Debatte Diesel-Gipfel: Kunden ohne Lobby

Die Autobranche ist schwach wie nie, der Druck auf die Politik groß. Vom Dieselgipfel ist trotzdem keine echte Veränderung zu erwarten.

Viele Autos auf einer Straße

Die Krise böte die Chance auf eine echte Verkehrswende, doch der Politik fehlt der Mut Foto: dpa

Die Dramaturgie des Dieselskandals hätte kein Bestseller-Autor besser hinbekommen. Beinahe täglich sickern neue schlechte Nachrichten aus der Branche durch. Von den großen deutschen Herstellern steht nur noch BMW halbwegs sauber da. Sollte sich der Vorwurf von verbotenen Kartellabsprachen bestätigen, ist es auch damit vorbei. Das Herzstück der deutschen Industrie ist trotz glänzender Geschäftszahlen mit Matsch besudelt.

Immer deutlicher zeigt sich, dass den Konzernen der Profit wichtiger ist als die Gesundheit von Mensch und Umwelt. Noch immer wiegeln die Manager mit unglaublicher Arroganz Forderungen nach einer anderen Verkehrspolitik und sauberen Autos ab.

In dieser Woche wird sich abzeichnen, ob sie damit weiterhin durchkommen. Es darf jetzt nicht mehr nur darum gehen, dem wichtigsten Industriezweig mit über einer Million Jobs den Rücken freizuhalten. Vielmehr böte die Krise die Chance auf eine echte Verkehrswende. Noch fehlt der Politik aber der Mut dazu.

Wer eine Woche der Entscheidungen mit einem Spitzentreffen von Politik und Industrie erwartet, wird danebenliegen. Auf dem Diesel-Gipfel am Mittwoch geht es in erster Linie darum, den vielleicht wichtigsten Grundpfeiler der Wirtschaft zu stabilisieren. Das oberste Ziel lautet, Fahrverbote zu vermeiden. Sie kämen, in Wirtschaftsdeutsch gesprochen, einer millionenfachen Entwertung privaten und gewerblichen Anlagevermögens gleich. Denn wenigstens alle älteren Dieselfahrzeuge verlören kräftig an Wert.

Die Industrie ignoriert Gesundheitsschutz

Das bisherige Nachrüstungsangebot der Industrie wird nicht reichen. Das Software-Update verbessert die Luftqualität in den Städten nach Ansicht des Stuttgarter Verwaltungsgerichts und einiger Autoexperten nur geringfügig. Das reicht nicht, um die europäischen Grenzwerte einzuhalten – über die man gut streiten kann. Die Luft am Arbeitsplatz darf 20-mal so hohe Stickoxidwerte aufweisen wie die auf der Straße.

Dabei ist erwiesen, dass mehr Menschen durch die Schadstoffe vorzeitig sterben, als es Verkehrstote auf den Straßen gibt und nicht jeder Arbeitsplatz schadstoffbelastet ist. Den Gesundheitsschutz hat die Industrie bewusst ignoriert. Die Wortwahl so mancher ans Licht gekommener interner Mail spricht Bände. Da wird „kritisch“ genannt, was schlicht verboten ist.

Die Unternehmen müssen für eine echte technische Verbesserung der Diesel-Flotten sorgen und die Kosten dafür komplett übernehmen. Der Verkehrsminister und manche Länder würden sich schon mit der kleinen Lösung des Softwareupdates zufrieden geben, wenn betroffene Autobesitzer oder Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten werden. Kurz vor der Bundestagswahl wäre das auch nicht vermittelbar. Doch auf Zusagen der Unternehmen sollte sich niemand mehr verlassen. Es muss eine klare Ansage geben, mit welchen Maßnahmen welche Umweltentlastung erreicht wird. Und die Kosten dürfen nicht sozialisiert werden.

Die Bosse halten sich für unangreifbar

Kurz vor dem Gipfel ist diese Botschaft in den Chefetagen immer noch nicht angekommen. Allein das Wissen um die Bedeutung ihrer Branche hat deren Bossen offenkundig das Gefühl gegeben, unangreifbar zu sein. Das sind sie nicht, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Andere Länder verbieten den Verbrennungsmotor in einer absehbaren Zeit.

Die Unternehmen verlieren an der Börse an Wert. Und es stehen weitere Strafandrohungen im Raum. Dass die Amerikaner nicht zimperlich sind, wenn es um die Bestrafung auch hochrangiger Manager sind, ist bekannt. Kartellabsprachen könnten auch Topleute auf die Fahndungsliste bringen. Etwas Demut der Verantwortlichen für das Desaster wäre angezeigt.

Fraglos trägt die Politik durch zu langes Wegschauen Mitschuld an der Entwicklung. Doch die Autohersteller haben gleich auf mehreren Ebenen versagt. Sie haben den Zukunfts­trend E-Mobilität ignoriert, weil sie mit den herkömmlichen Antriebstechnologien viel Geld verdienen. Der Mut, mit dem Bau von Batteriefabriken das Kernstück der Wertschöpfung von Elektroautos ins Land zu holen, fehlte lange. Die Unternehmen haben sich erst spät auf die Suche nach neuen Ertragsquellen wie dem Carsharing gemacht, die durch notwendige Vernetzung der Verkehrsträger entstehen.

Feigenblatt Mobilitätsfonds

Geschlafen haben die Konzerne gleichwohl nicht. Mehr als ein Drittel aller weltweiten Patentanmeldungen in Zusammenhang mit E-Mobilen stammt aus Deutschland. Man muss allerdings aus Patenten auch Produkte machen. Ohne den von Tesla ausgeübten Druck hätte sich die Branche wohl nie bewegt. Jetzt muss sie von sich aus eine Verkehrswende einleiten, wenn sie im internationalen Wettbewerb mithalten will. Sonst machen andere das glänzende Geschäft mit der Mobilität. Wie das geht, zeigt neben Tesla die Post, die ihre elektrischen Lieferwagen mittlerweile selbst produziert.

Die Politik hätte nun die Chance, mit einem zukunftsfähigen Verkehrskonzept auf die wachsende Mobilität bei dringendem Umweltschutz zu reagieren. Sie sollte die momentane Schwäche der sonst übermächtigen Autolobby dafür nutzen. Ein industriefinanzierter Mobilitätsfonds für saubere Luft ist wieder nur ein Feigenblatt. Auf Dauer notwendig sind Konzepte für mehr Mobilität bei geringerem Verkehrsaufkommen und sinkendem Ressourcenverbrauch. Doch darüber diskutieren am Mittwoch fast nur Politiker aus Autoländern. Zur Verkehrsrevolution ruft diese Runde gewiss nicht auf.

Schließlich muss die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass betrogene Kunden ihre Rechte gegenüber Konzernen auch durchsetzen können. Ein guter Gesetzentwurf für eine Musterfeststellungsklage liegt vor. Ein Bekenntnis zur Umsetzung nach der Wahl wäre ein gutes Zeichen.

Ein industriefinanzierter Mobilitätsfonds für saubere Luft ist wieder nur ein Feigenblatt.

Die Teilnehmerliste des Gipfels lässt darauf nicht hoffen. Verbrauchervertreter und Umweltschützer müssen draußen bleiben. Nicht einmal der zuständige Justiz- und Verbraucherminister wurde eingeladen. Die hinters Licht geführten Kunden haben keine Lobby in Bund und Ländern. Sie bleiben mit der Furcht vor dem Wertverlust ihrer Autos und drohenden Fahrverboten allein.

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Jahrgang 1960, arbeitet als freier Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Seine Schwerpunktthemen sind dabei Verkehrs-, Verbraucher- und Sozialpolitik.

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