeweils eines auf dem Bilderstreifen so verändert, dass die Frau darauf aussieht, als wäre sie verprügeltet worden. Die Aktion, die gefilmt wurde und jetzt als Spot im Internet zu sehen ist, sollte darauf aufmerksam machen, dass jede vierte Frau Gewalt durch ihren aktuellen oder einen Expartner erlebt.
Das nicht einmal zwei Minuten lange Video hat alles, was Aufklärung zu diesem Thema braucht: eine alarmierende Zahl und den knappen Hinweis: „Wenn es jeder vierten Frau passiert, kann es auch dich betreffen oder Freunde oder Familie“.
Wir wissen nicht, ob eine der rund 60 Frauen, die sich am Frauentag auf dem Alexanderplatz fotografieren ließen, betroffen ist. Ebenso wenig wissen wir, ob die Botschaft des Spots, den man im Internet sehen kann, angekommen ist und die Frauen später mit ihrer Familie oder mit ihren Freundinnen und Freunden darüber geredet haben. Was wir aber wissen: Der Gewalt in Partnerschaften wird in der Gesellschaft bei Weitem nicht die Bedeutung beigemessen, die sie tatsächlich hat. Und das trotz zahlreicher und guter Gesetze.
Kein Verhalten rechtfertigt Gewalt
Das bewirkt unter anderem, dass über das, was zu Hause geschieht, nicht offen gesprochen wird – aus Scham, aus Ratlosigkeit, aus Angst. Oder aus dem Gefühl heraus, mitschuldig zu sein an der Gewalt: Warum habe ich auch darauf bestanden, mit meiner Freundin ins Kino zu gehen statt die Wäsche zu machen?
Unabhängig davon, dass kein Verhalten Gewalt rechtfertigt, betrachten nicht wenige Betroffene Prügeleien in den eigenen vier Wänden als Privatangelegenheit. Daran konnte das Gewaltschutzgesetz, das seit 15 Jahren gilt, nicht viel ändern. Dabei ist das Gesetz gut: Polizei und Gerichte können nach erwiesener Gewalt dafür sorgen, dass der Täter für eine Weile nicht in die Wohnung des Opfers darf. Er darf auch nicht an jenen Orten auftauchen, wo sich das Opfer regelmäßig aufhält.
Während noch vor 40 Jahren der damalige Kölner Sozialdezernent Hans Erich Körner behauptete, dass man die Männer, die ihre Frau verprügeln, in einer Schubkarre wegfahren könne, sind Politik, Polizei und Justiz mittlerweile alarmiert und informiert.
Das Gewaltschutzgesetz hat weitere Grenzen: Sobald ein Paar gemeinsame Kinder hat und der prügelnde Mann darauf besteht, diese auch zu sehen, muss die Frau das zulassen. So schreibt es das (grundsätzlich richtige) Umgangsrecht vor – und hebelt damit den Gewaltschutz aus. Vielfach nutzen Täter die Momente der Kinderübergabe zu erneuten Angriffen auf die Frau. Auch das bleibt der Öffentlichkeit meist verborgen. Wiederholte Angriffe werden in der Regel nur bekannt, wenn sie so drastisch enden wie 2013 in einem Fall in Bonn. Als die Frau dem Mann das gemeinsame Kind brachte, schlug er zu, Passanten riefen die Polizei.
Bei Gewalt kein Umgang mit dem Vater?
Expertinnen und Experten fordern seit Jahren, das Gewaltschutzgesetz dahin gehend zu ändern, dass Mütter beispielsweise im Namen ihrer Kinder beantragen können, dass sich der Vater ihnen nicht mehr nähern darf. Zudem sollten Gerichte bei „Gewaltfamilien“ nicht mehr in sogenannten beschleunigten Verfahren über Sorge- und Umgangsrecht entscheiden. Manche Gerichte verhandeln heute solche Fälle, ohne auch nur einmal die Eltern angehört zu haben.
Die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hatte die Gesetzeslücke erkannt. Sie sagte im Herbst vergangenen Jahres auf einem Podium zu häuslicher Gewalt: „Da, wo Partner gewalttätig sind, muss der Umgang ausgesetzt werden.“ Sie versicherte, ihr Haus sei mit dem Justizministerium im Gespräch, um das Umgangsrecht nachzubessern.
In Schweden, dem Musterland in Sachen Gleichstellungspolitik, ist man längst weiter. Im kommenden Januar will die Regierung eine neue Gleichstellungsbehörde einrichten. Über die wichtigsten geplanten Arbeitsbereiche hat Gleichstellungsministerin Åsa Regnér kürzlich in Berlin berichtet. Der Umgang mit häuslicher Gewalt soll eine große Rolle spielen: Prävention, verstärkte Aufdeckung von Partnerschaftsgewalt, mehr Schutz für betroffene Frauen und Kinder.
Ob die Schweden das alles so umsetzen werden, wie die sozialdemokratische Ministerin es angekündigt hat, wissen wir noch nicht. Bemerkenswert aber ist insbesondere ein Vorhaben: die „wirkungsvollere Strafverfolgung“ von Tätern häuslicher Gewalt.
Zu milde Strafen
Ein Ansatz, der ebenso für Deutschland interessant sein könnte. Hierzulande werden gewalttätige Männer nur sehr selten verurteilt und mit meist geringen Strafen bedacht. Kürzlich hatte das Amtsgericht Burgwedel einen 26-Jährigen zu acht Monaten auf Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, nachdem er seine Frau so heftig verprügelt und ihr dabei Knochen gebrochen hatte, dass ein Zeuge sagte: „Ich dachte, sie wäre tot.“
Das Burgwedeler Urteil fiel unter anderem so „mild“ aus, weil der Mann ein Antiaggressionsseminar absolviert hatte. Täter in Antigewaltprogramme zu schicken ist unabdingbar. Wie sonst sollen sie ein Unrechtsbewusstsein und Strategien entwickeln, auf ihre Wut und Aggression anders als mit Schlägen zu reagieren?
Das Problem in Deutschland aber ist: Die wenigen Angebote für gewalttätige Männer sind überlaufen und – wie auch Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen – chronisch unterfinanziert. Dem für Berlin wichtigen Zentrum für Gewaltprävention beispielsweise wurden die Lottomittel, die das Täterprojekt bislang erhielt, gerade nicht verlängert. …
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