De Maizière gegen Geflüchtete: Innenminister mit Matheschwäche
Der Bundesinnenminister macht mit unbelegten Zahlen Stimmung gegen Flüchtlinge. Kann er nicht rechnen oder lügt er?
In dieser Funktion fällt in seine Verantwortung die Registrierung der Neuankömmlinge, die Bearbeitung der Asylanträge und gegebenenfalls die Abschiebung abgelehnter BewerberInnen. Er unterrichtet, wie seine KabinettskollegInnen auch, die Öffentlichkeit über seine Arbeit.
Diese Unterrichtungen jedoch sind es, die zunehmend in die Kritik geraten. So erklärte de Maizière im vergangenen Jahr, dass sich „30 Prozent“ der Asylsuchenden mit gefälschten Papieren als Syrer ausgäben. Dass es für diese Behauptung keinerlei Zahlenbasis gab und gibt, stört den Minister nicht. Bei 100.000 Prüfungen wurden lediglich 412 Fälschungen entdeckt, also weniger als ein halbes Prozent und damit signifikant weniger als besagte 30.
Wieviele der gefälschten Papiere Syrern gehörten, die damit den Verlust ihrer Pässe ersetzen mussten, ist da noch nicht einmal eingerechnet. Die Zahl 30 aber ist in der Welt und hilft sicher nicht, Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung abzubauen. Rechtspopulisten und Nazis werden sich für die Vorlage bedanken.
100 Prozent Äpfel und Birnen
Der MDR untersuchte nun eine weitere Behauptung des Ministers: „Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden“, so de Maizière über die Ursache eines Rückstaus bei der Entfernung von ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerbern.
Das Bundesinnenministerium konnte dem Fernsehsender auf Nachfrage keine Statistik über die Zahl ärztlicher Atteste bei drohenden Abschiebungen vorlegen – weil es keine Statistik gibt. Zitat MDR: „Die Zahl ‚70 Prozent‘ hat sich der Bundesinnenminister offenbar ausgedacht.“
Wie aber kommt der Bundesinnenminister auf diese 70 Prozent? Hat er sie gewählt, weil sie zusammen mit den 30 Prozent „falscher Syrer“ eine runde 100 ergeben?
Dass AfD und Pegida Gerüchte streuen, um Ängste zu schüren, ist ihr Geschäftsmodell; von einem Bundesminister darf aber wohl eine gewisse Verpflichtung zur qualifizierten und korrekten Darstellung von Sachverhalten aus seinem Verantwortungsbereich erwartet werden. Ist er dazu nicht willens oder in der Lage, muss die Frage erlaubt sein, ob der Mann zum Himmel schreiend inkompetent ist oder bewusst lügt. Beides wäre keine Empfehlung für den Minister, oder wie er selber an anderer Stelle zu Protokoll gab: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“
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