Das Atom-Machtwort von Olaf Scholz: Führen heißt positionieren
Der Kanzler hat den Konflikt zwischen Grünen und FDP zu lange laufen lassen und sich selbst bedeckt gehalten. So hat er der Ampel Schaden zugefügt.
D er Kanzler, der den Ruf des Zögerers nicht los wird, hat also getan, was immer wieder von ihm verlangt wird. Er hat ein Machtwort gesprochen. Mehr als das: Er hat seine Richtlinienkompetenz ausgespielt, die letzte Maßnahme vor einer Vertrauensabstimmung im Bundestag. Ganz große Keule also, formal zumindest. In einem kurzen Brief an die drei zuständigen Minister*innen hat er mit freundlichen Grüßen angeordnet, dass alle drei verbleibenden Atomkraftwerke bis Mitte April am Netz bleiben. Das aber war ein problematischer Schritt.
Natürlich ist es gut, dass der unselige Atom-Streit zwischen FDP und Grünen, zwischen Christian Lindner und Robert Habeck endlich beendet ist – nicht nur, weil das Leck an Isar 2 dringend repariert werden muss, soll das AKW in den Streckbetrieb gehen. Und vermutlich haben Habeck und Lindner unter der Keule auch nicht besonders gelitten, weil der Kanzler beiden damit einen Ausweg aus einer Pattsituation gewiesen hat, samt der Möglichkeit, sich hinter ihm zu verstecken. Aber Olaf Scholz hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen.
Er hat den Konflikt schleifen lassen. Vielleicht, weil er Atomkraft für ein eher nebensächliches Problem gehalten hat. Vielleicht, weil er dachte, es könne ihm nutzen und der Beliebtheit von Robert Habeck schaden. Vielleicht, weil es seinem Naturell und dem Führungsstil, den er sich für die Ampel verordnet hat, entspricht. Alles plausible Gründe. Und doch war die Konsequenz daraus falsch. Scholz hätte viel früher einschreiten müssen.
Einiges spricht dafür, dass ihm dies auch gelungen wäre, hätte er sich selbst positioniert. Aber genau daran mangelt es Scholz – nicht nur beim Konflikt um Streckbetrieb und Brennstäbe. Der Führungs- und Kommunikationsstil des Kanzlers ist ein Problem.
Es stimmt zwar, dass der Kanzler in dieser schwierigen Dreierkonstellation eine moderierende Position einnehmen muss, um den Laden zusammenzuhalten. Aber zuzulassen, dass Grüne und FDP wie zwei Züge auf eingleisiger Strecke aufeinander zurasen, kann nicht einmal als Moderation bezeichnet werden.
Wäre öffentlich bekannt gewesen, dass mit Scholz keine neuen Brennstäbe zu holen seien, aber das AKW Emsland am Netz bleiben könnte, wäre der Zirkus, den die FDP in den vergangenen Wochen aufgeführt hat, wohl eine Nummer kleiner ausgefallen. Gebracht hat es ihr in der Sache nicht viel. Sie ist aus dem Landtag in Niedersachsen geflogen. Und das AKW Emsland läuft maximal 15 Wochen länger. Möglicherweise sind die Brennstäbe aber auch schon im Februar leer. Die Grünen dagegen können nun zumindest darauf hoffen, dass der Atomausstieg am 15. 4. endgültig besiegelt ist.
Aber angesichts der Angst vor dem Energienotstand könnte es der FDP gelungen sein, sich als den Teil der Ampel zu verkaufen, der vermeintlich für den gesunden Menschenverstand steht – also für die eingängige Position „alles muss ans Netz“ – während die Grünen angeblich eine Truppe von Ideologen sind. Und sie hat es geschafft, dieses Label auch dem überaus pragmatischen Habeck anzuheften. Das ignoriert zwar nicht nur die Sachargumente, sondern auch, wie weit die Grünen bei der AKW-Frage bereits gegangen sind, wird aber trotzdem Wirkung zeigen.
Das weitaus größere Problem aber: In Zeiten von Krieg, Krisen und größter Verunsicherung, in der die Leute die Angst vor einem russischen Atomschlag umtreibt und die Sorge darüber, wie sie über den Winter kommen, stand die Ampel wochenlang als zerstritten und handlungsunfähig da. Das verspielt weiter ein ohnehin schwindendes Vertrauen in die Regierung. Populist*innen und Rechstradikale kochen ihr Süppchen darauf, die AfD steht in den ersten Umfragen bundesweit bei 15 Prozent, in einigen ostdeutschen Bundesländern ist sie stärkste Kraft.
Der Kanzler hat zugelassen, dass sich die Ampel blockiert – letztlich für die Laufzeitverlängerung eines AKWs für maximal 15 Wochen. Das darf sich nicht wiederholen, Scholz muss früher eingreifen. Nicht mit Machtwort per Brief. Aber mit der klaren Ansage, wo er selber steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene