piwik no script img

Corona im Globalen SüdenWehe, die globale Pandemie kommt

Viele ärmere Länder sind nicht gut auf Coronapandemie vorbereitet. Nun könnten ihnen die Schulden erlassen werden.

Leichen vor dem Haus. In der ecuadorianischen Stadt Guayaquil sind die Leichenhalle längst voll Foto: Filiberto Faustos/AP

Berlin taz | In Guayaquil, der größten Stadt Ecuadors, spielten sich in der vergangenen Woche grässliche Szenen ab. In der tropischen 3-Millionen-Einwohner-Stadt wurden einzelne Leichen auf den Straßen gefunden – vermutlich Covid-19-Tote.

Zeitungen berichteten von verzweifelten Angehörigen, deren Väter und Onkel trotz Corona-Symptome vom Krankenhaus abgewiesen wurden. Tagelang warteten sie, dass die Leichname aus ihren Wohnungen abgeholt werden. Allein bis Dienstag gab es in Guayaquil 400 Leichen, die nicht abtransportiert wurden. Obwohl es in der Provinz Guyas offiziell erst 2.300 bestätigte Coronafälle und 82 Coronatote gibt, kollabierte das System. Die Gründe: mangelhafte Aufklärung, ein desolates Gesundheitssystem, überforderte Behörden, ein Staat am Rande des Bankrotts.

Nach offiziellen Zahlen ist der globale Süden von der Pandemie bislang noch nicht ganz so stark betroffen. Das Virus ist – noch – eine Krankheit der Reichen, des Nordens. Es gibt die Vermutung, dass die jüngeren Bevölkerungen im globalen Süden gegen das Virus besser gewappnet seien. Doch das kann auch täuschen. Was in Guayaquil geschieht, droht vielen Städten des globalen Südens.

Die frühere liberische Präsidentin Ellen Sirleaf sagt, die afrikanischen Nationen seien „bisher zwar vom Schlimmsten verschont geblieben“. Es sei aber wohl eine Frage der Zeit ist, bis das Virus „den Kontinent, der am wenigsten bereit ist, es zu bekämpfen, angreifen wird“. Wenn die Pandemie Slums und Favelas erreicht, so die Befürchtung, kann es zu spät sein. Was tun?

160 Milliarden Dollar, am besten sofort

Oxfam beispielsweise fordert 160 Milliarden Dollar Hilfe für die 85 ärmsten Länder der Welt. Die Zahl orientiert sich an Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Eine Basisgesundheitsversorgung rund um den Globus, von Wuhan über São Paulo bis Lagos, würde der WHO zufolge 200 Milliarden Dollar im Jahr kosten. Aber Hilfsgelder in dreistelliger Milliardenhöhe lockerzumachen dauert. Ministerialbürokratien müssen rechnen, Mittel bewilligt werden, MinisterInnen müssen Zahlungen durchsetzen, Parlamente zustimmen. Es muss aber rasch gehen.

Die sicherste und schnellste Art zu helfen, scheint ein Schuldenmoratorium zu sein. Staaten wie Sambia, die 30 Prozent ihres Haushalts für Schuldentilgung aufbringen, sind kaum handlungsfähig. Und auch ohne Ausbruch der Pandemie ist die Lage in manchen Ländern schon dramatisch. Wegen der globalen Wirtschaftskrise ziehen Investoren Kapital ab, zudem sinken die Rohstoffpreise. Der Export bricht ein. Ein Teufelskreis, der durch die Zinszahlungen aus dem armen Süden nach Norden noch beschleunigt wird. Rund 50 Milliarden Dollar fließen jährlich an Schuldzahlungen aus den ärmsten Staaten in die westlichen Metropolen.

Aber hilft Zinszahlungen zu stoppen wirklich? Der Schuldenerlass um die Jahrtausendwende hat gezeigt, dass sich die Lage in vielen, wenn auch nicht allen entschuldeten Länder aufhellte. Es gab mehr Geld für Gesundheit und Armutsbekämpfung. Klaus Schilder, Entschuldungs-Experte von Misereor, hält ein Schulden-Moratorium für „einen eleganten Mechanismus“. Denn: „Es geht schnell. Das Geld ist, wo es benötigt wird, und muss nicht langwierig in Gläubigerstaaten bewilligt werden.“

Selbst IWF und Weltbank für Schuldenmoratorium

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass Weltbank und Internationaler Währungsfonds – sonst eher keine Vorkämpfer an der Entschuldungsfront – ein Moratorium für die ärmsten Staaten fordern. Allerdings ist auch das nicht ganz einfach. Die Ärmsten zahlen die 50 Milliarden Dollar im Jahr an verschiedene Gläubiger: 18 Milliarden Dollar an Staaten, 12 Milliarden an Weltbank und IWF, 10 Milliarden an private Gläubiger. Ein umfassendes Schuldenmoratorium muss zwischen ihnen koordiniert werden.

Klaus Schilder sieht zudem drei Bedingungen, damit das Moratorium wirkt: Es muss zinsfrei sein – und der Einstieg in ein geordnetes Umschuldungsverfahren sein. Zudem soll es auch Länder mit drängenden Schulden, die nicht zu den allerärmsten zählen – wie Kenia oder Kamerun – angeboten werden.

Faktisch passiert bislang wenig, damit das Geld bleibt, wo es benötigt wird. Ecuador, wo die Gesundheitsministerin zurückgetreten ist und im Gesundheitssystem das Geld für die Basisversorgung fehlt, hat im März pünktlich den fälligen IWF-Kredit bedient: 320 Million Dollar. Alberto Acosta, Ex-Minister und Ökonom, fordert, ähnlich wie zivilgesellschaftliche Akteure, dass „Ecuador während der Coronavirus-Krise den Schuldendienst einstellt“.

Und es gibt noch ein Problem: Die Resonanz auf den Vorschlag von Weltbank und IWF ist bislang bescheiden. NGOs, UNO und Entwicklungsministerien sympathisieren mit der Idee. Ellen Sirleaf, Ex-Präsidentin von Liberia, erinnert an den Kampf gegen Ebola, gegen den die Welt unter der Führung von UNO, WHO und der USA viele Ressourcen mobilisierten. „Wir besiegten Ebola gemeinsam.“ Das erwarte sie auch jetzt.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Doch die politisch zentralen Player – USA, Europa, China – sind damit beschäftigt, die Pandemie im eigenen Land und die wirtschaftlichen Folgen mit Billionen zu bekämpfen. Was im globalen Süden passiert, ist derzeit kaum auf dem Radar.

Ein Lichtblick können die G20 werden. Die haben Ende März zumindest angekündigt, hilfsbedürftige Länder zu unterstützen. Klaus Schilder glaubt: „Dass IWF und Weltbank offen für Entschuldungen sind, ist positiv. Es gibt ein politisches Fenster, und zwar jetzt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank fuer den informativen Bericht und Kommentar zu “Corona im Globalen Sueden”.

    Ein Schuldenmoratorium oder -erlass kann eine schnelle aber kaum eine langfristige und nachhaltige Art zu helfen sein. Insbesondere beruht dieser Ansatz auf der Annahme, dass die betroffenen Staaten die eingesparten Zahlungen sowohl fuer ihre Basisgesundheitsdienste als auch fuer den Lebensunterhalt der armen und oft in der informellen Wirtschaft taetigen Bevoelkerung verwenden werden. Zumindest bei der Hilfe fuer die arme Bevoelkerung sind sehr grosse Zweifel angebracht, wenn wir die Berichte aus einigen Laendern des Globalen Suedens verfolgen und sehen wie die Armen beim ‘Lockdown’ behandelt werden.

    Deshalb bietet die COVID19 (Corona) Pandemie auch eine Gelegenheit, die Entwicklungszusammenarbeit (-hilfe) neu zu denken. Anstatt immer weitere Zahlungen an Staaten im Globalen Sueden zu leisten, wird den Menschen mehr geholfen, wenn sie von den Laendern des Globalen Nordens und den Transnationalen Konzernen ein Bedingungsloses Grundeinkommen fuer die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes erhalten.

    Dies ist auch finanzierbar, wenn wir als Globaler Norden endlich anfangen, unsere angehaeuften Schulden durch Sklaverei, Kolonialismus, Naturzerstoerung und Klimawandel zurueckzuzahlen. Bis jetzt sind die Finanzstroeme vom Globalen Sueden in den Globalen Norden geflossen. Einige dieser Finanzstroeme haben die Autoren in ihrem Bericht erwaehnt. Andere, wie der korrupte Abfluss von Finanzen aus Laendern des Suedens in die vom Norden kontrollierten Steuerparadiese, sind weniger bekannt. Ein weiteres erschreckendes und kaum bekanntes Beispiel ist die Zahlung von 21 Milliarden US Dollars (nach heutigem Wert) von Haiti an Frankreich, weil sich die Bevoelkerung von Haiti 1804 von Sklaverei und Kolonialismus befreit hat. Offiziell erfolgte die Zahlung fuer die Enteignung der Plantagen, aber es sind natuerlich keine Zahlungen an Haiti fuer Sklaverei und Ausrottung der Urbevoelkerung erfolgt.

  • Gerade das Beispiel Sambia aus dem Artikel hätte man ansehen müssen:

    Der IWF hat schon 2005 dem damals hochverschuldeten Sambia im Rahmen der Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) alle Schulden erlassen, auf Anraten der G8. Danach war die Staatsschuldenquote ein paar Jahre unter 20%.

    Inzwischen ist sie wieder bei 100% und das Land ist vor allem bei China verschuldet, und nicht im Westen. Da die Verschuldung rohstoffreicher afrikanischer Länder strategisches Ziel der belt&road initiative ist um Einfluss zu sichern, ist von China sicher kein großer Erlass zu erwarten.

    Ich halte es für verfehlt, vom Westen/IWF einen Schuldenerlass zu fordern (der längst stattgefunden hat) und die chinesische belt&road initiative, die diese Länder aus strategischen Gründen in die Verschuldung treibt, überhaupt nicht zu erwähnen.

    erlassjahr.de/laenderinfos/sambia/

    jungle.world/index...mus-auf-chinesisch

  • Was ist denn der Unterschied zwischen einer globalen Pandemie (wie im Titel dieses Artikels) und einer ganz normalen Pandemie, einer lokalen Pandemie sozusagen?

    • @Peter Mueller:

      Gerade sind die ärmsten Länder der Welt drauf und dran, durch die Maßnahmen gegen das Corona-Virus noch mehr (und eher) Schaden anzurichten, bevor das Virus seine Arbeit verrichten kann.

      Hier in Asien verlieren gerade zig Millionen von Menschen ihre Arbeit - und damit zum größten Teil auch ihre Wohnungen - und die Familien auf dem Land die Unterstüzungszahlungen ihrer arbeitenden Familienmitglieder in der Stadt.



      Zwei Raten für das Haus nicht bezahlt und der Familiensitz auf dem Land fällt ebenfalls an die Bank zurück. Da ist man hier knallhart.



      Wer seine Miete nicht zahlen kann, geht noch am Folgetag aus der Wohnung.



      Gleichzeitig werden Flug, Bahn und Busverkehr eingestellt, so dass die Arbeits- und Wohnungslosen nun zwischen "Baum und Borke" feststecken.



      Eindämmende Maßnahmen zur Abflachung einer Infektionskurve machen eben nur dann Sinn, wenn man auch die Struktur dafür hat, Leben in Krankenhäusern retten zu können.



      Wenn man aber nur 40 Intensiv-Betten für 800.000 Menschen zur Verfügung hat, kann keine Maßnahme die Kurve so abflachen, dass man damit jemanden retten kann.



      Im Gegenteil: Die Maßnahmen töten nun Menschen, weil Geld für notwendige Behandlungen und Medikamente, für Wohnungen, Essen und Trinken fehlt.

      Hier verschärfen die Maßnahmen das Elend nur noch. Und ob nun ein Staat seine Schulden in 18 Monaten gestundet bekommt oder nicht, spielt für die nun entlassenen zig Millionen gar keine Rolle mehr.

      Die Triage hier ist das Portemonnaie

    • @Peter Mueller:

      Eine globale Pandemie ist eine weltweit über den ganzen Erdball verteilte Epidemie.

      Eine normale Pandemie ist nur eine über den Erdball verteilte Epidemie, also sozusagen lokal nur auf die Erde begrenzt.

      Die globale Pandemie dürfte, nach Einschätzung namhafter ExpertInnen aber auch über das gesamte - uns bekannte - Universum hinausgehen, weswegen Kontaktverbote nun auch über das Alpha Centauri System und weit darüber hinaus Geltung haben.....

  • ich bin pessimistisch.



    Wenn schon die Realisierung von Corona-Bonds zu solch einer Aufregunung in DE führt, istes um einiges schwerer, dem Geiz-Michel ein Schuldenmoratorium oder gar Schuldenerlass für den globalen Süden nahezubringen.

    Die CDU/CSU positionieren sich ja schon als harte Hände inkl. Santa Angela.

  • Machen wir uns nichts vor, man wird diese armen Länder nicht retten können. Die Milliarden die man denen gibt werden maximal das Gewissen besänftigen.

    Die Krankheit wird dort stärker wüten. Infrastruktur, Hygiene etc...

    d.h. dort wird man mehr Betten pro 1000000 Einwohner benötigen. Viel mehr.

    Aber ob die Anzahl Beatmungsgeräte bis dahin überhaupt produziert werden könnte wage ich zu bezweifeln.

    Und selbst wenn, benötigt man noch Horden bestens ausgebildetetens intensivmedizinisches Pflegepersonal... wie lange dauert bei uns die Zusatzqualifikation on Top zum ordinären Krankenpfleger? 2 Jahre? drei Jahre? Also selbst wenn man das Material hätte, ist es nutzlos.

    Man kann solche Länder nicht in 2-3 Monaten auf Top 10 Weltstandard bringen

  • Ende Januar hatte ich an das Bundesministerum für Zusammenarbeit (Entwicklungshilfe) ergebnislos den nachstehenden Aufruf gerichtet.

    Da war ich noch der irrtümlichen Auffassung, in Ländern wie Deutschland (und Italien) würde man einen Ausbruch schon verhindern, aber es käme zu direkten Infektionsketten von China in Entwicklungsländer. Stattdessen lassen sich ja viele Infektionsketten von Europa nach Afrika und Südamerika nachweisen.

    Am 27.1. von mir ans BMZ: "Während China umfangreiche Maßnahmen zur Eindämmung des neuen Virus trifft, fehlen anderen Ländern wie Nepal und Thailand die Ressourcen u.a. zur Quarantäne von Kontaktpersonen und der Isolierung von Kranken.

    Eine einzige infizierte Person kann aber eine Kettenreaktion auslösen, die dann umfangreiche Quarantänemaßnahmen wie in Hubei mit der "Festsetzung" von Millionen Menschen nutzlos machen. Es wäre daher höchst wünschenswert, wenn das Ministerium für int. Zusammenarbeit in Verbindung mit anderen deutschen Stellen zügigst so umfangreiche Hilfsmaßnahmen in anderen Ländern wie möglich durchführt und unterstützt, grade in dieser noch frühen Phase des Ausbruchs der Epidemie."