Debatte DDR und Linke: Der flatterhafte Unrechtsstaat
Die Linkspartei soll als Klub von DDR-Nostalgikern vorgeführt werden. Was die Regierung behauptet, sollte mit Skepsis betrachtet werden.
L aut Angela Merkel gilt: „Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat.“ Wenn eine historische Deutung regierungsamtlich für natürlich erklärt wird, ist das Grund zur Skepsis. Sprachregelungen und diskursive Benimmregeln sind nicht die Aufgabe von Regierungen.
Seit wann weiß Angela Merkel, dass die DDR selbstverständlich als Unrechtsstaat zu bezeichnen ist? War das auch schon vor dem November 1989 der Fall – als sie eine unauffällige DDR-Bürgerin war, die nicht durch oppositionelle Gesten gegen den Unrechtsstaat auffiel?
Diese Debatte wurde 2009 mit ähnlichen Argumenten schon mal geführt. Das ist nicht ungewöhnlich: Wiederholung und Variation gehören zu den Ritualen historischer Selbstvergewisserung. Erstaunlich ist nur, dass noch immer schwer zu entziffern ist, was mit Unrechtsstaat gemeint ist. Klar ist hingegen das parteipolitische Ziel der Debatte: die Linkspartei an den Pranger zu stellen.
Der DDR fehlte „die grundlegende demokratische Legitimation“. Zudem wurden dort „Zehntausende Biografien durch staatliches Unrecht gebrochen und zerstört“. Politische Willkür konnte jederzeit „Recht und Gerechtigkeit ersetzen“. Das hat nicht Angela Merkel gesagt – es steht in in einer aktuellen Erklärung von Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi zum Mauerfall.
Es bleibt ein flirrender Rand
Trotzdem gilt die Linkspartei, die in Thüringen diese Kennzeichnung missmutig akzeptiert hat, als Wagenburg der Uneinsichtigen, die sich partout nicht zum Wort Unrechtsstaat bekennen wollen. So falsch das ist, es bleibt die Frage, ob „staatliches Unrecht“ und ein Staat „ohne demokratische Legitimation“ nicht Gebilde sind, die dem landläufigen Verständnis von Unrechtsstaat ziemlich nahekommen?
Nun wird es kompliziert. Denn: Ein Staat, der systematisch Unrecht begeht, ist noch kein Unrechtsstaat. Dann wären auch Frankreich während des Algerienkrieges oder die USA, die in Guantánamo Grundrechte verletzen, so zu bezeichnen. So scheint es sinnvoll, nur Diktaturen als Unrechtsstaaten zu kategorisieren. Demnach waren Spanien unter Franco und die Länder Ostmitteleuropas bis 1989 Unrechtsstaaten. Unrechtsstaat ist, so verstanden, eine Art Synonym von Diktatur, in der das Recht stets durch Willkürherrschaft der Mächtigen gebrochen wird.
Allerdings bleibt bei dem U-Wort, anders als bei Diktatur, ein flirrender Rand. Stets läuft es Gefahr, die Grenze zwischen DDR und Nazistaat zu verwischen. Der sozialdemokratische Rechtsphilosoph Gustav Radbruch benutzte diesen Begriff 1945, um den verbrecherischen Charakter des Naziregimes zu beschreiben.
Radbruch verstand Unrechtsstaat als ein Gebilde, in dem „der Mord an Andersrassigen geboten“ ist, das Vernichtungskriege führt und die Ermordung von Bevölkerungsgruppen betreibt – also einen Staat, der wesentlich auf Unrecht geeicht war. In Diktaturen indessen beugen die Herrschenden das Recht, um ihre Macht zu sichern – im Unrechtsstaat, wie Radbruch ihn verstand, ist das Unrecht selbst das Ziel.
Gesinnungs-TÜV statt Diskurs
Der Jurist Thomas Claer hat in seiner Promotion untersucht, ob die DDR als Unrechtsstaat zu definieren ist. Sein Befund lautet: Ja, weil Gewaltenteilung nur auf dem Papier stand und Oppositionelle oder Ausreisewillige bespitzelt, verfolgt und getötet wurden. Und: Nein, insofern es im SED-Staat, anders als im NS-Regime, kein mörderisches Staatsziel gab.
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In 40 Jahren DDR gab es etwa 200.000 politische Gefangene, einen monströsen Geheimdienst, eine willfährige Justiz. Kluge Sozialdemokraten wie Richard Schröder und Wolfgang Thierse beharren deshalb darauf, die DDR Unrechtsstaat zu nennen. Unrechtsstaat soll, so verstanden, die systematische Entrechtung der Oppositionellen betonen, nicht aber die agitatorische Rot-gleich-braun-Ideologie bedienen. In diesem Sinne ist auch die von SPD, Grünen und Linkspartei in Erfurt unterzeichneten Erklärung zur DDR-Geschichte zu verstehen.
Manche Historiker halten die DDR für eine stasigesteuerte, subtil totalitäre Diktatur, andere für ein Regime, das seinen Untertanen recht viele Nischen und Freiräume lassen musste. Die DDR war, wie es Joachim Gauck und Richard Schröder einleuchtend skizziert haben, ein Art modernes Feudalsystem, in dem die Rechte der Bürger dem Staat gegenüber durch die Eingabe der Untertanen an die Obrigkeit ersetzt wurden. In vielem war die DDR eine Fürsorgediktatur, die eher autoritär und patriarchal als durch blanke, kalte Repression herrschte.
Darüber kann man in freier Debatte streiten. Was verwunderlich, ja engherzig wirkt, ist, dass der flatterhafte Begriff Unrechtsstaat als einzig moralisch korrekte Formel gelten soll, die das ausreichende Maß an Abscheu signalisiert. Diktatur, ein Wort, das Täter, Opfer und Unterdrückung deutlich anklingen lässt, gilt hingegen als weichgespülte Verharmlosung. So verkümmert der Diskurs zum Gesinnungs-TÜV.
Symbol für Totalitarismus
Nun kann man finden, dass es auch nach 25 Jahren nötig ist, von der Linkspartei, der Rechtsnachfolgerin der SED, Distanzierungen in Sachen DDR zu verlangen. Richtig ist, dass öffentlicher Druck auf die PDS/Linkspartei nützlich und nötig war. Zur Vergangenheitsbewältigung mussten die Genossen – ebenso wie die Ost-CDU – meist zum Jagen getragen werden.
Die PDS war in den 90er Jahren Auffangbecken für die abgewickelte DDR-Elite, die sie in die Bundesrepublik integrieren half. Einen deutlichen erinnerungspolitischen Wendepunkt markierte der rot-rote Koalitionsvertrag 2002 in Berlin. Die Mauer, stand dort zu lesen, war ein „Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung“, und Ausdruck „eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben missachtete“.
Dass die PDS die DDR mit Totalitarismus, dem Kampfbegriff des Klassenfeindes, assoziierte, war ein Bruch mit den gängigen Ja-aber-Sätzen, mit denen man die DDR in der PDS bedachte. Das Gedenkkonzept Berliner Mauer entwarf ein PDS-Senator. Als Rot-Rot 2009 Brandenburg regierte, lobte man im Koalitionsvertrag die Bürgerrechtsbewegung und geißelte, wenn auch in dürren Worten, die Unterdrückung der SPD durch die SED.
Auch bei den Genossen hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass das DDR-Regime an sich selbst erstickt ist und die Mauer verbrecherisch war. Die Linkspartei (deren Mitglieder 2014 nur zur Minderheit in der SED waren) hat sich der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur – stolpernd – angepasst. Sie tat das teils aus eigenem Antrieb, teils, um politisch zu überleben.
Verstockte Antidemokraten
Der mentale Abschied vom Gestern ist ein Echo der geglückten deutschen Vereinigung und der gelungenen gesellschaftlichen Integration der Linkspartei-Klientel im Osten. Laut einer Umfrage in Brandenburg sind auch die Anhänger der Linkspartei überwiegend zufrieden mit der Entwicklung seit 1989. Das oft zum Ressentiment geronnene Gefühl, Opfer der Vereinigung zu sein, scheint zu verblassen.
Es gibt aber auch 2014 noch eine kleine, äußerst unsympathische Szene von verstockten DDR-Nostalgikern und Antidemokraten. Die Linkspartei hat die Drähte zu den reaktionären Rentnerklubs aus Exstasileuten und NVA-Traditionsverbänden nie gekappt. Dafür verdienen Gysi und Co schärfste Kritik – nicht aber dafür, dass sie es beim Unrechtsstaat-Wording an der staatspolitisch geforderten Begeisterung fehlen lassen.
Denn diese mit viel Bekenntniszwang geführte Debatte zielt nicht auf Erkenntnisgewinn. Sie hat etwas Fetischhaftes, Rechthaberisches. Und sie ist auch der Versuch, Erinnerungspolitik parteipolitisch zu nutzen – für die CDU, deren Herrschaft in Thüringen bedroht ist.
Pathosschwerer Antikommunismus
In dieses Bild passt auch die Warnung von Joachim Gauck vor einem linken Ministerpräsidenten in Erfurt. Es ist das erste Mal seit 1949, dass ein Bundespräsident Koalitionsverhandlungen in einem Bundesland kommentiert hat. Gauck hat damit die Abgeordneten von SPD und Grünen in Thüringen mehr oder weniger deutlich ermuntert, Bodo Ramelow nicht zu wählen – obwohl die Mitglieder und Vorstände von SPD, Grünen und Linkspartei dies in einem demokratischen, offenen Prozess beschlossen haben.
In diese Logik fügt sich auch der Auftritt von Wolf Biermann im Bundestag, ein schrilles, letztes Aufflackern eines pathosschweren Antikommunismus ohne Kommunisten. Biermann nannte die Linksfraktion „Drachenbrut“. Kann man sich vorstellen, dass CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert dies lächelnd hätte durchgehen lassen, wenn Abgeordnete von Union, SPD oder den Grünen mit solchen Freundlichkeiten bedacht worden wären?
Was von Bundeskanzlerin, Bundespräsident und Bundestagspräsident zu hören war, hat indes Züge einer Kampagne, die nicht frei von Selbstgerechtigkeit ist.
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