Corona-Politik der FDP: Hauptsache, Leistung

FDP-Politiker*innen wollen die Pflicht zur Corona-Isolation aufheben. Dabei schränken sich vulnerable Gruppen sowieso schon enorm ein.

Eine Person mit beschlagenen Brillengläsern unster einer Corona-Schutzmaske

Kein Durchblicken mehr in der Coronapolitik Foto: Markus van Offern/imago

Montagmorgen, Wolfgang Kubicki schnippst mit dem Finger, das Radio geht an. „Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Wir steigern das Bruttosozialprodukt …“ Der FDP-Politiker grinst sein Spiegelbild zufrieden an, schwingt kurz mit der Hüfte und stellt sich dann unter die eiskalte Dusche. Wie Gewinnertypen das eben so machen. Vier Minuten später steht im Esszimmer das Frühstück bereit. Bisschen was Leckeres, bisschen was Gesundes. Die Haushaltshilfe hustet. „Gute Besserung“, sagt Kubicki mitfühlend. „Danke … dieses blöde Corona.“ Kubicki schlägt die Zeitung auf. Das Bild einer Pflegerin mit FFP2-Maske ziert die Zeile „Die deutschen Krankenhäuser geraten durch die aktuelle Coronasommerwelle immer stärker unter Druck“. Kubicki seufzt. „Ja, ja, weil das gesunde Personal wegen dieser Isolationspflicht zu Hause sitzt. Da muss man doch was machen!“

Aber genug des Ausflugs ins Fiktionale. Mehrere FDP-Politiker*innen fordern gerade mal wieder lautstark, dass die Corona-Isolationspflicht aufgehoben wird. „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“, sagte etwa die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der bereits genannte stellvertretende FDP-Vorsitzende Kubicki sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass „es epidemiologisch als auch aus Gründen der Eigenverantwortung überfällig“ sei, die Entscheidung zur Isolation den Menschen wieder „selbst zu überlassen“. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sorgt sich außerdem um die Personalausfälle aufgrund der Isolationspflicht: „Wir werden in systemrelevanten Bereichen vor enormen Herausforderungen stehen, wenn wir massenhaft positiv Getestete ohne Symptome in die Isolation schicken“, sagte er der Rheinischen Post.

Pflegerin kann nicht ins Homeoffice

Ach, schön. Erinnern wir uns kurz, welche Berufe im Zuge der Coronapandemie unter anderem als systemrelevant eingestuft wurden: Ärzt*in­nen, Pfle­ger*in­nen, Seel­sorger*in­nen, Journalist*innen, Hilfspersonen für Menschen mit Behinderung, Kita­betreuer*in­nen, Leh­rer*in­nen … und fast jede andere Berufssparte. In einigen Berufsgruppen, wo prekäre Arbeitsverhältnisse herrschen, arbeiten Menschen schon länger wieder trotz positiver Coronatests. „Krankheit bezahlt mir ja niemand“, sagte mir neulich ein freier Journalist. Immerhin müsste er ja nicht mehr zwingend für den Job unterwegs sein. Die Remote-Arbeit macht so vieles leichter.

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Eine Pflegerin im Krankenhaus muss allerdings zum Arbeitsplatz fahren. Nach den aktuellen Regelungen darf sie das bei einem positiven Coronatest nicht, fünf Tage Isolation sind derzeit noch vorgeschrieben. Trotzdem arbeiteten in Krankenhäusern auch schon Menschen, bei denen der Test noch positiv anschlägt.

Etwa am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main, wo abgewogen wurde, was schlimmer sei: der Personalmangel oder eine mögliche Infektionskette. Mit Masken und getrennt verbrachten Pausen findet der Ärztliche Direktor Jürgen Graf das Arbeiten trotz Infektion vertretbar: „Natürlich unter Berücksichtigung der Freiwilligkeit.“ Klar, die meisten Menschen im Krankenhaus sind ja bekanntlich so ausgeruht, dass sie gerne auf ein paar krankheitsbedingte freie Tage verzichten.

Dass ausgerechnet FDP-Po­li­ti­ker*in­nen wieder fordern, alle Coronaregeln abzuschaffen, auf Eigenverantwortung pochen, um gleichzeitig wieder die „Arbeitstugend“ hochzujazzen, verwundert nicht. Das Weltbild, das wie immer dahintersteht, lautet: Ohne Fleiß, kein Preis. Arbeit ist wichtig, selbst wenn der Körper damit beschäftigt ist, eine Virusinfektion zu bekämpfen. So muss das sein in einer gut geölten Leistungsgesellschaft. Krankheitsausfälle sind zu vermeiden.

Mit diesen Äußerungen stellen sich die FDP­le­r*in­nen gegen die Linie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der twitterte: „Infizierte müssen zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen, sondern der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko.“ Kubicki und Co unterstützen öffentlich den Kassenärtztechef Andreas Gassen, der in der Neuen Osnabrücker Zeitung verlauten ließ: „Wer krank ist, bleibt zu Hause. Wer sich gesund fühlt, geht zur Arbeit.“ Gassen forderte auch schon im September 2021 einen „Freedom Day“.

War es nicht noch zu Anfang der Pandemie die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, „die vulnerablen Gruppen“ bestmöglich zu schützen? Und zwar dadurch, dass wir Ansteckungen vermeiden?

Die FDP dreht sich ihre Argumente zurecht

Zu den Menschen, die vor einer Coronainfektion geschützt werden sollten, zählen weiterhin Kranke, Ältere, Menschen mit Behinderung. Das hat sich nicht geändert, denn es ist weiterhin gut möglich, dass auf diese Menschen eben nicht der „milde Verlauf“ wartet, sondern sie Personen sind, deretwegen die Zahl auf den Corona-Intensivstationen nach oben korrigiert werden muss. Diese Menschen schränken sich teilweise gerade durch die ohnehin schon hohen Infektionszahlen in ihrem alltäglichen Leben enorm ein. Denn Schutzmaßnahmen, wie Masken in Supermärkten, gelten schließlich nicht mehr. Ulf Dittmer, Virologe am Universitätsklinikum Essen, sagte der dpa, dass die Coronasommerwelle nicht gebrochen ist. „Weniger gut vor schweren Verläufen schützen können wir weiter Patienten, die stark immun­supprimiert sind, zum Beispiel Nierentransplantierte“, so Dittmer.

Die Freiheit für alle, auf die die FDP mal wieder so pocht, bedeutet extreme Unfreiheit für andere. Und selbst wenn für viele eine Coronainfektion keine größeren gesundheitlichen Probleme bedeutet, wird durch mehr Infektionen auch die Zahl an Long-Covid-Pa­tient*in­nen weiter steigen.

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Viele Menschen, die an Long Covid erkrankt sind, berichten von dauerhafter Erschöpfung, die es ihnen unmöglich macht, länger zu arbeiten. Damit fallen sie für die leistungsbesessene Gesellschaft durchs Raster. Einige verlieren dadurch ihre Jobs. Aber wer schaut schon da drauf?

Im ersten Pandemiejahr faselten viele Po­li­ti­ke­r*in­nen noch von „Chancen durch Entschleunigung“, um Menschen den Lockdown schmackhafter zu machen. Runtergefahren war damals der ganze „Freizeitstress“ – also die Betätigung in Sportvereinen, das Treffen von Freun­d*in­nen, das Besuchen von Konzerten. Das sei vielleicht auch ganz gut für die Gesundheit, weniger Stress in der Freizeitplanung zu haben. Komisch eigentlich, dass die FDP das nie im Hinblick auf Arbeit sieht. Oder?

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Schreibt seit 2017 für die taz und arbeitet seit 2020 als Redakteurin bei der taz. Studierte Kommunikationswissenschaften, Germanistik, Anglistik sowie Kulturjournalismus in Berlin und Essen.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

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