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Carola Rackete über Antarktisvertrag„Kolonialistische Herangehensweise“

Kapitänin und Klimaaktivistin Carola Rackete kennt das Südpolarmeer gut. Klimagerechtigkeit spiele in der Antarktispolitik keine Rolle, meint sie.

Flugzeuge statt Eis: Australien möchte bei der Forschungsstation Davis groß umbauen Foto: David Barringhaus/ picture alliance

taz: Frau Rackete, der Antarktisvertrag wird 60 Jahre alt – Happy Birthday?

Carola Rackete: Ein Anlass zum Gratulieren ist das kaum. Es ist sehr problematisch, wie das Management der Ver­trags­part­ne­r*in­nen derzeit umgesetzt wird.

Woran scheitert es?

Die 29 Staaten, die regeln, was dort ökologisch passiert, sind hauptsächlich Staaten des globalen Nordens, das heißt, sie sind die Hauptemittenten von Treibhausgasen auf der Welt. Das Gremium ist ein elitärer Club, weil nur die Staaten dabei sind, die Geld in die Forschung dort investieren können. Die südlichen Pazifikstaaten hingegen, die stark vom Klimawandel betroffen sind, sind nicht dabei.

Wie wirkt sich das aus?

Das Ökosystem wird auf den Kopf gestellt. In kolonialistischer Herangehensweise beanspruchen die Vertragsstaaten das alleinige Management und kommen nicht auf die Idee, dass wir eine Verantwortung gegenüber dem Kontinent tragen.

Obwohl der Antarktisvertrag die Diskussion um Landansprüche eingefroren hat, behauptet Australien etwa, dass ihm 42 Prozent der Antarktis gehören. In dem sich zuspitzenden Konflikt um einen Flughafen, den Australien dort bauen will, wird das jetzt interessant.

Worum geht es dabei?

Bild: Oliver Berg/dpa
Im Interview: Carola Rackete

34, ist Aktivistin und Naturschutzökologin. Sie wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots Sea-Watch 3 mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Derzeit ist sie mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs.

Er soll an der australischen Forschungsstation Davis entstehen und wäre allein schon vom Bau sehr schädlich für das sensible Ökosystem. Die gesamte Biodiversität des Kontinents konzentriert sich dort, wo es eisfrei ist. Da ist auch die Forschung und der Tourismus.

Die Antarktis ist zwar groß, aber es gibt eine starke Konkurrenz um den eisfreien Raum. Der Flughafen würde den menschlichen Fußabdruck auf dem Kontinent um 40 Prozent erhöhen. Aktuell ist er noch in der Umweltverträglichkeitsprüfung, in einem Jahr etwa wird darüber entschieden.

Wer soll da hin fliegen?

Wis­sen­schaft­le­r*in­nen jedenfalls nicht, die meisten sprechen sich dagegen aus. Die einzigen, die dafür sind, sind die australische Regierung und Policy Institute wie etwa der von ihr gegründete und mitfinanzierte Thinktank Aspi.

Auch die australische Umweltministerin spricht sich für das Projekt aus, aber sie wurde auch kürzlich von einem Gericht zu mehr Klimaschutz verpflichtet, nachdem Jugendliche sie verklagt hatten. Umwelt- und Klimaschutz kann man von ihr nicht wirklich erwarten, es geht vielmehr um strategische Gründe.

Welche sind das?

Im Jahr 2048 kann das Umweltschutzprotokoll für die Antarktis erstmalig wieder verändert werden, dann könnte man theoretisch Bodenschätze abbauen. Der Flughafen soll kurz vorher fertig werden.

Natürlich steht nirgendwo, dass geostrategische Gründe eine Rolle spielen, aber es ist jedem dort eigentlich klar. Auch viele Forschungsstationen werden weniger aus wissenschaftlichen Gründen betrieben, sondern mit dem Gedanken, Präsenz zu sichern, für den Fall, dass der Vertrag irgendwann endet und man dann Fischerei- und Territorialrechte hat.

Sie waren mehrfach in der Antarktis. Wie hat es sich dort verändert?

Den Rückgang der Gletscher sieht man eher durch Fotoabgleiche, aber was man im Zeitraum der letzten zehn Jahre wirklich sieht, ist die massive Zunahme des Tourismus. Die Branche dort reguliert sich praktisch ausschließlich selbst.

Wie bitte?

Die Tourismusunternehmen geben sich eigene Regeln, etwa welchen Abstand man zu Pinguinen halten muss oder wie man vermeidet, brütende Vögel aufzuscheuchen. Aber sie haben kein Interesse, die Touristenzahl zu reduzieren. Eine Kreuzfahrt in die Antarktis kostet locker 10.000 Euro und verursacht inklusive Flug zum Startpunkt fünfeinhalb Tonnen CO2 pro Person.

Das ist so viel wie acht Bangladeschis pro Jahr verbrauchen. Die spüren aber schon jetzt die Folgen des Luxusurlaubs durch den Anstieg des Meeresspiegels und können sich gleichzeitig nicht gegen den Tourismus einsetzen, weil sie nicht Teil des Antarktisvertrags sind. Da zeigt sich, dass Klimagerechtigkeit keine Rolle spielt.

Warum wird der Tourismus nicht stärker reglementiert?

Laut dem Vertrag können die 29 Staaten nur im Konsens entscheiden. Das macht es unmöglich, etwas zu regulieren. Oft sagen die Staaten nicht öffentlich „Wir sind dagegen“, sondern behaupten etwa, es würden noch Informationen fehlen, um mehr Meeresschutzgebiete zu designieren. So ist es seit Dekaden auch bei der Fischerei oder Bioprospektion, also der Untersuchung von Biodiversität für kommerziell wertvolle genetische und biochemische Ressourcen.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Blockade?

Im vergangenen Jahr hat ein russisches Schiff illegal gefischt, das war allen klar. Aber damit das Schiff sanktioniert werden könnte, müsste Russland zustimmen. Da sagt Russland „Nö“. Alle anderen sagen „doch“, aber es führt zu nichts. Das ist Schwachsinn.

Dann scheint das Gremium völlig nutzlos. Sollte man es auflösen?

Ja, es ist ziemlich nutzlos, aber es ist auch schwierig, sich eine gute Lösung vorzustellen. Der schlimmste Fall wäre, wenn das jetzige Gremium wegbricht, aber nicht durch ein neues System ersetzt wird, sodass ein völlig rechtsfreier Raum entsteht. Dann könnte jeder dort Ressourcen ausbeuten, wie er will.

Gibt es keine Ansätze, wie es besser laufen könnte?

Doch, es gibt die Forderung, das Gremium in die UN zu verlagern, sodass fast alle Staaten der Welt mitentscheiden können und die Mehrheit entscheidet. Man könnte auch im bestehenden System das Konsensprinzip aufheben. Oder dass etwa wie im Fall des russischen Schiffes der betroffene Staat nicht mit abstimmen darf. So kleine Veränderungen würden auch schon helfen.

Ist die Antarktis ein blinder Fleck der Klimabewegung?

Ich denke schon. Zum einen ist es für viele sehr weit weg, zum anderen ist der elitäre Club der Ver­trags­part­ne­r*in­nen unzugänglich. Es ist auf jeden Fall ein Ort, wo Klimagerechtigkeit viel stärker eingefordert und Greenwashing bloßgestellt werden muss.

Was sollte das Antarktisgremium sofort tun?

Es müsste öffentlich zugeben, dass die beteiligten Staaten das Fortbestehen des Ökosystems nicht garantieren können, weil sie die Pariser Klimaziele verfehlen. Als Konsequenz müssten sie sofort drastisch ihre Emissionen reduzieren.

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16 Kommentare

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  • "Der Flughafen würde den menschlichen Fußabdruck auf dem Kontinent um 40 Prozent erhöhen"

    Was ein gutes Zeichen ist. Ein neuer Flughafen der Größe in DE würde den Fußabdruck auf dem europäischen Kontinent nur um den Bruchteil eines Prozents erhöhen. Noch positiver wäre es, wenn die Erhöhung bei 1000% liegen würde.

  • Mal ne ganz steile These. Ein Schelm, wenn diese doch tatsächlich stimmt:

    Diejenigen, die nur daheim rumsitzen und nichts tun, außer mit dem Finger auf Rackete oder Neugebauer zu zeigen, werden viel mehr zur Zerstörung des Klimas beitragen, anstatt Aktivisten, die mit dem Flugzeug reisen und Info-Kampagnen in anderen Ländern durchführen, in der Hoffnung, dass einige hundert bis tausend Menschen umdenken werden.

    Achja: Diejenigen, die Rackete oder Neugebauer vorwerfen, Wasser zu predigen und Wein zu saufen, saufen in Wahrheit selbst Wein und predigen Wasser. Glashaus und so.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Richtig. Einige waren & sind immer schon gleicher als der Rest. Warum sollte sich das ändern? So funktionieren wir Menschen nun mal. Außer, dass es mittlerweile ja auch Cola, Bier und Kaffee gibt.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Dito. Fehlt noch das Rumgenerve/Getrolle "aber Greta Thunbergs Schiffscrew ist doch geflogen" oder noch besser: "sie hatte Plastikverpackungen im Zug"!11elf!!. Wobei die "Kritiker*innen" ja nichtmal selbst Ökos sind ...

  • @KOMMENTARAUSDEMSÜDEN:

    Sie meinen, es sei wohl besser, wenn die Schweinerei von niemandem bemerkt vollbracht werden kann.

    Entweder leiden Sie unter einer wahrnehmungsverändernden Selbstgerechtigkeit, oder Sie sind aktiv ein Troll.

    Gehts noch.

    • @tomás zerolo:

      Hoppla, wem bin ich den hier auf die Füße getreten. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass man für die in diesem Artikel formulierten Erkenntnisse nicht fast jedes Jahr selbst in die Antarktis fahren muss. Über den Klimawandel in der Antarktis gibt es genug seriöse Studien und Dokumentationen, die man zu Hause lesen und für Kampagnen auswerten kann.

      • @KommentarausdemSüden:

        Und woher bekommen Sie die Studien - von den Mitgliedern des Antarktisvertrags?



        Zudem wissen Sie nicht, wie genau sie dorthin reist.

        • @Grauton:

          Jup. Weil mit Masse sind da unten nunmal Wissenschaftler.



          Es ist ganz einfach: muss ab und zu mal einer runter um zu sehen dass das was wir berichtet bekommen stimmt? Auf jeden Fall!



          Muss Carola und Konsorten jedes Jahr runter? Nope, absolut nicht.

          Konsorten meine ich gar nicht mal abwertend, aber die gleichen die tagtäglich klagen und verbieten wollen, nehmen ungefragt für sich das Recht heraus, dass sie eine Sonderstellung haben und das nicht nur alles machen dürfen, sie übertreiben es auch maßlos.

          Carola alleine hat einen CO2 Abdruck, den ich in meinem Leben nie erreichen werde.



          Das gleiche gilt für Frau Neubauer, von einem John Kerry möchte ich gar nicht erst reden.

          Oder anders ausgedrückt: Wasser predigen und Wein trinken.

          • @Beowulf:

            Carola Rackete ist von Beruf Nautische Offizierin und war beruflich unter Anderem mit der Polarstern und der Meteor (zwei Forschungsschiffen, falls Sie davon noch nie was gehört haben sollten) in der Antarktis.



            Das ist schon was Anderes als das, was vermögende Touristinnen zuhauf dort tun.

            Aber ich fürchte es geht Ihnen auch in erster Linie darum, von den Fakten, die wir inzwischen alle kennen abzulenken und lieber diejenigen, die sie uns immer wieder verzweifelt versuchen nahezubringen, zu verunglimpfen.



            Und es ist sicherlich auch kein Zufall, dass Sie da gerade junge und qualifizierte Frauen versuchen herabzuwürdigen.



            Wovor haben Sie solche Angst?

            • @Life is Life:

              In einem Beitrag über Frau Rackete, eben diese zu erwähnen finde ich logisch und nicht besonders.

              Bleibt noch Frau Neubauer, die in den Kommentaren schon erwähnt wurde, weil sie sich nicht an das hält, was sie selbst von anderen verlangt. Ergo kommt von mir nur John Kerry (Der mit mehreren Privatjets, zig Villen und Yachten) Der auch mal ganz gerne Pressewirksam in die Arktis reist.



              Finden Sie immer noch ich ich ziele auf "junge Frauen" ab?



              Die einzige Person die von mir neu ins Rennen geworfen wurde, war ein Mann..



              Und wie würdige ich sie bitte herab?



              Weil ich auf Fakten hinweise?



              Denn der entscheidende Punkt ist, ich will da weder vermögende Touristen noch Öko Touristen haben.



              Zitat Carola Rackete: "Ich bin hier um zu zeigen, welche Meeresgebiete besonders schützenwert sind."



              Im Auftrag von Greenpeace...



              Dafür muss sie, ebenso wie ein Anton Hofreiter nicht ständig da runter.



              Und nur weil man dann krampfhaft versucht jede Reise irgendwie mit ner Forschung zu verbinden, wirds halt auch nicht besser.

              Ab und an muss mal einer da runter.



              ABER und das ist die Kernaussage meines Kommentars, jedes Jahr zig Touren nur um tolle Presse Bilder zu haben ist absolut unnötig.

              Aber sie können mir ja gerne darlegen, wo ich versuche von Fakten abzulenken, oder wo ich irgendjemanden herabwürdige.

              Ihren letzten Punkt verstehe ich allerdings Null. Wovor sollte ich Angst haben?



              Vor qualifizierten Frauen?



              Das ich nicht in die Antarktis fliegen kann?

              Ich schlage vor, sie Atmen noch mal tief durch und versuchen kommentare neutral zu lesen und nicht mit nem Bias.



              Sie und ich haben nämlich in einem Punkt die gleiche Meinung. Unnötige Emissionen müssen vermieden werden.



              Mir ist halt egal ob Shell oder Carola CO2 verursacht. Unnötig ist unnötig.

        • @Grauton:

          Na dann, hoffen wir einfach mal dass sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln dahin gereist ist... alles andere wäre eine Klimaschweinerei ;)

  • "Seit 2011 war sie acht Mal mit Forschungsschiffen und Umwelt­schützer*­innen in der Antarktis."



    Bei aller Sympathie für Carola Rackete, aber machen sich Umweltschützer*innen auch klar, welchen CO2-Fußabdruck sie durch 8 Reisen in die Antarktis verursachen? Für die Erkenntnisse zum Klimawandel in der Antarktis muss man nicht jedes Jahr dort hinfliegen und -fahren.

    • @KommentarausdemSüden:

      Touristen sind immer die anderen, man selbst ist Reisender. ;-)

    • @KommentarausdemSüden:

      Vielen Dank für Ihren Kommentar!



      Ging mir auch vor den Kopf. Generell zeigt Frau Rackete eine sehr freudige Reisetätigkeit. Glaube um die Jahreswende 19/20 wünschte sie noch allen ein frohes neues Jahr und mahnte vor Klimaerwärmung..... von einem Schiff vor der Küste Patagoniens aus!

      Ähnlich verhält es sich mit Frau Neubauer.... dem Flugverkehr prangert sie an war im selben Jahr aber unter anderem in Kanada, Thailand, den USA und vielen anderen schönen Gegenden auf unserem Globus. Sei alle gegönnt! Aber dann bitte nicht aus dem Fenster lehnen. CO2 für die "gute" Sache ist auch C02. Oder dürfen dann nur noch "Aktivisten" zu ihren Konferenzen und Protesten reisen? Übrigens auch alles Digital möglich ;-)

      • @Alfred Sauer:

        Man kann es nicht besser formulieren.

      • @Alfred Sauer:

        Die Aussperrung "normaler" Menschen sieht man auch bei uns in Natura2000-Gebieten. Da dürfen dann nur noch Mitglieder von Naturschutzverbänden rein, die diese Gebiete "bewirtschaften".