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Corona und ausbeuterische LandwirtschaftWeg vom Fleischmarkt

Kommentar von Jens Holst

Ausbeutung, Landraub und Vertreibung fördern in den Entwicklungs- und Schwellenländern den Verzehr von Flughunden und anderem infiziertem Wildfleisch.

Flughunde auf einem Markt in Indonesien Foto: imago

S eit Wochen hält das Coronavirus Sars-CoV-2 die Welt in Atem. Auf den Spuren der globalisierten Produktion von Waren und Dienstleistungen verbreitete es sich in Windeseile über den gesamten Erdball. Das medial aufmerksam, teilweise reißerisch begleitete Geschehen weckt Erinnerungen an große Epidemien vergangener Jahrhunderte, die in Zeiten der modernen Medizin als überwunden gelten. Seuchen schüren Ängste und sind bedrohlich. Restriktive Maßnahmen, mit denen die Politik die rasche Ausbreitung des Virus bremsen will, stoßen auf Akzeptanz, weil sie Sicherheit suggerieren. Wenn es nur noch um Gefahrenabwehr geht, ist es allerdings schon zu spät. Hier gilt eine uralte Weisheit der Medizin: Vorbeugen ist besser als heilen.

Die Nachrichten über das Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit Covid-19 überschlagen sich. Manches stimmt, anderes ist trivial, etliches gehört in den Bereich der Fake News, und vieles sind Halbwahrheiten, mit denen Medien ihren Absatz steigern wollen. Unnötige Furcht erzeugt beispielsweise die Aussage, eine Ansteckungsgefahr bestehe bei Corona bereits vor dem Auftreten von Beschwerden, das trifft nämlich auf viele Infektionen zu. Statistiken rapide steigender Zahlen von Infizierten und Todesopfern verbreiten Angst – obwohl allein der Straßenverkehr weitaus mehr Menschen umbringt. Und angesichts Zehntausender Toter aufgrund von Zigarettenrauchen und Alkoholkonsum erscheint die aktuelle Corona-Panik irrational.

Auch ist bisher unklar, bei welchen Patient*innen aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen eine Corona-Infektion tödlich endet. Schon bei den dramatischen Ebola-Ausbrüchen ab 2013 nahm niemand Notiz davon, dass in den drei betroffenen westafrikanischen Ländern jeden Tag mehr Menschen an Tuberkulose starben als an Ebola. Auch weiß man nicht, warum das Virus für Männer gefährlicher ist als für Frauen. Keiner fragt, ob die Opfer denn tatsächlich an oder nicht eher mit dem Virus sterben, denn kaum jemand testet überhaupt auf etwas anderes als Covid-19. Es ist die Stunde der Virolog*innen, die zu Höchstform auflaufen und sich in dramatischen Seuchenszenarien überbieten.

Die politische und wissenschaftliche Debatte über die Corona-Pandemie ausschließlich auf die biomedizinische und -technologische Perspektive zu verengen und damit in unverantwortlicher Weise zu verkürzen, stört in der akuten Krisenstimmung kaum jemanden.

Anhaltende Weigerung der Entscheidungsträger

Viel besorgniserregender als der aktuelle Corona-Ausbruch ist aber die anhaltende Weigerung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entscheidungsträger, zwischen den Epidemien und Pandemien mit derselben Konsequenz gegen deren Ursachen vorzugehen, mit der sie in der akuten Ausbruchssituation das gesellschaftliche und zivile Leben der Menschen einschränken.

Vor allem Palmölplantagen bieten etwa den Ebola-übertragenden Flughunden ideale Lebensbedingungen

Anfangs sparte die westliche Welt nicht mit Schelte für die chinesische Regierung und ihr konsequentes Durchgreifen in der Ausbruchsregion. Wenige Wochen später ziehen fast alle Länder nach, schließen ihre Grenzen und greifen massiv in das gesellschaftliche Leben und die bürgerlichen Freiheiten ein.

Nicht nur in China, auch anderswo besteht die Gefahr, dass unter dem Vorwand der Seuchenkontrolle eingeführte Überwachungsmaßnahmen auch nach dem Abklingen der akuten Bedrohung in Kraft bleiben.

Dabei ist hinlänglich bekannt, dass schon die Ebola-Ausbrüche in Westafrika auch eine Folge der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen waren: Die intensive Befischung der Meere treibt die küstennah lebende Bevölkerung im westlichen Afrika zur Sicherung ihrer Proteinversorgung immer tiefer in Regenwälder, wo sie mit dem Ebola-Erreger in Kontakt kommen. Gleichzeitig bieten vor allem die riesigen Palmölplantagen den Ebola übertragenden Flughunden ideale Lebensbedingungen.

Noch ist die Entstehung der Coronavirus-Pandemie nicht vollständig geklärt. Der Blick auf den Fleischmarkt in Wuhan, der tote und lebendige exotische Tiere bietet, weist allerdings darauf hin, dass auch der aktuelle Seuchenausbruch mit auf das Konto der globalen Ernährungswirtschaft geht. Das Bestreben des weltweit agierenden Agrobusiness, mit betriebswirtschaftlich optimierten Monokulturen den internationalen Lebensmittelmarkt zu beherrschen, führt in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu Landraub und Vertreibung – und fördert so den Verzehr von Flughunden und anderem infiziertem Wildfleisch.

Die Macht der kapitalorientierten Landwirtschaft

Wie in vielen anderen Teilen der Welt verdrängen die industrielle Schweine-, Rinder- und Geflügelmast Holzfäller und Wildtierjäger*innen immer tiefer in die Urwälder. Dadurch kommen sie auch mit bisher unbekannten virulenten, teilweise hoch infektiösen Krankheitserregern wie Sars-CoV-2 in Kontakt, die auf Tier und Mensch übergreifen können.

Verantwortungsvolle Gesundheits- und Sicherheitspolitik darf sich nicht auf Quarantäne- und Notfallmaßnahmen beschränken, sondern muss diesen Zusammenhängen Rechnung tragen. Offenbar ist es einfacher, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, als die kapitalorientierte Landwirtschaft und ihr rücksichtsloses Gewinnstreben in die Schranken zu weisen. Dabei wäre dies ohnehin nötig, um die massive Umweltbelastung durch Ackerbau, Viehzucht und Transport zu verringern und die Menschen vor ihren vielfach gesundheitsschädlichen Produkten zu schützen.

Globale Seuchen bieten der Weltgesellschaft die Chance, sich mit dem eigenen kollektiven Verhalten und den etablierten Vorstellungen auseinanderzusetzen. „Die Welt danach wird eine andere sein“, versprach Bundespräsident Walter Steinmeier für die Zeit nach der Coronapandemie. Möge er recht haben und die aktuelle Panik genügend Druck zum Umdenken auf allen – auch agrarökonomischen – Ebenen erzeugen.

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19 Kommentare

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  • amerika21.de/analy...und-agrarindustrie



    Sehr informatives Interview, in dem von der 'zweckdienlichen Weigerung' gesprochen wird. Das trifft es auf den Punkt. Das heilige Fleisch darf nicht angegriffen werden. Deshalb fehlt dieser Diskussionsstrang aktuell im Rahmen der medialen Auseinandersetzung mit dem Coronadingsbums....

  • "Offenbar ist es einfacher, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, als die kapitalorientierte Landwirtschaft und ihr rücksichtsloses Gewinnstreben in die Schranken zu weisen. Dabei wäre dies ohnehin nötig, um die massive Umweltbelastung durch Ackerbau, Viehzucht und Transport zu verringern und die Menschen vor ihren vielfach gesundheitsschädlichen Produkten zu schützen"

    Gibt es in China eine Fledermausmassentierhaltung?

    Die industrielle Landwirtschaft ist eher nicht der Grund für die Ausbreitung. Ställe in denen Fledermäuse an der Decke rumhängen findet man am ehesten noch bei dem kleinen Halter, dem das Geld dafür fehlt einen dichten Stall zu bauen, in dem die Tiere nicht gleich von jeder Infektion dahingerafft werden.

    Und was soll das Gerede gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit? Soziale Kontakte sind die Hauptursache für die Verbreitung und das Tempo von Verbreitungen bei Menschen.



    Der Erreger sitzt im Flieger oder im Bus neben einem und nicht tiefgefroren an der Kühltheke.

    Gegen die industrielle Landwirtschaft, respektive die Fleischindustrie gibt es andere bessere Argumente.

  • "Offenbar ist es einfacher, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, als die kapitalorientierte Landwirtschaft und ihr rücksichtsloses Gewinnstreben in die Schranken zu weisen."

    Einen Zusammenhang zwischen "kapitalorientierte Landwirtschaft" und dem Aufkommen und der Verbreitung des Virus herzustellen, ist für mich höchst fragwürdig, unseriös und hilft auch nicht wirklich weiter. Es trägt nur zur allgemeinen Verunsicherung bei. Herr Holst: Erst muss das Feuer gelöscht werden. Und wenn die Gefahr gebannt ist, kann man sich mit der Frage beschäftigen, was die Ursache des Feuers war.

    • @Jossi Blum:

      Vampirflughunde aus Rumänien :-)

  • "Wie in vielen anderen Teilen der Welt verdrängen die industrielle Schweine-, Rinder- und Geflügelmast Holzfäller und Wildtierjäger*innen immer tiefer in die Urwälder. Dadurch kommen sie auch mit bisher unbekannten virulenten, teilweise hoch infektiösen Krankheitserregern wie Sars-CoV-2 in Kontakt, die auf Tier und Mensch übergreifen können."

    Der Kontakt wird sich wohl kaum auf außerhalb der Urwälder beschränken lassen. Wildtiere haben die Eigenart sich zu bewegen und halten sich nicht an Urwaldgrenzen.

  • Ganz schlimm. Manche können einfach nicht aus ihrem Tunnel raus. Und wenn man die Argurmente noch so biegen muss, damit sie irgendwie durch die Schablone passen.

    Und das mal völlig ab von der absolut nachvollziehbaren Kritik an der Fleischindustrie.

  • "... etliches gehört in den Bereich der Fake News, und vieles sind Halbwahrheiten, mit denen Medien ihren Absatz steigern wollen ..."

    Bei aller Kritikwürdigkeit, die an der Landwirtschaft geführt werden kann: Dieser krude Kommentar gehört in die Gruppe der vom Autor angesprochenen Halbwahrheiten.

    • @Martin74:

      Nur weil Sie noch nie etwas von dieser speziellen Auswirkung gehört haben muss es sich automatisch eine Halbwahrheit handeln?

  • Fledermäuse sind so ziemlich das gefährlichste Food, was es gibt.

    Sie sind Säuger, also genetisch nah dran am Menschen, dann sind sie unfassbar widerstandsfähig. Fliegende Muskelpakete, was für die Fledermaus ein Schnupfen ist, ist für Menschen gleich Ebola. Und drittens sind sie unkontrollierbar, gilt selbst für den riesigen australischen Flughund. Reviermässig sind sie Opportunisten, die Palmölplantage brauchen sie keineswegs.

  • Sehr gruselig was derzeit für krude Theorien ins Kraut schießen. Mir rollt es dir Fussnägel

    • @Josef Kunz:

      So krude ist die Beschriebene Ursachen - Wirkungs-Kette nicht. Es gibt einiges an Peer-reviewter Literatur, die den Zusammenhang zwischen Zerstörung von Habitaten und der Entstehung / Überspringen von neuen Viren über Artgrenzen hinweg beschreibt. Ein sehr aktueller Artikel aus dem populärwissenschaftlichen Bereich ist vor ein paar Tagen im Scientific American erschienen -> www.scientificamer...navirus-to-emerge/ . Lesen und Zehennägel wieder abrollen oder mal schneiden...

      • @Karwal:

        Jap, es gibt auf Arte auch von 2014 eine Reportage dazu über Epidemien im Allgemeinen: www.arte.tv/de/vid...erholung-von-2014/

        Falls du dir nicht die vollen 90 Minuten antun willst, dann kannst du dir ja mal was über die EcoHealth Alliance anschauen. Die arbeiten u.a. mit der WHO zusammen und erforschen genau den Zusammenhang aus dem Artikel. Relativ krass, es gibt Indizien, dass dieser Kausalzusammenhang für HIV, Ebola und Corona besteht...

        Wenn das wirklich stimmt, wären das m.E. relativ gute Nachrichten, dann hätte man schließlich was in der Hand, um Viren in Zukunft zu verhindern. Abgesehen davon denke ich, dass selbst unter Fleischessern in der Regel domestizierte Tierarten am beliebtesten sind...

        • @hey87654676:

          Sehr interessante Doku...

          Ich weiß nicht, ob es gute Nachrichten sind, dass diese Übertragungsweise von Zoonosen bekannt ist. Die Ursachen der Klimaänderung sind auch bekannt...

          Dass „alles mit allem zusammenhängt“ war Humboldt schon vor 250 Jahren klar. In die vorherrschende betriebswirtschaftliche Denke der Krönung der Schöpfung hat es dieser Gedanke (noch ?) nicht geschafft.

          Du brauchst dir ja nur viele der Kommentare zu diesem Artikel anschauen. Statt die vorgelegte These selber mittels Suchmaschine und 5 Minuten Zeitaufwand zu checken, wird dem Autor Spökenkiekerei unterstellt. Woran liegt das?

  • Nicht zu vergessen, auch weil es "uns" noch viel näher ist: die multiresistenten Keime, die wir in grossen Bioreaktoren, genant Mastbetriebe züchten.

  • Analog zur der Behauptung des Autors..." Virolog*innen, die zu Höchstform auflaufen und sich in dramatischen Seuchenszenarien überbieten" scheint der Artikel zu sein"Mit Journalisten, die sich in dramatischen Szenarien überbieten. "

    Es ist bei aller Kritik an der kapitalorientierten Landwirtschaft, soviel in dem Artikel zusammengewürfelt, dass man nicht alles auflösen kann. Ein Beispiel: einerseits wird die Ebolagefahr in den Palmölplantagen hervorgehoben, anderseits wird die Gefahr im Djungel durch die Verdrängung durch Palmölplantagen beschworen.

    • @fly:

      Fazit des überaus guten Artikels: die weltweiten Tierqualindustrien (und deren Auftraggeber*innen) sind auch, neben den schier unzähligen anderen katastrophalen ethischen, moralischen, ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Folgen, für die katastrophale Folge Coronavirus verantwortlich. Von den unzähligen und derzeit noch gar nicht zu überschauenden katastrophalen Folgen dieser Folge (Coronavirus), mal abgesehen!

    • @fly:

      Wieso kann man das nicht auflösen? Durch die Ausbreitung der Plantagen lassen sich die Flughunde zu nah am Menschen nieder. Durch die Verknappung tierischer Proteine wie Fisch hohlen sich die Menschen aus dem Wald was sie brauchen. Auch lecker Flughund. Motor ist die globale Lebensmittelwirtschaft. Weniger Palm-Öl-Plantagen auf Kosten von Waldflächen und Schluss mit der industrielle Überfischung vor ihren Küsten. Fertig. Wirtschaft ist gut, wenn sie den einheimischen Menschen genügend übrig lässt und der Natur genug Raum lässt. Dann sind die Menschen auch nicht mehr auf den Wald als Nahrungsquelle angewiesen.

  • leider ist die gesellschaftlich gewollte Extensivierung der europäischen Landwirtschaft ganz erheblich zu diesen Vorgehen auf der Südhalbkugel bei. Die Nahrungsmittel die wir europäischen Landwirte nicht mehr für unsere Länder produzieren dürfen, müssen ja von "Außen" importiert werden. Jeder, der in Europa die Landwirtschaft so massiv einschränkt wie zur Zeit überall passiert trägt Mitschuld an der ausbeuterischen Landwirtschaft der Südhalbkugel.

    • @Farmer:

      Welche Nahrungsmittel sollen das denn sein?