CDU-Spitzenkandidat im Interview: „Radikalität hilft nie“
Der Hamburger CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg über Frauen in der Partei, den Kampf gegen den Klimawandel und heimliche Bürgermeister-Träume.
taz: Herr Weinberg, Sie sind der erste Nicht-Bürgermeister-Kandidat der Hamburger CDU. Wie gehen Sie mit dieser Degradierung um?
Marcus Weinberg: Ich fühle mich als Spitzenkandidat gut. Und jeder Spitzenkandidat der CDU ist auch immer Bürgermeisterkandidat.
Aber die Hamburger CDU traut sich nicht, das so zu nennen.
Ich glaube, die Hamburger mögen den politischen Realismus. Und mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse liegt die heutige Betonung bei „Spitzenkandidat“. Nach der Wahl freue ich mich aber auch, wenn Sie mich als Bürgermeister begrüßen.
Oder als Oppositionsführer?
Warten wir es ab. Entscheidend ist: Ich bin heute der Spitzenkandidat der CDU. Aber klar ist auch, dass ich damit auch das Bürgermeisteramt anstrebe. Das eine schließt das andere nicht aus.
52, seit März designierter Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020. Der Lehrer hat ein Kind, das zweite ist unterwegs. Seit 2005 ist Weinberg Bundestagsabgeordneter, zuvor war er vier Jahre Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft. Von 2011 bis 2015 war er Vorsitzender der Hamburger CDU.
Sind sie das liberale Feigenblatt der Hamburger CDU?
Die Volkspartei CDU zeichnet sich durch verschiedene Strömungen von liberal über christlich-sozial bis konservativ aus. Und manch einer bei uns steht stärker für die eine oder die andere Ausrichtung. Ich stehe eher für das Liberale und Christlich-Soziale.
Die Wähler wollen aber wissen, welches Profil die Partei hat, die sie wählen.
Man kann klar erkennen, welche grundsätzlichen Haltungen und Werte die Hamburger CDU vertritt: Zusammenhalt, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Nicht jede kleinere Diskussion zwischen Flügeln muss als Richtungsstreit angesehen werden. Wir diskutieren Dinge auch mal kontrovers und offen, das wird von der Öffentlichkeit ja auch immer gefordert. Wichtig ist, was uns und die Stadt zusammenbringt, und das kann in der einen Frage mal eine liberale Position sein, bei einer anderen Frage mal eine christlich-soziale oder eine konservative Position sein.
Und wenn Sie scheitern, schlachten die Hardliner in der Partei Sie erneut wie 2015 schon mal?
Ich wurde nicht geschlachtet, sondern habe selbstbestimmt meinen Rücktritt als Landesvorsitzender erklärt, frei und aus eigenen Stücken. Für mich ist es ein normaler Vorgang, dass man nach einem Wahlergebnis, das man in einer besonderen Funktion auch mit zu verantworten hat, auch die Verantwortung übernimmt und Haltung zeigt. Wenige Monate später bin ich für die Liste der CDU für die Bundestagswahl auf Platz 1 gewählt worden. Es gibt also grundsätzlich eine hohe Akzeptanz meiner Arbeit und auch meiner Person. Und das sieht man ja auch daran, dass ich jetzt als Spitzenkandidat nominiert wurde.
Sie sprachen von offenen Diskussionen in der Partei. Die gibt es – wenn man es nicht Streit nennen möchte – seit Jahren über den Frauenanteil in der Partei. Bleibt die Hamburger CDU ein Männerverein?
Nein. Richtig ist, dass wir zu wenige Frauen in Führungspositionen haben. Wenn man Frauen in Spitzenpositionen beteiligen will, muss man dafür auch eine klare innere Haltung haben. Diese habe ich. Es gut und richtig, endlich die Beteiligung von Frauen durchzusetzen. Und es ist in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit.
Muss Mann Frau beteiligen?
Frauen müssen beteiligt sein, nicht Mann muss sie beteiligen. Diese Formulierung wäre ja wieder eine Hierarchisierung. Es ist eine Selbstverständlichkeit für mich, dass wir gleiche Chancen haben zwischen Männern und Frauen. Aber in Hamburg haben wir dieses nicht erreicht und damit bin ich unzufrieden. Deshalb werde ich mir diese Sache zu eigen machen.
Und wie? Bei der kommenden Wahl sind in 17 Wahlkreisen nur drei Frauen auf dem ersten Listenplatz.
Da werden wir nachsteuern. Auf der Landesliste wird der Frauenanteil sehr hoch sein. Wenn es nach mir geht, werden die ersten zehn Plätze jeweils zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt.
Die CDU wird ihre Plätze aber vermutlich über die Wahlkreise bekommen, da kommt die Landesliste gar nicht zum Zug.
Die Entscheidungen in den Wahlkreisen sind Basisentscheidungen. Eingriffe von oben sind da zu Recht unerwünscht. Oder wollen Sie etwa demokratische Basisentscheidungen einschränken?
Sie sind selbst als Landesvorsitzender vor Jahren mit dem Antrag auf eine Frauenquote gescheitert. Was ist in Ihrer Partei denn eigentlich möglich?
In meinen Kreisverband Altona habe ich mit dafür gesorgt, dass wir in drei der sieben Bezirkswahlkreise auf Platz eins eine Frau haben. Für die Bürgerschaftswahl haben wir in Altona eine Frau und einen Mann jeweils auf Platz 1. Und ich werde auch dafür kämpfen, dass wir die 50-Prozent-Regelung an der Spitze der Landesliste erfüllen.
Ein Paritätsgesetz geht Ihnen aber zu weit?
Da wird das Prinzip der freien Wahl unter Umständen eingeschränkt. Die Frage ist, inwieweit man Einfluss auf freiheitliche Entscheidungen der Basis nehmen darf. Ich erkenne die Defizite bei der Beteiligung von Frauen, aber auch von einigen soziologischen Gruppen. Aber darf man über verpflichtende Vorgaben auch Freiheiten der Auswahl einschränken und damit andere Kandidaten in ihrer Freiheit der Kandidatur beschränken? Ich glaube, das geht am Kern vorbei und ist eine zu große Einschränkung der freien Wahl.
Der Kreisvorstand der Frauen Union Hamburg-Nord fordert die Einführung von Doppelspitzen ab der Landesebene, um mehr Frauen in diese Positionen zu bekommen. Kann dieser Vorschlag vielleicht Wunsch und Wirklichkeit vereinen?
Ich finde das erst einmal gut, wenn über solche Vorschläge diskutiert wird. Aber das ist jetzt momentan bis zur Bürgerschaftswahl nicht das Thema für mich. Wir werden danach darüber debattieren und darauf bin ich gespannt.
Die CDU hat neulich das Klima-Thema entdeckt. Wollen Sie Ihren jahrzehntelangen Kampf gegen die Schöpfung aufgeben?
Richtig ist, dass die CDU das Thema Klima und Umwelt, also anders formuliert die Schöpfung zu bewahren, schon seit vielen Jahrzehnten und früher als andere auf der Agenda hatte. Auch in der jetzigen Diskussion nimmt Deutschland unter der CDU eine führende Rolle ein. Angela Merkel hat als Umweltministerin das Kyoto-Protokoll und als Bundeskanzlerin das Pariser-Abkommen führend angetrieben und unterzeichnet.
Trotzdem gilt die CDU seit Jahren als die Partei der Auto-, Kohle- und Atomindustrie.
Wie unsere Position dargestellt wird, können wir ja nur begrenzt beeinflussen. Richtig ist aber, dass wir uns nicht so radikal mit einem Thema beschäftigen wie andere Parteien. Radikalität hilft nie. Richtig ist aber auch, dass das Thema Klima jetzt eine ganz neue Diskussionsebene erreicht hat. Da haben wir als CDU vieles verschlafen.
Hamburgs Landesvorsitzender Roland Heintze forderte Ende Juni, die CDU müsse beim Klima „auch mal eine steile These wagen“ – wir hören gespannt.
Gerne. Ich möchte beim Thema Bekämpfung des Klimawandels einen Schwerpunkt setzen. Ich bin Mitverfasser eines Papieres von 16 CDU/CSU-Abgeordneten, welches eine CO2-Bepreisung fordert. Wir müssen es schaffen, bis 2050 die Emissionen von CO2 auf Null zu reduzieren. Dabei muss natürlich das Thema sozialer Ausgleich eine Rolle spielen. Es dürfen nicht die belastet werden, die zusätzliche Kosten nicht tragen können. Und es muss gewährleistet sein, dass viele betroffene Branchen der mittelständischen Wirtschaft geschützt werden. Aber: Wir müssen CO2 endlich bepreisen. Wir brauchen einen Mix aus Fest- und Marktpreis. Bei einem ausschließlichen Festpreis könnte man nicht steuern, dass der CO2 Ausstoß auch wirklich reduziert wird. Wir müssen deshalb Festpreis und Marktpreis zusammenbringen. Und mit einer CO2-Bepreisung wird man die gesamten Steuern und Umlagen zusammenlegen und vereinfachen können.
Die Kieler Klimaforscherin Friederike Otto forderte vor wenigen Tagen im taz-Interview, jede Stadt müsse bei jeder Entscheidung den verbindlichen Klimacheck machen – alles müsse der CO2-Neutralität diesen. Sinnvoll? Machbar?
Ich glaube, dass eine Stadtgesellschaft den CO2 Ausstoß nachhaltig reduzieren muss. Das muss klug, nachhaltig und akzeptabel sein. Nicht akzeptabel sind Fahrverbote wie in der Stresemannstraße, in deren Folge die wegen ihrer Umweltbelastung betroffenen Autos einfach einen 1,6 Kilometer langen Umweg fahren können. Damit ist umwelttechnisch und mobilitätstechnisch nichts gewonnen.
Dann sollte man dafür sorgen, dass die Autohersteller ihre Dieselstinker zurücknehmen und die Käufer entschädigen, die sie betrogen haben.
Ich denke eher darüber nach, wie man es in der Stadt schafft, dass die Menschen, die noch kein Auto haben, auch keines brauchen. Weniger Autos in der Stadt zu haben ist das Thema.
Anderes Thema: Der Hamburger Verfassungsschutz setzt jetzt eine Spezialeinheit zur Beobachtung von Rechtsextremisten ein. Ein bisschen spät oder?
Zunächst einmal eine gute Entscheidung, aber tatsächlich spät. Ich merke, dass die politische Radikalität in der Stadt zugenommen hat. Das sehen wir auch daran, dass zuletzt das Haus der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank mit Farbbeuteln attackiert wurde. Wir haben den grausamen Mord an Walter Lübcke und den Vorfall mit dem Rabbiner hier am Rathaus. Wir erleben teilweise ein mehr und mehr vergiftetes politisches Klima und täten gut daran, den Umgang miteinander wieder in einer angebrachten politischen Umgangskultur zu gestalten. Und dazu gehört, dass wir rechte Tendenzen beobachten und gegen Rechtsextremismus massiv vorgehen. Aber das heißt auch, dass wir auch linke Gewalt und religiösem Extremismus bekämpfen. Deshalb wird es auch für mich ein Anliegen sein, dieser „neuen Radikalität“ einen Aufschrei der demokratischen Kräfte der Mitte entgegen zu stellen.
Das Problem Rechtsextremismus ist nicht neu. Die Hintergründe der Ermordung von Süleyman Taşköprü sind immer noch nicht aufgeklärt. In Hamburg gibt es immer noch keinen NSU-Untersuchungsausschuss, auch weil die CDU ihn nicht wollte.
Ich weiß, dass das Thema nicht neu ist, und ich erinnere mich gut zum Beispiel an die Hamburger NPD-Szene Ende der 1970er Jahre. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist immer ein Thema. Aber das gilt für alle Formen von Extremismus, auch für linke Gewalt oder religiös begründete Gewalt. Auch die Vorkommnisse beim G20-Gipfel müssen in diesem Zusammenhang mit zu bewerten sein. Wir müssen beide Augen weit offen haben.
Aus Reihen der CDU ebben die Forderungen, die Rote Flora zu schließen, nicht ab. Warum sind sie dagegen?
Ich erwarte von der Roten Flora, wie übrigens von jeder Einrichtung in Hamburg, dass von ihr keine Gewalt ausgeht, dass man nicht zu Gewalttaten aufruft und Gewalt auch nicht toleriert. Also erwarte ich von der Roten Flora einen Gewaltverzicht. Wenn es Vorkommnisse oder Straftaten gibt, erwarte ich, dass die Rote Flora die staatlichen Stellen bei der Aufklärung unterstützt. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, dann wird man mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit überlegen, welche Folgen das haben muss. Das kann unter Umständen auch zu einer Forderung nach einer Räumung führen, wenn von der Roten Flora Gewalttaten ausgehen. Zum heutigen Zeitpunkt sehe ich aber keinen Anlass, die Forderung aufzustellen, die Rote Flora morgen zu räumen.
Bei den Europa- und Bezirkswahlen am 26. Mai ist die CDU in Hamburg ganz schön abgeschmiert: Nur noch 18 Prozent, nur noch dritte Kraft.
Wir haben massiv verloren und das hat zu denken gegeben. Wir müssen auch für uns kritisch überlegen: Wo stehen wir gesellschaftspolitisch und wie werden wir wahrgenommen? Gerade mit Blick auf die junge Generation müssen wir feststellen, dass wir nicht rechtzeitig und nicht gut genug darauf gehört haben, was die jungen Menschen uns sagen.
I hr Wahlziel für die Bürgerschaftswahl 2020: 18plusX?
Wir wollen einen Gestaltungsauftrag bekommen. Deswegen müssen wir inhaltlich und strategisch in der Stadt anschlussfähig sein. Was will die Stadt? Was muss uns leiten? Und wir müssen Regierungsfähigkeit zeigen.
In einer grün-schwarzen Koalition?
Ich sehe mich eher als die Prinzessin, um die alle werben. Auf eine Koalition lege ich mich nicht fest. Bei dieser Frage sind zwei Punkte wichtig: Zum einen die Weiterentwicklung der Stadt. Wir werden mit klaren Positionen bezüglich der Zukunftsthemen Wachstum, Versöhnung von Ökologie und Ökonomie und Zusammenhalt in den Wahlkampf gehen. Das Zweite ist die Frage, wie bei aller Unterschiedlichkeit man in den Fragen der Zukunft der Stadt einen gemeinsamen Geist einer Koalition entwickelt. Der aktuelle rot-grüne Senat teilt sich nur noch über Zeitungen mit, was man will und was nicht.
Aber einen CDU-Bürgermeister Weinberg wird es nicht geben?
Das ist eine These, die im Februar empirisch belegt werden muss.
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