piwik no script img

Das Jahr der BrandanschlägeEs muss laut werden in Deutschland

Mehr als 120 Brandanschläge sind in diesem Jahr auf Flüchtlingsunterkünfte verübt worden. Dagegen braucht es endlich unüberhörbaren Aufstand.

Es lodert in Deutschland. Hier die Asylunterkunft in Weissach, August 2015 Foto: dpa

Es lodert still in Deutschland. Erst an Weihnachten wieder warfen vier Täter in Schlettau im Erzgebirge Brandsätze in ein geplantes Flüchtlingshaus, die anwesenden Sicherheitskräfte schreckten sie nicht ab. Auch in Schwäbisch Gmünd, in Baden-Würrtemberg, brannte eine im Bau befindliche Unterkunft.

Es folgte das Übliche. Fassungslose vor Ort, Politiker, die die „feige Tat“ verurteilten. Aber auch das große Schweigen. Mal wieder.

Es ist still in Deutschland. Zu still dafür, dass in diesem Jahr 121 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt wurden. Zur Erinnerung, im vergangenen Jahr waren es: sechs. Nimmt man die eingeworfenen Scheiben dazu, die gefluteten Keller, die an die Fassade geschmierten Hassparolen – dann zählen Sicherheitsbehörden 850 Straftaten gegen Asylunterkünfte in diesem Jahr. Auch das übertrifft das Vorjahr bei Weitem.

Wir haben uns an die Gewalt gewöhnt

Diese Gesellschaft aber reagiert mit Gleichgültigkeit, allenfalls kurzlebigem Erschrecken. Bis zum nächsten Anschlag. Sie hat sich an das Lodern gewöhnt, nimmt die Gewalt hin. Gewalt, die auf Hilfesuchende zielt, die im Dunkel der Nacht Schlafende attackiert, die längst auch den Mordanschlag in Kauf nimmt. Wie kann das sein?

Es ist etwas verrutscht in diesem Land. Auf der einen Seite stehen tausende Helfer in den Asylunterkünften, spenden Kleidung, geben ehrenamtlich Sprachkurse. Auf der anderen Seite aber ist der Hass in die Mitte gerückt.

Hinter den Bannern der „Nein zum Heim“-Kampagnen stehen längst nicht mehr nur Neonazis, sondern auch Anwohner, die bisher politisch nicht auffällig waren, jedenfalls nicht jenseits ihres Gartenzaunes. Nun sind sie es, die nachts mitzündeln.

Brandstifter entkommen fast immer

Der Polizei gelang es nur in wenigen Fällen Brandstifter zu fassen, in erschreckend wenigen: Rund zwei Drittel der Taten bleiben unaufgeklärt. Unter den Geschnappten war den Ermittlern nur jeder Dritte bekannt. In Escheburg legte ein Finanzbeamter Feuer in einem Flüchtlingshaus. Vor Gericht sagte er, er habe Angst um das „Schöne“ gehabt, das sich seine Familie aufgebaut habe. In Altena war es ein junger Berufsfeuerwehrmann, der „persönliche Verärgerung“ angab. Das also reicht inzwischen, um das Leben von Menschen aufs Spiel zu setzen.

Empathielosigkeit und Verrohung geht einher mit einem Demokratieverdruss, der in Verachtung umgeschlagen ist

Denn immer mehr Anschläge richten sich auch gegen bewohnte Unterkünfte. In Salzhemmendorf flog ein Molotowcocktail in das Kinderzimmer einer Familie aus Simbabwe. In Freiberg explodierte ein Sprengsatz in einem Heim, sieben Bewohner wurden verletzt. In Heppenheim wurde ein Flüchtling schwer verletzt, als er sich mit einem Sprung aus dem Fenster vor dem Feuer rettete. So bitter es ist: Es scheint derzeit nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis es erste Tote gibt.

Es ist eine Schranke gefallen. In einer Studie der Universität Bielefeld behauptete fast die Hälfte der Befragten, Zuwanderer würden in ihrer Heimat gar nicht verfolgt. 15 Prozent sagten, sie seien bereit, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen“.

Offene Demokratieverachtung

Die Empathielosigkeit und Verrohung von Teilen der Gesellschaft geht einher mit einem Demokratieverdruss, der in offene Verachtung umgeschlagen ist. „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ wurden 2015 zu den Lieblingsparolen der Hassbürger. Dazu kommt eine Abstiegsangst, die sich schon in der jüngsten Griechenlanddebatte zeigte und jetzt wieder aufbricht. Sie macht blind gegenüber der Not der Asylsuchenden – aus Sorge wieder zu kurz zu kommen.

Dieses Gefühl wird angeheizt von einer rassistischen Stimmungsmache wie es sie lange nicht gab. In Dresden erlebte die Pegida-Bewegung ihr Comeback, immer schriller werden dort die Töne gegen Flüchtlinge. Und die Menge skandiert ihren Willen zur Tat: „Widerstand“. Bundesweit setzt sich die AfD fest – mit im Grunde nur noch einem Thema: der Ablehnung der Asylsuchenden. Die Pegida-Sorgenträger nennt die Partei „natürliche Verbündete“, sie spricht von „Angstzonen“, die Flüchtlinge schaffen, warnt vor einer „Auflösung Deutschlands“.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Es ist eine Rhetorik der Eskalation. Nicht zufällig bündelt sich die Gewalt gegen Flüchtlinge in Sachsen, der Pegida-Geburtsstätte und AfD-Hochburg. Das Demonstrieren gegen Unterkünfte, das Bedrängen von Helfern gehört hier zum rassistischen Alltag.

Dennoch: Die Angriffe auf die Asylunterkünfte ziehen sich quer durchs Land, werden in der schwäbischen Provinz wie im so weltoffenen Berlin verübt. Auch die CSU lässt sich zur Stimmungsmache hinreißen, wenn sie mit „Notwehr“ gegen den Flüchtlingszuzug droht.

Hass in der Blase

Für die Zündler sind dies Aufrufe zur Tat. Diese bewegen sich in einer zunehmend abgeschotteten Parallelgesellschaft. Dort werden über das Internet oder in Anti-Asyl-Märschen nur noch vermeintliche Gräuelgeschichten über Flüchtlinge wahrgenommen, wachsen Angst und Abwehr – zu der inzwischen wie selbstverständlich das Feuerzeug gehört, weil nichts einfacher Fakten schafft.

Es wird schwer sein, in diese Blase einzudringen. Es wird mit jeder Woche schwerer, in der nach den Anschlägen wieder zur Tagesordnung übergegangen wird. Wir hatten das schon einmal. Bereits 1991 gab es eine anschwellende Serie an Brandanschlägen gegen Flüchtlingsheime, 338 an der Zahl. Die Reaktionen waren damals ebenso überschaubar. Dann warfen im Jahr darauf zwei Neonazis Molotowcocktails in zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser. Die zehnjährige Yeliz Arslan starb, die 14-jährige Ayse Yilmaz starb, die 51-jährige Großmutter Bahide Arslan starb. Erst danach gab es bundesweit Lichterketten und Demonstrationen. Muss es erst wieder soweit kommen?

Schulterschluss gegen die Feuerleger

Es darf nicht. Wir müssen jetzt den Lauf des Zündelns stoppen. Dass selbst zu Heiligabend und an bewohnten Unterkünften gebrandstiftet wird, zeigt, dass es von den Gewalttätern kein Innehalten geben wird. Wir brauchen einen bundesweiten Aufstand gegen den Hass, einen politischen Schulterschluss gegen die Feuerleger.

Es ist Aufgabe der regierenden Politik sich klar und deutlich hinter die Helfenden und Anti-Rassisten zu stellen. Sie muss die geistigen Brandstifter in die Schranken weisen – auch in den eigenen Reihen.

Es ist aber auch eine Aufgabe an uns alle. Noch sind die Helfer in den Flüchtlingsunterkünften in der Mehrzahl, noch überwiegt die Empathie. Es ist das größte Pfund im Kampf gegen die Brandstifter: die Solidarisierung mit den Opfern, ein gelebtes Contra gegen die Gewalttäter.

Es reicht aber nicht, den Hass zu übertünchen. Es braucht auch einen Kampf gegen das Schweigen, gegen die klammheimliche Zustimmung für die Brandstifter. Wie kann es sein, dass so viele von ihnen unerkannt bleiben? Brüsten sie sich wirklich nirgends ihrer Taten? Wissen die Nachbarn wirklich so wenig?

Es gibt bereits Demonstrationen, so wie jetzt nach dem Brand zu Weihnachten in Schwäbisch Gmünd. Diese Empörung muss durch das ganze Land gehen. Es muss laut werden in Deutschland, laut gegen den lodernden Hass.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Sind von Gerichten in Pirna und Dresden überhaupt einmal Täter rassistischer Übergriffe verurteilt worden? Wie ist das Verhältnis von Verurteilungen zu Freisprüchen? Gibt die Statistik des Saxn-Staats darüber Auskunft?

     

    Wie kommt es, dass der Staat Saxn zur Aufklärung der von ihm verursachten NSU nichts beiträgt und ein schlagender Burschenschaftler Chef des Geheimdienstes ist? Schlagende Buschenschaftler sind die, die seit ihrer Jugend das Kuscheln mit schlagenden Nazis gelernt haben und bei denen das antidemokratische Denken der Rechten der Weimarer Republik konserviert ist - heute wieder im Staat Saxn.

     

    Wie kommt es, dass in dem schönen und teilweise sogar wohlhabenden Tourismusgebiet Sächsische Schweiz (2% Ausländeranteil, NPD-Wahlergebnisse bis zu 30%) ein Jugendlicher auf Klassenfahrt von Einheimischen auf einem Dorffest weggeschubst, krankenhausreif geschlagen und dann bis in die Toilette seiner Jugendherberge, in der er Rettung suchte, verfolgt wird. Wie kommt es, dass sogar in diesem weit beachteten Fall der Rechtsstaat in Form des Amtsgerichts Pirna (ebenfalls 2% Ausländeranteil, NPD+AFD 20%) die Täter freispricht?

  • In der Regel kommt kein Mensch zu Schaden. Doch die Unterkunft fehlt dann. Sie fehlt allen. Das heißt, jeder Brandanschlag geht zu Lasten der Steuerzahler. Wenn etwas kostet, dann die Erstunterkunft. Zudem wird dort gezündelt, wo Wohnraum vorher schon knapp war. Zudem wird dort gezündelt, wo sich die Verwaltung schwer tut, Unterkünfte aufzutun. Das heißt Überstunden oder zusätzliches Personal. Natürlich ist es feige, Brandsätze zu werfen. Doch es ist auch unpatriotisch. Es brennt Gemeindeeigentum. Dafür verbindet jetzt jeder Tröglitz mit dem zerstörten Dachstuhl. Ich meine, für mich ist der Ort als Urlaubsadresse gestorben. Sicher, die sächsische Schweiz hat ihre Reize. Doch ehrlich, gerne fahr ich da nicht hin. Dortmund war schon vorher für Rechtsradikale berüchtigt. Zwei Anschläge sind trotzdem keine Werbung. Das muss doch Konsequenzen haben, irgendwie.

  • Ich denke, dass sollte ein wichtiger Fokus des neuen NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag sein: Was genau weiß der Verfassungsschutz über rechtsterroristische Strukturen, und was will er gar nicht wissen? Dass diese Brandanschläge so selten aufgeklärt werden, liegt vielleicht gar nicht überwiegend daran, dass so viele Täter Ersttäter sind. Das mag ein Faktor sein; aber möglicherweise wird auch ein erheblicher Teil von Mitgliedern klandestiner rechtsterroristischer Gruppen verübt. So sehr wie der Verfassungsschutz beim NSU versagt hat, würde es mich nicht wundern, wenn es dort auch Erkenntnisse über solche Gruppen gibt, die aber unter der Decke gehalten werden.