Caster Semenya darf nicht an den Start: Ein verstörendes Urteil
Das Schweizer Bundesgericht hat Semenya untersagt, bei der WM in Doha zu starten. Grund ist der Testosteronspiegel der Leichtathletin.
Dieser Dauerstreit um ihre Hormonwerte zerstöre sie „mental und körperlich“, hatte Caster Semenya vor wenigen Wochen der BBC erzählt. Ein Ende des Konflikts ist indes nicht in Sicht. Am Dienstag musste die südafrikanische Leichtathletin einen Rückschlag verkraften, sie muss mit ihrem WM-Ausschluss klarkommen. Die dreifache Weltmeisterin über 800 Meter wird aller Voraussicht nach nicht an den Ende September beginnenden Wettbewerben in Doha teilnehmen können.
„Ich bin sehr enttäuscht, dass ich meinen hart erarbeiteten Titel nicht verteidigen kann. Aber das wird mich nicht davon abhalten, weiter für die Menschenrechte für alle betroffenen Sportlerinnen zu kämpfen“, sagte die 28-Jährige nach dem Urteil des Schweizer Bundesgerichtshof.
In einer Pressemitteilung erklärte das Gericht, dass die im April 2018 eingeführte Regel des Internationalen Leichtathletikverband (IAAF), nach der Athletinnen, deren Testosteronspiegel bestimmte Werte überschreite, ausgeschlossen werden dürfen, „vorerst wieder anwendbar“ ist. Es geht bei dem Reglement, das auf Caster Semenya zugeschnitten ist, um die Exklusion von Frauen mit XY-Chromosomen, die einen Testosteronspiegel aufweisen, der im männlichen Bereich liegt. Für den IAAF gehört die zweifache Olympiasiegerin Caster Semenya zu den „biologisch männlichen Athleten mit weiblichen Geschlechtsidentitäten“.
Als Semenya vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) wegen Diskriminierung klagte, stritt dieser den Tatbestand gar nicht ab, urteilte aber, „dass […] eine solche Diskriminierung nötig, angemessen und ein verhältnismäßiges Mittel ist, um das Ziel der IAAF zu erreichen: die Integrität der Frauenleichtathletik in den betroffenen Disziplinen zu schützen“. Der Erhalt des fairen Wettkampfes wurde also stärker gewichtet als die Diskriminierung.
Nur mithilfe einer Hormontherapie
Ein durchaus verstörendes Urteil. Die praktische Konsequenz daraus, dass Semenya nur mithilfe einer Hormontherapie wieder auf ihren Spezialstrecken starten kann, nannte Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebundes WMA, gegenüber der FAZ „inverses Doping“. Ärzte sollten sich ebenso wenig daran beteiligen wie beim Dopen von Sportlern.
Auch das Schweizer Bundesgericht war Anfang Juni noch dem Antrag von Semenya gefolgt und hob das Startverbot gegen sie auf den Mittelstrecken auf. So nahm Caster Semenya Ende Juli am Diamond-League-Meeting in Stanford, Kalifornien, teil und überquertet beim 800-Meter-Lauf nach 1:55,70 Minuten mit zweieinhalb Sekunden Vorsprung vor der Zweitplatzierten US-Amerikanerin Ajee Wilson die Ziellinie.
Ein starkes Zeichen vor der WM und nach den vielen juristischen Scharmützeln, die sich nun schon über zehn Jahre hinziehen, nachdem sie 2009 bei der WM in Berlin erstmals Gold gewann. Fernsehreporter fragten die damals 18-jährige Südafrikanerin, ob sie ein Mann sei. Und beim IAAF begann man, über Testosterongrenzwerte zu diskutieren.
Dorothee Schramm, Anwältin
Die Auseinandersetzungen werden weitergehen – zumal das Schweizer Bundesgericht am Dienstag lediglich seine Entscheidung pro Semenya zurücknahm. Nach Anhörung der IAAF-Argumente hob man die provisorische Nichtanwendung der IAAF-Regel wieder auf.
Zur Begründung betonte das Bundesgericht seine strenge Praxis, die beim Erlass provisorischer Maßnahmen gelten würden. Solche Anordnungen würden nur erfolgen, wenn eine erste Prüfung ergebe, dass die Beschwerde „sehr wahrscheinlich begründet“ erscheint. „Über die Beschwerde als solche hat das Bundesgericht noch nicht entschieden“, erklärte das Bundesgericht in einer Medienmitteilung.
Der Leichtahtletik-Weltverband bekräftigte in einer Stellungnahme zum Schweizer Urteil seine Position: „Die Entscheidung sorgt für die notwendige Sicherheit und Gleichstellung, die alle Athleten brauchen, die sich auf die WM in Doha vorbereiten.“ Semenyas Anwältin Dorothee Schramm wiederum wies auf die Vorläufigkeit des Richterspruchs hin: „Die Verfahrensentscheidung hat keinen Einfluss auf den Berufungsprozess. Wir werden Casters Klage weiterverfolgen.“ Mit einem Urteil ist in der ersten Jahreshälfte 2020 zu rechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch