Dauerthema Bahn: Im Geisterzug nach Feierabend
Alle reden vom Wetter? Nein, heute geht's doch meistens um die Bahn. Unser Kolumnist kann es trotzdem nicht lassen. Es war aber auch wirklich schlimm.
S chlimmer als regelmäßig mit der Bahn fahren zu müssen, ist eigentlich nur noch das pausenlose Gespräch darüber. Man kennt’s: Der Zug ist endlich da, man kommt sogar irgendwie noch rein und alles könnte sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch noch zum Guten wenden – und dann dauert es keine drei Minuten, bis irgendwer losblökt von wegen „Deutsche Bahn dies – Deutsche Bahn das“.
Sogar noch schlimmer ist es geworden, seit man sich nicht mal mehr drüber streiten kann. Es gibt ja keine:n mehr, der oder die den Scheißladen verteidigen würde. Vor ein paar Jahren lief einem wenigstens hin und wieder noch so ein Gelegenheitsfahrer über den Weg, der ungefragt einwenden konnte, dass doch alles nicht so schlimm sei, dass man sich mal entspannen solle, dass es im Urlaub auf ein oder zwei Stunden nicht ankomme, dass Meckern typisch deutsch sei und so weiter und so fort.
Es hätte mich ja eigentlich schon noch interessiert, wie solche Leute auf die Idee kommen, ihnen stünde ein Urteil zu über das alltägliche Pendler:innen-Elend da draußen. Aber wie gesagt: Es gibt sie ja gar nicht mehr, diese soziopathisch-privilegierten Bahnfreund:innen – und wenn der Irrsinn überhaupt weiter in Schutz genommen wird, dann ist das ganz sicher als Witz gemeint.
Wahrscheinlich ahnen Sie schon, dass auf diese Vorrede eine Bahngeschichte folgen wird. Und das tut mir auch wirklich leid. Es ist wie mit dem Wetter, das man ja auch hin und wieder mal verlegen anspricht, obwohl man das Klischee natürlich kennt. Außerdem ist die Geschichte auch wirklich sehr gut und hat sogar eine Art Happy End. Ein vergiftetes.
40-minütige Bier-Zwangspause
Also: Es ist Montag spät abends und ich hetze von einer Sitzung an den Bremer Hauptbahnhof, wo ich meinen Zug aufs Dorf um 25 Minuten verspätet angeschlagen sehe. Da auch der Alternativzug der nichtbundeseigenen NordWestBahn deutlich verspätet sein soll, muss es wohl an höherer Gewalt liegen. „Stellwerksfehler“ ist das Wording in der Durchsage, aber das muss ja nun auch wirklich nicht allzu viel heißen.
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Am nächtlichen Bahnsteig steht neben rund 100 Erschöpften von der nahen Kirmes eine kleine Gruppe Uniformierter beisammen. Augenscheinlich nach Dienstschluss und lustigerweise alle von verschiedenen Verkehrsunternehmen: DB, NWB, BSAG … Ich höre halb aufmerksam zu, wie sie darüber spekulieren, ob heute überhaupt noch was fährt. „Mutig“, quittiert einer die Durchsage, dass es in 40 Minuten weitergehe. Ich bin zu müde zum Ausrasten und hole mir ein Bier vom Jahrmarkt.
Wieder oben am Bahnsteig sind wir inzwischen bei 50 Minuten angelangt und auch den Fachkräften ist das Lachen vergangen. Doch dann passiert’s: Das Wort „Stellwerkstörung“ ist noch nicht ganz verhallt, als am übernächsten Bahnsteig ein leerer Zug einrollt. Einer der Uniformierten runzelt die Stirn. „Ich glaub, das bin ich“, sagt er und rennt schlagartig los, vorbei an den ganzen entnervten Spätschichtler:innen und Freimarktsbesucher:innen. Angesagt wird nichts. Aber aus irgendeinem Grund stelle ich das recht volle Bier auf den Boden und renne ihm hinterher.
Kein Name, keine Nummer, keine Richtung
Auf dem unerwartet eingelaufenen Zug steht nichts drauf: kein Name, keine Nummer, keine Richtung. Aber der mir vorauseilende Fachmann haut ans Fenster der Lok und fragt. Es ist tatsächlich meine Richtung und seine auch. Wir springen rein und rollen direkt wieder los. Nicht 25, 40 oder 50 Minuten zu spät – sondern exakt nach Plan. Nur eben vom falschen Gleis und ohne Ansage.
Dafür aber mit so richtig viel Beinfreiheit – denn die hundert anderen stehen ja noch nebenan und versuchen, sich nicht allzu sehr zu ärgern über den Zugausfall.
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