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Chemnitzer Konzert der SolidaritätDie Rechten ausgetanzt

Wir sind mehr: Die Losung hat sich bewahrheitet. 65.000 Menschen feiern am Montagabend in Chemnitz gegen Dumpfdeutsche.

U.a. Marteria, Casper und Nura (SXTN) singen gegen Rassismus und rechte Hetze Foto: David Baltzer

CHEMNITZ taz | Aziz Mohammad Rafi ist aufgekratzt. Der schmächtige 19-Jäh­rige hüpft von der Straße auf den Bürgersteig und wieder zurück, umtänzelt seine Freunde, knufft ihnen in die Seite. Seine Augen leuchten. „Es war so cool“, sagt er immer wieder. „So – cool“, mit Betonung auf jedem einzelnen Wort.

Rafi und seine Freunde stehen im Stadtzentrum von Chemnitz am Rand des kleinen Parks, der zur etwas höher gelegenen Stadthalle ansteigt. Vor einer Stunde haben die Toten Hosen drüben auf der großen Bühne an der Johanniskirche den letzten Ton gespielt.

Aber viele der mehr als 65.000 Besucher des Konzerts wollen noch lange nicht nach Hause gehen: Auf dem Rasen im Park und den Treppenstufen vor der Stadthalle, auf den Bürgersteigen und auf den zum Teil immer noch gesperrten Straßen sitzen Hunderte überwiegend junge Menschen in kleinen Gruppen zusammen. Sie trinken warmes Bier aus der Dose vom Döner-Imbiss an der Ecke, dem einzigen, der noch welches hat, und erzählen sich gegenseitig, was sie erlebt haben. Man wird mit Fug und Recht behaupten können: So viel los war in Chemnitz an einem Montagabend schon sehr, sehr lange nicht mehr.

Rafi zeigt ein Video, das er vorhin beim Konzert mit seinem Handy gemacht hat, als er ganz vorne war. Er weiß nicht genau, wie der Rapper heißt, der dort zu sehen ist, aber er findet ihn: „So – cool.“ Trettmann sei das, erklärt ihm einer aus der Gruppe aus Berlin, die sie gerade kennengelernt haben, und klopft ihm auf die Schulter: „Wenn du Trettmann feierst, bist du korrekt“, sagt er und fängt an, von dem Chemnitzer Musiker zu erzählen, leuchtende Augen haben jetzt beide.

Wie Stadt sich in wenigen Stunden verändert

Am Nachmittag, als die ersten Flixbusse ankommen und um halb fünf dann fast gleichzeitig drei Züge aus Leipzig, Zwickau und Dresden, ändert sich das Chemnitzer Stadtbild auf einmal: Die Stadt ist plötzlich deutlich jünger. Scharenweise ziehen Menschen die Straße entlang, auch ältere, auch Familien mit Kindern, aber vor allem sehr, sehr viele junge Leute, viele eher unter 20 als unter 30. Sie decken sich bei Rewe in der Fußgängerzone mit Proviant ein und schließen sich zu spontanen Picknickgruppen zusammen, bevor es dann auf den Parkplatz an der Johanniskirche geht, auf den das ursprünglich für das Karl-Marx-Monument geplante Konzert verlegt wurde.

Der Platz ist voll, noch bevor die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für den am Wochenende zuvor in Chemnitz erstochenen Daniel H. beginnt. Aber nicht nur der Platz: Über die gesamte Innenstadt ergießen sich die Besucherströme. Die Stimmung ist fröhlich, aber es gibt auch eine klare Note Ernsthaftigkeit darin. „Wir sind keine Partytouristen“, das ist ein Satz, den gerade die jungen Besucher betonen.

Viele sind angereist, manche sehr früh aufgestanden, um hierherzukommen. Aber längst nicht alle kommen von weither. Clara Weber und Willi Tretter kommen aus Reichenbrandt und Limbach-Oberfrohna, zwölf Kilometer von Chemnitz entfernt. Sie ist 20, er 19, und von den Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen in ihren Schulklassen erzählen sie im Plauderton. Nicht weil es schön wäre, aber weil es normal ist. Auch ihnen ist wichtig zu sagen, dass sie aus politischen Gründen hier sind, auch wenn sie sich freuen, gleich Feine Sahne Fischfilet hören zu können

Für die Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern gehört Antifaschismus sozusagen zum Markenkern, manche der anderen Musiker, die heute Abend hier auftreten, zeigen sich normalerweise weniger politisch. Aber auf Einladung der Chemnitzer Band Kraftklub sind sie alle gekommen, um das Motto der innerhalb der letzten Woche organisierten Veranstaltung wahr werden zu lassen: Wir sind mehr.

Wie die Punkszene in Chemnitz Gräben überspringt

„Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht, und dann ist die Welt gerettet“, hatte der Kraftklub-Sänger Felix Brummer vor der Veranstaltung gesagt. Das ist richtig, natürlich. Zu unterschätzen ist die Wirkung dieses Konzerts aber auch nicht.

Am Ende kommt die Überraschung. Campino, der gerade mit den Toten Hosen noch seine alten linken Songs wie „Das ist auch mein Land“ gespielt hat, holt zwei „Brüder“ von ihm, wie er sagt, auf die Bühne.

Nicht nur wegen der Musik hier: Besucher des Konzerts in Chemnitz Foto: David Baltzer

Der eine ist Arnim von der Berliner Band Beatsteaks und der andere Rod, Bassist von Die Ärzte. Mit ihm zusammen stimmen sie „Schrei nach Liebe“ an, den Anti-Nazi-Song der Ärzte, die seit den Achtzigern eine mehr oder weniger ernste Rivalität mit den Toten Hosen ausfechten. Undenkbar also, dass Campino deren Lieder singt. Hier bei „Wir sind mehr“ werden selbst die Grenzen des deutschen Punk niedergerissen. Und 65.000 singen fröhlich mit.

Doch ist das Konzert keine Punkveranstaltung. Die Toten Hosen sind die Veteranen hier, „kurz vor der Rente“, wie Campino sagt. Ihre jüngeren Nachfolger von Feine Sahne Fischfilet singen mit einfachen, oft etwas pathetischen Punkhymnen gegen das Schlechte in der Welt an, vor allem gegen Neonazis. Zwischendurch hält Sänger Monchi kurze Reden, in denen er erklärt, dass so ein Konzert gegen rechts nur der Anfang sei, dass man auch an anderen Orten und Tagen seine Stimme gegen Hetze erheben müsse. Und so erheben alle ihre Stimme und grölen „Komplett im Arsch“.

Heimspiel für die ­Rapper und Rocker aus Karl-Marx-Stadt

Neben den Punkbands geht es vor allem in die HipHop-Richtung. Trettmann, der den Abend eröffnet, rappt über das Chemnitz in der Wendezeit, in der man für weiße Sneakers ein Vermögen ausgegeben hätte. Er weiß das, er ist im Plattenbauviertel von Karl-Marx-Stadt aufgewachsen: „Grauer Beton, rauer Jargon“, heißt es im ­Refrain. Zwischendrin brüllt er von der Bühne: „Ich sag: Wir sind. Ihr sagt: mehr!“

Ein Heimspiel ist das Konzert auch für die Jungs von Kraftklub, die Rap mit Rock verbinden. Die Zeile „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt“ singen nicht nur hier, sondern auch auf Konzerten in der ganzen Republik alle lautstark mit.

Die drei Rapper von K.I.Z. sind die Provokateure des Abends. „Wo sind meine links versifften Gutmenschen?“, begrüßen sie die Menge. Sie warnen davor, dass es bei diesem Konzert darum geht, wer die besseren Deutschen sind, und verkünden ironisch: „Wir haben vorhin Heiko Maas gesehen, wie er eigenhändig fünf Neonazis verprügelt hat. Nicht immer nur reden – auch mal was machen!“ Für die Politiker, die das Konzert nur gutheißen, solange alles schön friedlich und harmonisch bleibt, hätten sie auch diesen einen Song geschrieben: „Ich bring euch alle um“. Und alle so: bum, bum, bum, bum. Friedlich bleibt es trotzdem.

Und die Hoffnung kommt auf, dass nun jeden Montag in Chemnitz bei guter Musik gegen rechts gefeiert wird.

Tausende Menschen strömen nach den letzten Tönen mit leuchtenden Augen aus der Menge heraus. Manche wirken etwas benommen, als müssten sie sich nach vier Stunden Ausnahmezustand erst noch etwas orientieren. Sicher, viele von ihnen wären vielleicht nicht gekommen, wenn es sich nur um um eine Kundgebung gehandelt hätte und nicht um ein Konzert ihrer Lieblingsbands. Aber sie haben sich an diesem Abend als Teil einer riesigen Menschenmenge gefühlt, die gemeinsam gegen Rassismus und Neonazis aktiv geworden ist – es wäre ein Wunder, wenn dieser Abend keinen Effekt auf sie hätte. Wer den Grüppchen auf der Straße und im Park zuhört, der merkt, dass an sehr vielen Stellen über politische Themen gesprochen wird. Und selbst wenn manche von diesem Abend vielleicht nur mitnehmen werden, dass es bei denen, die gegen rechts sind, gute Partys gibt, dann ist auch das so wenig nicht in diesen Tagen.

Wie Rechten ihre Dominanz verlieren

Am Karl-Marx-Monument, wo sich am Samstag wie auch am Montag vor einer Woche rechtsextreme Hooligans, Neonazis und „Lügenpresse“ schreiende Bürger versammelt hatten, legen heute Abend DJs auf, ein paar Tausend Menschen tanzen davor auf der Straße, lassen glitzernde Fahnen wehen.

Wenige Hundert Meter entfernt, dort, wo Kerzen und Blumen den Ort markieren, an dem Daniel H. niedergestochen wurde, haben in den letzten Tagen meist Rechtsextreme den Ton angegeben, haben sich zu den Hütern über das richtige Trauern aufgespielt und alle angepöbelt, die ihnen nicht in den Kram passten. Auch heute sind sie hier.

Aber sie haben nicht mehr die Hoheit über diesen Ort. Sie müssen sich der Diskussion mit jungen Menschen stellen, die, anders als die meisten Chemnitzer Passanten, die hier in den letzten Tagen vorbeikamen, überhaupt keine Lust haben, die rassistischen Reden unwidersprochen zu lassen. Die Intervention der Polizei später am Abend, die die Demokraten vom Mahnmal abdrängt, nachdem einige Wortgefechte etwas lauter geworden waren, wird von den Rechten mit Applaus quittiert. Ein Erfolg ist dieser Abend für sie trotzdem in keinster Weise.

„Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass nun die Welt gerettet ist“

Felix Brummer, Kraftklub

Da ist, und das ist vielleicht das Allerwichtigste, der Unterschied, den das alles für Rafi und seine Freunde macht. Die Gruppe trifft sich fast jeden Abend im Stadthallenpark, sie sitzen auf derselben Bank, hören Musik, schicken bei WhatsApp Videos hin und her und teilen sich Zigaretten. Manchmal rückt die Polizei an, stellt sich im Kreis um sie herum und kontrolliert ihre Ausweise; der Stadthallenpark ist nämlich ein kriminalitätsbelasteter Ort, da geht das auch ohne Anlass. „Sie machen das immer nur bei uns, weil wir schwarze Haare haben“, sagt Rafi und zuckt mit den Schultern, an so etwas sind sie alle schon gewohnt.

In den letzten Tagen aber haben sie meistens lieber darauf verzichtet, sich an ihrer Bank im Park zu treffen. Stattdessen blieben sie in ihren Wohnungen, jeder für sich. Wir haben Angst“, sagt Sabaoon Mullah, mit 17 Jahren der Jüngste der Gruppe, sanfte Gesichtszüge und ein bisschen schüchtern.

Der verletzte Afghane sagt: „Es war sehr gut.“

Ein Freund von ihnen, erzählen sie, sei schon letzten Sonntag von Rechten attackiert worden, er liege seitdem im Krankenhaus. Am Samstag, als die rechtsextreme Demonstration schon aufgelöst war, traf es einen weiteren Bekannten: Saifullah Z., aus Afghanistan genau wie sie, wurde im Chemnitzer Stadtteil Markersdorf von einer Gruppe Vermummter gejagt. Der Freund, mit dem er unterwegs war, rannte schnell genug. Saifullah Z. nicht.

Auch Z. ist an diesem Montagabend mit den anderen unterwegs. Unter seinem rechten Auge klebt ein großes weißes Pflaster, seine Augen sind blutunterlaufen, die linke Wange rötlich-blau und angeschwollen. Z. spricht mit leiser Stimme, er ist längst nicht so aufgekratzt wie Rafi. Aber auch er lächelt, zaghaft: „Es war sehr gut, dass heute sehr viele Menschen da waren, gegen die Nazis“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Heute können sie ohne Angst wieder hier im Park sein, sie können sich dabei sogar mit Leuten in ihrem Alter über Chemnitzer HipHop unterhalten, und es gibt niemanden in dieser Gruppe, der darüber nicht sehr glücklich wirkt.

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