Corona und die Folgen: Aus der Armbeuge hervorkrächzen
Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause wegen Corona ist kein Wunder. Zynisch bleibt sie aber schon.
Z u Hause bleiben, auf alle „unnötigen“ Sozialkontakte verzichten – alles, was gerade dringend geboten und vernünftig ist, klingt für introvertierte Leute wie mich auch erst mal verlockend. Das meine ich ganz unzynisch und in vollem Bewusstsein des Ernsts der Lage. Da bin ich auch nicht allein, das haben in den letzten Tagen hinreichend viele beschrieben und gepriesen. Endlich Homeoffice und Netflix und sonst Ruhe. Durchgezogen hat es bislang – Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause ist da echt kein Wunderzumindest in Berlin – noch keiner so richtig, man könnte ja was verpassen. Fomo (für die Risikogruppen: Fear of missing out) schlägt unser Herz.
Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause ist da echt kein Wunder, so wie die meisten von uns sich ihre Tage zuballern mit allem, was man machen muss (arbeiten) und zu müssen glaubt (sinnlos lange im Büro Anwesenheit demonstrieren), und dem, was man eigentlich will (sich die Decke über den Kopf ziehen) und wollen zu müssen glaubt (fügen Sie hier bitte sozialen Druck Ihrer Wahl ein).
Liebe
Wenn Ihnen das misanthropisch vorkommt, irren Sie sich. Für mich wenigstens kann ich sagen: Ich kenne Momente, es sind nicht so wenige, in denen mich die Liebe zur Menschheit überwältigt, so richtig hardcore-hippiemäßig und ganz ohne MDMA. Manchmal reicht es, wenn ich Fremde in der S-Bahn halb verschämt, halb lustvoll ein Stück Kuchen verschlingen sehe, zack, schon möchte ich sie und alle anderen umarmen. Gerade deshalb braucht man aber auch – wie in jeder guten Beziehung, ab und an ein bisschen Distanz zu all diesen Menschen und Gefühlen. Weil aus der Liebe ja auch immer so viele Sorgen entstehen.
Aus der Distanz heraus mache ich mir dann aber auch wieder Sorgen. Um die, die jetzt ernsthaft krank werden und in Isolation krank sein müssen. Um die, die sich um die ernsthaft Kranken kümmern müssen. Um die, die bei der ganzen Panik vergessen werden. Gestrandete und Geflüchtete in Syrien, der Türkei und Griechenland, nur so zum Beispiel. Denen es nicht nur an medizinischer Versorgung mangelt, sondern am Geringsten, an dem, was jedem Menschen, vor allem anderen zusteht: ein bisschen Empathie seitens ihrer (europäischen) Mitmenschen. Gut, das Elend dieser Menschen war hier schon vor Corona leicht weit wegzuschieben, jetzt ist man sich eh – aus Notwendigkeit (!) selbst am nächsten.
Ruhe
Und wenn man mal fünf Minuten Ruhe hat vom Sichsorgen, etwa weil man beim Händewaschen konzentriert Happy Birthday singt (zweimal, das dauert), fallen einem die langfristigen Fragen ein, die sich mit der Corona-Quarantäne-Gesellschaft auftun. Was wird diese ganze Phobie mit der ohnehin schon an Phobien (Xeno,- Homo-, Klaustro-, you name it) nicht armen Gesellschaft machen.
Skepsis
Man ist den Anderen gegenüber, wer auch immer das für Sie sein mag, eh schon skeptisch genug, jetzt sind sie neben allen Gefahren, die sie so mit sich rumschleppen, auch noch potenzielle Virenschleudern. Dass uns das alle ein bisschen gleicher macht – also gleich eklig, gleich gefährlich –, können Sie vergessen. Das ist ein frommer Wunsch. Falsch benehmen sich auch hier nur die Anderen. Die, die sinnlos Panik verbreiten, oder die, die sinnlos rumhusten. Auch aus der Armbeuge heraus kann man noch hervorkrächzen, wie’s richtig wäre.
Was die ganze Isolierung auf lange Sicht mit dem ohnehin verkrüppelten Liebesleben hierzulande anstellt, stelle ich mir derzeit gern vor. Es macht mich, zusätzlich zu meinen ganzen Sorgen, auch noch herrlich melancholisch. Mit Wärme und Herzlichkeit hatten wir es in Berlin schon vor Corona nicht so, hier regierte schon immer so eine rüde Mischung aus provinzieller deutscher Stieseligkeit und von antifaschistischem Kampfgeist gestählter Kader-Kühle. Nicht gemeckert war hier schon immer Lob und Liebe genug. Nur unser Hang zum harten Hedonismus hat darüber hinweggeholfen.
Schrulligkeit
Damit ist es aber nicht erst vorbei, seit die Clubs diese Woche mit allen anderen Einrichtungen geschlossen wurden. Das wurden sie nämlich auch schon vor Corona, nur da nicht aus guten Gründen, sondern aus stadtplanerischer Geistesschwäche. Das wird sich jetzt rächen, denn wo konnte bisher der eigentlich zur Vereinzelung und Abschottung tendierende Großstädter die Menschen und das Leben lieben lernen, wenn nicht in der Kunst, in der Musik, im Rausch? Weil’s da aber schon lange kränkelt, dürfte es vielen gerade nicht nur an Klopapier mangeln, sondern auch an jemandem, der mit ihnen die Vorzüge des Homeoffice (Sex in der Mittagspause) teilt.
Klar, irgendwann wird die Sache mit Corona vorüber und vergessen sein. Aber Einsamkeit – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – macht schrullig. Ich bin gespannt, wie verspannt und überdreht wir alle aus der langen Quarantäne zurückkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut