Überwachung von Linken im Bundestag: Abschied von der Staatsfeindin

Nach jahrelanger Überwachung muss der Geheimdienst seine Akten über Linken-Abgeordnete vernichten. Bayern fällt das Schreddern schwer.

Die Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke spricht an einem Mikro

Als einzige Linken-Abgeordnete wird Nicole Gohlke noch vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Foto: wikimedia/fishinwater (CC2)

BERLIN taz | Der bayerische Verfassungsschutz hat es sich nicht leicht gemacht. Neun Monate brütete er über seiner Antwort an die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke, dann erst ging Ende April der Brief in die Post. In feinstem Amtsdeutsch teilte Bayerns Verfassungsschutzchef Burkhard Körner der Bildungsexpertin der Linksfraktion mit: „Zu Ihrer Person sind im Rahmen der Beobachtung linksextremistischer Personenzusammenschlüsse personenbezogene Daten gespeichert.“

Dann listete er Aktivitäten auf, die Gohlke für den bayerischen Geheimdienst zur wohl letzten Verfassungsfeindin im Bundestag machten.

So jedenfalls deutete man in der Linksfraktion das kryptische Schreiben aus München: Obwohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Beobachtung aller Abgeordneten der Linksfraktion im Frühjahr 2014 hatte stoppen lassen, machte der bayerische Verfassungsschutz erst einmal damit weiter. Zumindest in einem einzigen Fall – nämlich ihrem.

Doch was genau könnte an dieser 39-jährigen Münchnerin, studierte Kommunikationswissenschaftlerin, Mutter eines kleinen Kindes, gefährlicher sein als an allen anderen Parlamentariern im Bundestag?

Nicht alle Akten gelöscht

Auf Nachfrage lehnt der bayerische Verfassungsschutz jede Auskunft zu ihrem Fall ab. Der Behördensprecher beruft sich auf das Datenschutzrecht: Sein Amt dürfe solche Presseanfragen zu „gegebenenfalls vorhandenen personenbezogenen Speicherungen“ grundsätzlich nicht beantworten.

Stattdessen lässt er wissen, der Verfassungsschutz verzichte bei Abgeordneten auf „nachrichtendienstliche Mittel der Observation“ – also etwa eine heimliche Beschattung durch Spitzel. Man habe nach dem Karlsruher Urteil die Beobachtungspraxis „überprüft und entsprechend angepasst“. Die meisten Akten über Abgeordnete seien gelöscht worden.

Aber eben nicht alle. Von vier Abgeordneten aus Bayern hatten laut Linksfraktion drei einen Negativbescheid bekommen – nur nicht Nicole Gohlke. In dem Brief an sie versicherte der bayerische Verfassungsschutzchef: Sein Amt ermittle noch „im Rahmen einer Einzelfallprüfung“, ob „die Voraussetzungen für eine Löschung aller zu Ihrer Person gespeicherten Daten vorliegen“. Darüber werde man Gohlke „zeitnah“ informieren. Das war im April. Seither: Schweigen.

Nicole Gohlke fiel bisher vor allem Fachpublikum auf. Schlagzeilen machte nur ein Strafverfahren gegen die Münchnerin – sie hatte bei einer Demonstration gegen den Islamischen Staat im Herbst 2014 eine Flagge der verbotenen Kurdenpartei PKK hochgehalten und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert. Diese Provokation erwähnt der Verfassungsschutzpräsident in dem Brief an sie allerdings gar nicht.

Als Sozialpädagoge kümmerte er sich im Berlin der Achtziger um sexuell missbrauchte Jungen. Heute gerät ein Gespräch mit Christian Spoden zur Zeitreise – in ein Kreuzberg, von dem bis heute viele zu wenig wissen wollen. Das Titelgeschichte „Kreuzberg war ein Jagdrevier“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. August 2015. Außerdem: Das Binnen-I stört. Und jetzt machen ihm auch noch Sternchen, Unterstrich und x Konkurrenz. JournalistInnen, Feminist_innen und Expertx streiten über die neuen Versuche, gendergerecht zu schreiben. Und: Viele empören sich über den Vorwurf des „Landesverrats“ gegen die Blogger von Netzpolitik.org. Wofür würden Sie ihr Land verraten? Die Streitfrage – mit einem Gastbeitrag des Netzaktivisten Jacob Appelbaum. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Alarmierende Wahlkampfbroschüre

Dafür entdeckten die bayerischen Fachleute für Linksextremismus in ihrem Flyer zur Bundestagswahl 2013 ein offenbar brisantes Foto: Gohlke trage darauf ein T-Shirt mit einem Aufdruck der „Antifaschistischen Aktion“ sowie „einer roten und schwarzen Fahne“. Mehr noch: „Auf dem Bild sitzen Sie in den Reihen des Bundestags“, hielt ihr der Behördenchef vor. Das Antifa-Emblem werde in der „linksextremistischen autonomen Szene“ verwendet und oft bei gewalttätigen Demonstrationen getragen.

Die Wahlkampfbroschüre schien den Verfassungsschützern auch in anderer Hinsicht alarmierend. Gleich am Anfang weise Gohlke darauf hin, einen Einblick in ihre parlamentarische Arbeit und ihre Aktivitäten in „Kampagnen und Initiativen“ geben zu wollen: „Auch die Notwendigkeit des Außerparlamentarismus wird verdeutlicht“, vermerkte das Amt.

Gohlkes Engagement in außerparlamentarischen Gruppen scheint den Bayern besonders suspekt gewesen zu sein. So notierten sie, die Abgeordnete habe sich bei einer „Marx-is-Muss-Konferenz“ in Berlin ebenfalls für das Entstehen „neuer, sozialer, außerparlamentarischer Bewegungen“ stark gemacht.

Obendrein sei Gohlke nicht nur Mitglied der linken Rechtshilfeorganisation „Rote Hilfe“, sondern „maßgebliche Funktionärin“ des trotzkistischen Netzwerks marx21. Die Organisation tritt laut Eigenwerbung an, „die Macht der Konzerne zu brechen“ und will „eine politische Alternative zum Kapitalismus“ aufbauen.

19 Linke-Parlamentarier im Visier

Deshalb stuft auch das Bundesamt für Verfassungsschutz marx21 als linksextrem ein – und sammelt nach wie vor fleißig Informationen über das Netzwerk. Neuerdings aber eben nicht mehr über die darin aktiven Bundestagsabgeordneten, versichert der Inlandsgeheimdienst.

Bis 2014 hatte die Kölner Zentrale immerhin noch 19 Linke-Parlamentarier im Visier – also knapp ein Drittel der Oppositionsfraktion. Aus Gründen der „Beobachtungspriorisierung“ und wegen des „besonderen Status“ der Abgeordneten machte Innenminister de Maizière 2014 damit Schluss. Auslöser war ein Urteil der Bundesverfassungsgerichts. Darin erklärten die Richter die Beobachtung des thüringischen Linkspartei-Politikers und heutigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow für verfassungswidrig.

In der festungsartig abgeriegelten Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln lagerten damals meterweise Geheimakten über Bundestagsabgeordnete der Linken: Insgesamt waren es „ungefähr 9.600 Aktenstücke“, wie das Innenministerium der Fraktion im Mai 2014 mitteilte. Wenig später kassierte der Geheimdienst allerdings eine weitere Niederlage. Im September urteilte das Verwaltungsgericht Köln: Die Akte von Fraktionschef Gregor Gysi muss in den Schredder.

Inzwischen dürfte die Behörde ahnen, dass sich ihre gesammelten Bestände über Linken-Abgeordnete nicht retten lassen. Doch dem Geheimdienst fällt der Abschied von den mühsam zusammengetragenen Dokumenten offenbar schwer.

Bayerische Meinungsfreiheit

„Die Akten sind für die Vernichtung ausgesondert worden und stehen der Fachabteilung nicht mehr zur Verfügung“, versichert eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz. Sie sollten in nächster Zeit gelöscht werden. Was genau das Amt seit Monaten hindert, sich von den Schätzen zu trennen, bleibt unklar.

Auch in den meisten Landesämtern setzte längst ein Umdenken ein. Der Sprecher des hessischen Verfassungsschutzes etwa versichert, man lege „aus Respekt vor dem Mandat“ grundsätzlich keine Akten mehr über Abgeordnete der Linksfraktion an. Dabei engagiert sich die hessische Linkspartei-Abgeordnete Christine Buchholz wie Gohlke bei marx21 und in der gewerkschaftsnahen Sozialistischen Linken, einer vom Geheimdienst ebenfalls als linksextrem eingestuften Parteiströmung.

Dass bayerische Beamte ihre Zeit damit verbringen, Zeitungsausschnitte über sie zu archivieren, beeindruckt Nicole Gohlke zwar nicht sonderlich. Erschreckend findet sie aber, dass ihr der Verfassungsschutz das Tragen eines Antifa-T-Shirts oder ein Engagement in außerparlamentarischen Initiativen vorhielt: „Das lässt tief blicken, was das bayerische Verständnis von Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht angeht.“

Doch eine Klage gegen den bayerischen Verfassungsschutz erübrigt sich nun. Gut eine Woche nach der taz-Anfrage beim bayerischen Verfassungsschutz erhält Nicole Gohlke erneut Post von der Behörde. „Ihr Einverständnis voraussetzend“ beabsichtige man „alle zu Ihrer Person gespeicherten Daten“ zu löschen, schreibt das Amt überraschend.

Am Okay der Abgeordneten dürfte es nicht scheitern. Nicole Gohlke hat auch in den Parlamentsferien besseres zu tun, als sich mit dem Geheimdienst herumzustreiten. Sie gewöhnt gerade ihre Tochter in die Kita ein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.