CO2 und fossile Energien: Klimawissen systematisch ignoriert
Exxon und Shell wussten um die Klimaschädlichkeit von fossilen Energieträgern. Doch auch ein anderer wichtiger Akteur hätte handeln können.
Empfohlener externer Inhalt
Unter Vorsitz der Grünen hatte der Ausschuss für Forschung und Technologie des Bundestags Anfang der achtziger Jahre eine „Studie über die Auswirkungen von Kohlendioxidemissionen auf das Klima“ in Auftrag gegebenen. Wissenschaftler vom Institut für Atmosphärische Chemie an der Kernforschungsanlage Jülich und der Forschungsstelle für Angewandte Klimatologie und Umweltstudien der Universität Münster hatten sie durchgeführt.
Der Abschlussbericht wurde im November 1983 in der Schriftenreihe „Berichte der Kernforschungsanlage Jülich“ herausgegeben und an die Auftraggeber ausgehändigt. Wörtlich heißt es darin: „Soll eine drohende Klimakatastrophe mit Sicherheit verhindert werden, so müssen die notwendigen Schritte sofort und unverzüglich eingeleitet werden.“
Die Frage, wer wann etwas wusste, ist Anfang des Jahres in den Fokus geraten. Da belegte eine im Magazin Science veröffentlichte Studie, dass beim US-Mineralölkonzern Exxon arbeitende Wissenschaftler*innen seit den 1970er Jahren erstaunlich genaue Vorhersagen über den Klimawandel getroffen hatten. Doch in der Folgezeit widersprach das Unternehmen in seinen öffentlichen Äußerungen den eigenen Daten. Die Erderwärmung wurde angezweifelt, die Klimamodelle wurden als Spekulation schlechtgeredet.
Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte in Harvard und Co-Autorin der Studie, befasst sich schon seit Jahren mit der Historie von Exxon. Sie spricht mit Blick auf ExxonMobils Desinformation von „Heuchelei“. Und Exxon ist kein Einzelfall. Auch Shell hatte ab 1988 Ergebnisse ähnlicher eigener Studien geheim gehalten.
Präzise Vorhersagen
Viele der heutigen Kernaussagen der Klimawissenschaft sind auch in der Jülicher Studie von 1983 zu finden. Die genannten Folgen der Klimaerhitzung lesen sich wie die Vorwegnahme der heutigen Katastrophenmeldungen: Änderung von atmosphärischer und ozeanischer Zirkulation, „Verlagerung der Klimaregionen“, stärkere Erwärmung der Arktis, „Anstieg des Meeresspiegels“, „extreme Wettersituationen“, Überschwemmungen, Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung bis hin zu „globalen Verteilungskämpfen“.
Es wurden Prozesse vorhergesagt, die Klimawissenschaftler heute tatsächlich beobachten und messen: die Destabilisierung des westantarktischen Eisschildes und die dramatische Abnahme des Meereises im Arktischen Ozean.
„Wir wussten in den 80er Jahren schon alles. Die Klimamodelle waren nicht so genau wie heute, aber wir wussten, was CO2-Emissionen bewirken und welche Auswirkungen die Klimaerwärmung hat“, sagt Andreas Volz-Thomas. Der inzwischen pensionierte Atmosphären- und Klimaforscher ist einer der Hauptautoren der Studie. Aus der Analyse von Wetterdaten sei sogar schon zu erkennen gewesen, dass Temperaturveränderungen im Wettersystem vermehrt Extremwetterereignisse erzeugen würde.
Mit Blick auf die „potentielle Gefahr durch CO2“ heißt es in der Studie von 1983, dass anpassungsfähige Energiesysteme entwickelt werden müssten, die es erlauben, „technische Neuerungen zum Ersatz von Kohle etc. möglichst rasch und ohne großen Kostenaufwand einzuführen“. Denn klar sei, dass eine einmal installierte Kapazität an ausschließlich fossil ausgerichteten Anlagen nur nach Jahrzehnten wieder abgebaut werden würde.
Papier war nicht geheim
Die Autoren benennen sogar schon die hohen Kosten einer CO2-Entfernung aus der Atmosphäre sowie das Problem der Endlagerung. Und vorausschauend wird dargelegt, dass die Nutzung von Pflanzen als Kohlenstoffspeicher wegen des Anbauflächenbedarfs „in Konkurrenz zur Ernährungssicherung“ steht.
Inhaltlich kam die Jülicher Studie zu den gleichen Ergebnissen wie die Exxon-Untersuchungen. Anders als die Erkenntnisse des Ölkonzerns wurde das Jülicher Papier nicht geheim gehalten. Es gehört zum Bestand der Präsenzbibliothek des Deutschen Bundestags, ist für Parlaments- und Regierungsmitglieder frei zugänglich. Und über Jahre wurde es durch weitere, präzisere Forschungsergebnisse ergänzt, die den Handlungsbedarf umso dringlicher gemacht haben.
Gleichwohl kommt der Studie von 1983 herausragende Bedeutung zu. Sie zeigte vielschichtig mögliche Handlungsalternativen – zu einem Zeitpunkt, zu dem das Konglomerat der Krisen, die heute das Leben der Menschen belasten, leicht hätte vermieden werden können.
Energieeffizientere Technologien ersetzen die alten
„Im gesamten Autorenteam waren wir uns einig, dass wir Handlungsalternativen zeigen müssen. Und dass wir das alles so einfach formulieren müssen, dass es auch Politiker verstehen“, sagt Volz-Thomas. Für die damalige Zeit seien Aufbau und Sprachgebrauch der Studie unüblich gewesen. Heute, in den IPCC-Berichten, ist das Standard.
Die Studie von 1983 betrachtet auch die Entwicklung des Energieverbrauchs und stellt verschiedene Szenarien und Projektionen gegenüber. Darunter ist ein konsequentes Effizienzszenario von 1981, das vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben worden war („Energy Strategy for Low Climate Risks“). Es setzt darauf, dass energieeffizientere Technologien die alten, weniger konkurrenzfähigen Technologien ersetzen – auch im Energiesektor.
Das Szenario betrachtet die Entwicklung bis 2030 und kommt zu dem Ergebnis, dass in jenem Jahr über 80 Prozent des Energiebedarfs „ohne allzu große Schwierigkeiten durch das relativ hohe Potential regenerativer Energiequellen gedeckt werden kann“. Das sei sogar global und mit Einrechnung des Nachholbedarfs der Entwicklungsländer möglich.
Bundestag missachtet das Wissen
Der Bundestag und die damals amtierende sowie die nachfolgenden Bundesregierungen haben das in der Studie zusammengetragene Wissen und die darauf gestützten Empfehlungen missachtet. Klimaschutz taucht zwar seit 1990 in Form von Absichtserklärungen auf – doch die wurden regelmäßig ausgeblendet, wenn sie den Entwicklungspfad der fossilen Energiewirtschaft hätten beeinträchtigen können.
Davor hatten die Autoren der Studie schon vorsorglich gewarnt, denn „eine Entscheidung zugunsten fossiler Brennstoffe legt den CO2-Ausstoß für viele Jahrzehnte fest“.
Eine Recherche im Archiv des Deutschen Bundestags offenbart, dass in der Zeit nach Überreichung der Studie zahlreiche Anträge, Beschlussempfehlungen und Entschließungen zugunsten der fossilen Energieträger folgten. Unter anderem nahm die Politik sich vor, dass mehr Kohle im Energiesektor verbraucht wird – ein Verhalten, das sich nicht von Exxons und Shells Betrug an der Menschheit unterscheidet.
Studie wurde trotz Deutlichkeit ignoriert
„Ich habe nicht verstanden, dass unsere Studie nicht verwendet wurde. Es ist nichts passiert mit dem Papier“, sagt Volz-Thomas. „Furchtbar schade“ sei das. Und auch die Studien, die später folgten und immer genauer wurden, seien folgenlos geblieben.
Daran änderte sich auch nichts, als ab 1994 Umwelt- und Tierschutz ins Grundgesetz kamen. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wurde damals als Staatsziel in Artikel 20a GG formuliert. Die Studie über die Auswirkungen von CO2 in der Atmosphäre aber wurde trotz ihrer Deutlichkeit weiterhin ignoriert.
Seit 1983 sind in Deutschland 68 Kohlekraftwerke mit jeweils mehr als 100 MW Leistung neu gebaut, um zusätzliche Blöcke erweitert oder modernisiert worden. Rechnet man die Gas- und Ölkraftwerke hinzu, sind es insgesamt 144. Das Umweltbundesamt veröffentlicht Emissionsdaten ab 1990. Demnach haben diese fossilen Kraftwerke seit 1990 über 12 Gt CO2-Emissionen verursacht. Hinzu kommen andere Treibhausgas-, Schwermetall- und Feinstaubemissionen. Die in der Studie von 1983 angesprochenen regenerativen Alternativen wurden hingegen immer wieder in ihrer Verbreitung und Anwendung behindert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann