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Das Atom-Machtwort von Olaf ScholzFühren heißt positionieren

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Der Kanzler hat den Konflikt zwischen Grünen und FDP zu lange laufen lassen und sich selbst bedeckt gehalten. So hat er der Ampel Schaden zugefügt.

Entspannt abwarten reicht nicht als Kanzler. Scholz' Hände bei einer Debatte im Bundestag Foto: Markus Schreiber/ap

D er Kanzler, der den Ruf des Zögerers nicht los wird, hat also getan, was immer wieder von ihm verlangt wird. Er hat ein Machtwort gesprochen. Mehr als das: Er hat seine Richtlinienkompetenz ausgespielt, die letzte Maßnahme vor einer Vertrauensabstimmung im Bundestag. Ganz große Keule also, formal zumindest. In einem kurzen Brief an die drei zuständigen Mi­nis­te­r*in­nen hat er mit freundlichen Grüßen angeordnet, dass alle drei verbleibenden Atomkraftwerke bis Mitte April am Netz bleiben. Das aber war ein problematischer Schritt.

Natürlich ist es gut, dass der unselige Atom-Streit zwischen FDP und Grünen, zwischen Christian Lindner und Robert Habeck endlich beendet ist – nicht nur, weil das Leck an Isar 2 dringend repariert werden muss, soll das AKW in den Streckbetrieb gehen. Und vermutlich haben Habeck und Lindner unter der Keule auch nicht besonders gelitten, weil der Kanzler beiden damit einen Ausweg aus einer Pattsituation gewiesen hat, samt der Möglichkeit, sich hinter ihm zu verstecken. Aber Olaf Scholz hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen.

Er hat den Konflikt schleifen lassen. Vielleicht, weil er Atomkraft für ein eher nebensächliches Problem gehalten hat. Vielleicht, weil er dachte, es könne ihm nutzen und der Beliebtheit von Robert Habeck schaden. Vielleicht, weil es seinem Naturell und dem Führungsstil, den er sich für die Ampel verordnet hat, entspricht. Alles plausible Gründe. Und doch war die Konsequenz daraus falsch. Scholz hätte viel früher einschreiten müssen.

Einiges spricht dafür, dass ihm dies auch gelungen wäre, hätte er sich selbst positioniert. Aber genau daran mangelt es Scholz – nicht nur beim Konflikt um Streckbetrieb und Brennstäbe. Der Führungs- und Kommunikationsstil des Kanzlers ist ein Problem.

Scholz hat zugelassen, dass Grüne und FDP wie zwei Züge aufeinander zurasen

Es stimmt zwar, dass der Kanzler in dieser schwierigen Dreierkonstellation eine moderierende Position einnehmen muss, um den Laden zusammenzuhalten. Aber zuzulassen, dass Grüne und FDP wie zwei Züge auf eingleisiger Strecke aufeinander zurasen, kann nicht einmal als Moderation bezeichnet werden.

Wäre öffentlich bekannt gewesen, dass mit Scholz keine neuen Brennstäbe zu holen seien, aber das AKW Emsland am Netz bleiben könnte, wäre der Zirkus, den die FDP in den vergangenen Wochen aufgeführt hat, wohl eine Nummer kleiner ausgefallen. Gebracht hat es ihr in der Sache nicht viel. Sie ist aus dem Landtag in Niedersachsen geflogen. Und das AKW Emsland läuft maximal 15 Wochen länger. Möglicherweise sind die Brennstäbe aber auch schon im Februar leer. Die Grünen dagegen können nun zumindest darauf hoffen, dass der Atomausstieg am 15. 4. endgültig besiegelt ist.

Aber angesichts der Angst vor dem Energienotstand könnte es der FDP gelungen sein, sich als den Teil der Ampel zu verkaufen, der vermeintlich für den gesunden Menschenverstand steht – also für die eingängige Position „alles muss ans Netz“ – während die Grünen angeblich eine Truppe von Ideologen sind. Und sie hat es geschafft, dieses Label auch dem überaus pragmatischen Habeck anzuheften. Das ignoriert zwar nicht nur die Sachargumente, sondern auch, wie weit die Grünen bei der AKW-Frage bereits gegangen sind, wird aber trotzdem Wirkung zeigen.

Das weitaus größere Problem aber: In Zeiten von Krieg, Krisen und größter Verunsicherung, in der die Leute die Angst vor einem russischen Atomschlag umtreibt und die Sorge darüber, wie sie über den Winter kommen, stand die Ampel wochenlang als zerstritten und handlungsunfähig da. Das verspielt weiter ein ohnehin schwindendes Vertrauen in die Regierung. Po­pu­lis­t*in­nen und Rechstradikale kochen ihr Süppchen darauf, die AfD steht in den ersten Umfragen bundesweit bei 15 Prozent, in einigen ostdeutschen Bundesländern ist sie stärkste Kraft.

Der Kanzler hat zugelassen, dass sich die Ampel blockiert – letztlich für die Laufzeitverlängerung eines AKWs für maximal 15 Wochen. Das darf sich nicht wiederholen, Scholz muss früher eingreifen. Nicht mit Machtwort per Brief. Aber mit der klaren Ansage, wo er selber steht.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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9 Kommentare

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  • Ich finde die Vorgehensweise von Scholz nachvollziehbar und durchaus souverän.

  • Scholz hatte/ hat scheinbar, nicht nur in dieser Angelegenheit schlechte Berater. Wie soll ein eigentlicher Finanzmann, denn ohne die richtigen Berater, erst recht im Ukraine/ Russland Konflikt kommunikativ vermitteln ? Da wird es sogar mir, dem man nachsagt ein unverbesserlicher Optimist zu sein, richtig flau im Bauch.

  • Wenn er sein Machtwort früher gesprochen hätte, wäre er hier als Basta-Kanzler bezeichnet worden und die grüne Basis hätte es kaum mitgetragen. Streit und Diskussion gehört zur Demokratie ebenso dazu, wie das Finden von Konsens. Man darf doch ruhig wissen, dass die Ampel für alle Seiten eine schwierige Konstellation ist, die am Ende doch einen gemeinsamen Weg findet und Handlungsfähigjeit beweist. Ein Kanzler der besonnen und abwägend regiert ist mir jedenfalls lieber, als einer der impulsiv reagiert oder Diskussionen über Meinungsverschiedenheiten allenfalls im Hinterzimmer zulässt.

  • Mal ganz abgesehen davon, dass ich weiterhin nicht an das Machtwort glaube, ist der Befund ganz richtig. Bei Olaf Scholz ist das aber kein Versagen, nicht eine Art Unfall, bei ihm ist das Dauerstrategie. Er führt nicht, er positioniert sich nicht, er riskiert nichts, er ist davon überzeugt, dass man ohne Überzeugungen besser über die Runden kommt. Die Methode so lange zu warten, bis alle anderen politischen Kräfte erschöpft in den Seilen hängen, hat er übrigens auch noch nicht mal selbst entwickelt, die hat er von Merkel. Die war dabei aber wenigstens noch bescheiden. Scholz hingegen hat zwar Angst vor seinen "Partnern", spielt aber trotzdem grinsend den Mann mit der ruhigen Hand. Wo er selber hin will? Ein Olaf Scholz kommt noch nicht mal auf die Idee, sich das zu fragen. Hier ist seine Art der Führung dann auch noch gruseliger als bei Merkel. Die hat zwar kaum jemals mehr als "das Machbare" durchzusetzen versucht, bei ihr gab es dahinter aber doch noch die Idee von etwas darüber hinaus. Dergleichen ist Scholz völlig fremd.

  • Lese gerade im SPIEGEL, wie sich das Schmierentheater letzten Sonntag im Kanzleramt abgespielt hat: Alles so vorbereitet: Scholz tut größer als er ist, Lindner und Habeck ziehen sich 'zerknirscht' zurück, die grüne Basis und das Publikum werden verarscht. Das ist der 'neue' Politikstil sich treiben lassender Ignoranten, die gar nicht wissen, wie sie mit den ganzen Krisen umgehen sollen: Theater, Theater, es isr erstaumlich, was sich einmal ambitionierte 'Grüne' um der Machterhaltung Willen so alles gefallen lassen (müssen?).

  • Ich sehe das anders. Bin wahrlich kein Scholzfan, aber er hat den Moment richtig abgepasst wo sowohl Grüne als auch FDP keinen Bock mehr hatten weiter darüber zu streiten, hätte er eher ein Machtwort gesprochen, hätte das den Konflikt vielleicht eher noch angeheizt.

  • Scholz ist doch nur ein weiteres Beispiel für Typen, die nach oben streben, ohne eigene Ideen und Positionen mitzubringen. Sie leben vom Augenblick und richten sich danach, wie sie am besten durchkommen. Das zerstört die Demokratie von innen, weil sich die durch Spontaneität und Populismus durch lavierenden Kandidati*nnen immer unglaubwürdiger machen, wenn sie ihre Ansinnen durch entsprechende Medien verstärken lassen. Dieses 'weiter so' und das Verschieben der so vielen inzwischen kaum noch zu lösenden Probleme (Generationenfrage, Bildung, Zerstörung von Existenzen durch Ersatz menschlicher Arbeit durch Rohstoffeinsatz und Maschinen, nicht zuletzt Klima, Kriege durch Unterstützung autoritärer Systeme, die den Planeten weiter ausplündern helfen und und und) sind Kennzeichen von Politikern, denen alles andere als ihr eigener Aufstieg und ihr Überleben wichtig ist. Scholz, Merz, Lindner, wie werden wir sie bloß wieder los. Grüne helfen dabei kaum, eher im Gegenteil!

  • Scholz hat wohl alles richtig gemacht, zumindest laut Politbarometer des ZDF. Merkel hätte vielleicht auch so gehandelt. Ausserdem sind deutsche AKW ja sicher, und werden bis nächstes Frühjahr durchhalten, hoffentlich ...

  • Es ist ja üblich, dass Gesetzentwürfe im Vorfeld und im Hinterzimmer ausgekungelt werden damit die Vorhaben nicht im Parlament scheitern. Dieser Schritt ist hier entfallen bzw. wurde brüsk abgewürgt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Entwurf eine Mehrheit findet. Man darf also gespannt sein.