Corona und die Impffrage: Zweiter Booster jetzt oder später?
Die Stiko empfiehlt nun doch allen Menschen ab 60 Jahren den zweiten Coronabooster. Über die Ansage, neue Impfstoffe und die drohende Herbstwelle.
Was bedeutet die neue Empfehlung der Stiko? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
1. Warum wurde überhaupt so heftig über die Empfehlung zur vierten Dosis diskutiert?
Es ist in Deutschland inzwischen üblich, die Empfehlungen der Stiko von politischer, aber auch gesellschaftlicher Seite heftig zu kritisieren. Das betrifft auch die seit Februar geltende Empfehlung, dass sich nur ältere MitbürgerInnen ab 70 Jahren ein viertes Mal impfen lassen sollen. Andere Länder und die Europäische Seuchenbehörde hatten die vierte Dosis schon länger ab 60 empfohlen. Ob die alte Empfehlung der Stiko einer Grundlage entbehrte, muss man jedoch bezweifeln. Studien hatten erst vordrei Monaten über die Effekte einer vierten Impfung berichtet. Diese Daten stammen aus Israel und sind nun in die Entscheidung eingeflossen.
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2. Was bringt die neue Empfehlung für Einzelne und die Gesamtsituation?
Im Grunde sehr wenig. Die Empfehlung der Stiko ist nicht bindend. Wer als Einzelner eine vierte Dosis wollte, konnte und kann sich unabhängig von Vorerkrankungen und Alter immunisieren lassen. Ob das nötig ist, um im Herbst gut vor schwerer Erkrankung geschützt zu sein, ist für die meisten Menschen aber ohnehin fraglich. Gesunde Erwachsene, auch gesunde über 60-jährige, haben nach einer dreifachen Impfung einen guten Schutz, der sich durch eine Auffrischung kaum noch verbessert. Allein der Schutz vor Ansteckung wird für einige Wochen wieder gestärkt, aber eben nicht dauerhaft. Deshalb werden sich auch vierfach Geimpfte im kommenden Winter anstecken können. Für ältere Mitmenschen, die öfter an Grunderkrankungen wie Diabetes leiden, kann die vierte Dosis jedoch wichtig sein, um auch in der nächsten Welle noch gut vor schweren Verläufen geschützt zu sein.
3. Wäre es nicht besser, auf den neuen Omikron-Impfstoff zu warten?
Wer sich jetzt impfen lässt, sollte mindestens drei, eher sechs Monate mit der nächsten Immunisierung warten. Nicht, weil die Impfungen so schädlich wären, sondern weil die Wirkung der nächsten Dosis sonst verpufft. Man kann sich ausrechnen, was das bedeutet: Eine Impfung mit den schon bald erwarteten angepassten Impfstoffen wäre nach einer Immunisierung jetzt frühestens zum Dezember ratsam. Das könnte zu spät sein für die nächste Welle. Wer bereits drei Impfungen hat, gesund ist und den angepassten Impfstoff haben möchte, wartet deshalb besser noch. Für Ältere und Vorerkrankte gilt das jedoch nicht. Sie sollten sich, falls noch nicht geschehen, möglichst bald ein viertes Mal impfen lassen.
4. Hilft die Impfung überhaupt noch, Ansteckungen zu verhindern?
Ja. Sie ist nicht sterilisierend, verhindert Ansteckungen also nicht komplett, deshalb kommt es zu Durchbruchinfektionen. Aber Studien haben klar gezeigt, dass dreifach Geimpfte ein geringeres Risiko haben, sich zu infizieren, als gar nicht oder unvollständig Geimpfte. Jede Auffrischung danach stärkt allerdings nur noch vorübergehend den Schutz vor einer Infektion. Wichtig bleibt die dreifache Grundimmunisierung.
5. Könnten die Ansteckungszahlen überhaupt nochmal höher steigen als im Sommer?
Selbstverständlich. Die Inzidenz kann sogar noch den bisherigen Rekord von Ende März übertreffen. Dazu trägt maßgeblich die große Impflücke bei. Zudem sind weder Genesene noch Geimpfte vor einer Infektion geschützt. Kommt im Winter eine neue Variante, die durch Immunflucht auch den Schutz vor Ansteckung weiter untergräbt, kann sich das Virus wieder stark verbreiten – zumal Corona seine Saison ohnehin eher im Winter hat. Es gibt Modellierungen, die für den Winter eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 3.000 prognostizieren. Vorausgesetzt, es wird wieder nicht rechtzeitig gehandelt.
6. Viele haben inzwischen die zweite oder gar dritte Infektion hinter sich – warum ist es besser, sich davor zu schützen?
Auch eine überstandene Infektion kann schützen – vorausgesetzt, sie wird durch eine zusätzliche Impfung ergänzt. Der Schutz durch Infektion ist nachweislich nicht so gut und stabil wie der durch die Impfung. Das liegt auch daran, dass die verfügbaren Impfungen das Immunsystem sehr gezielt trainieren können. Noch wichtiger aber ist: Die Infektion ist deutlich gefährlicher als eine Impfung. Folgen wie Long Covid oder Herzmuskelentzündungen treten nach einer Ansteckung sehr viel häufiger auf als nach einer Impfung. Diese Risiken einzugehen, ist unvernünftig.
7. Warum hat die Impfung nicht die Hoffnung erfüllt, eine Exit-Strategie für die Pandemie zu sein?Der wichtigste Grund ist die nach wie vor zu geringe Impfquote. Wären alle Menschen in Deutschland dreifach geimpft und je nach Risikostatus auch geboostert, hätte das Virus kaum noch Chancen, das Gesundheitssystem an den Rande des Kollaps zu bringen. Die Pandemie könnte auch jetzt noch und mit den gegenwärtigen Impfstoffen in eine Phase übergehen, in der das Virus zwar nicht mehr aufhört, Menschen zu infizieren. Es würde aber nicht mehr täglich viele Menschenleben kosten. Das wäre dann das Ende der Pandemie.
8. Gibt es überhaupt Hoffnung auf ein Ende der Pandemie?
Je länger sich das Virus noch so stark wie bisher verbreiten kann, desto mehr Möglichkeiten bekommt es, sich zu verändern. Neue Varianten erzeugen neue Wellen, manche von ihnen werden schlimmer, andere – wie wir sie jetzt im Sommer hatten – weniger schlimm sein. Angepasste Impfstoffe und eine höhere Impfbereitschaft könnten helfen, die Folgen soweit abzumildern, dass die Gesellschaft damit gut leben kann. Dieser Punkt ist aber sicher noch nicht erreicht.
9. Die Schule fängt jetzt wieder an. Was erwartet uns?
Das lässt sich schwer sagen. Schulschließungen soll es nach dem Willen der Koalition nicht mehr geben. Einschränkungen im Schulbetrieb sind aber möglich, sollte sich das Virus wieder stark verbreiten. Vieles hängt von der Variante ab, mit der wir es im Winter zu tun bekommen sowie mit den Maßnahmen, die dann ergriffen werden – oder ergriffen worden sind. Genug Zeit zur Installation von Luftfilteranlagen in den Klassenräumen gab es mittlerweile jedenfalls. Für den Ernstfall bleibt zu hoffen, dass an den Homeschooling-Konzepten gefeilt wurde.
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