Bundestagswahl 2025: Mehr gewollt und links verloren
Mit restriktiver Migrationspolitik und wenig Klima hat die Partei um Kanzlerkandidat Robert Habeck Wahlkampf gemacht. Mit überschaubarem Erfolg.

Rund 12 Prozent der Stimmen haben die Grünen laut Hochrechnungen erhalten. Das wäre an und für sich kein Desaster. Als einzige der drei Ampelparteien haben sie im Vergleich zur letzten Bundestagswahl (damals: 14,8 Prozent) nicht massiv an Stimmenanteilen verloren. Seit dem Regierungsbruch im Herbst haben sie sogar leicht an Zuspruch gewonnen: Damals waren sie in Umfragen knapp vor der Einstelligkeit. Es hätte schlimmer enden können.
Die eigenen Ansprüche waren aber andere, da hat Habeck recht: 2021 durfte die damalige Spitzenkandidatin Annalena Baerbock mit ihrem Ergebnis nicht Vizekanzlerin werden, sie musste den Platz an der Sonne an ihn abgeben. Dieses Mal trat er erklärtermaßen an, um „Bündniskanzler“ zu werden – wozu das jetzige Ergebnis offensichtlich auch nicht reicht. Der Kampf um die führende Rolle in der linken Mitte ist auch wieder verloren, trotz der historischen Schwäche der SPD kommen die Grünen nicht an sie heran.
Fast schon bizarr wirkt das Resultat sogar, wenn man es mit der Stimmung auf den Wahlveranstaltungen der Grünen vergleicht. Die Wahlkampagne, stark auf den Kandidaten Habeck zugeschnitten, sorgte unter den eigenen Anhänger*innen zwischenzeitlich für eine richtige Euphorie. Die Hallen waren überfüllt, die Mitgliedszahlen schossen nach oben. An der Wahlurne aber stößt die grüne Doppelstrategie – Kernwähler*innen halten und gleichzeitig in neue Milieus vorstoßen – in polarisierten Zeiten offenbar an Grenzen.
Am deutlichsten zeigte sich das an der Debatte rund um die gemeinsame Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag im Januar. Die Grünen kritisierten Friedrich Merz heftig für seine Abrissarbeiten an der Brandmauer und hofften auf einen Wendepunkt für den Wahlkampf.
Rechts blinken, links verlieren
Sehr schnell machten sie aber auch sehr klar: Nach der Wahl könnten sie sich eine schwarz-grüne Koalition trotz allem noch vorstellen. Einerseits aus staatspolitischer Verantwortung, damit das Land nicht unregierbar wird. Andererseits, weil sie nach nur drei Jahren in der Regierung wenig Lust auf Opposition verspüren und jenseits der Union keine Machtoption in Sicht ist.
Gleichzeitig veröffentlichte Habeck einen Zehnpunkteplan mit eigenen, vornehmlich restriktiven Vorschlägen zur Migrationspolitik. Gegenüber Wähler*innen aus der Mitte wollte er in dem Bereich nicht blank dastehen. Für Widerspruch sorgte das aber im linken Flügel der eigenen Partei, der in dem Papier liberale Akzente vermisste.
Im Ergebnis haben die Warnungen vor einem Rechtsruck unter Merz den Grünen nicht geholfen. Zugelegt hat im Anschluss nur die Linkspartei. In den letzten Wahlkampftagen reagierten die Grünen auch darauf: Sie adressierten nun linke Wechselwähler*innen, die sie ihn ihrer Kampagne zuvor kaum explizit angesprochen hatten. In Werbeclips und Wahlkampfreden hieß es von nun an, Stimmen für die Linken seien verschenkt, da diese nicht gewillt seien, Verantwortung zu übernehmen (sprich: mit Merz zu koalieren).
Geholfen hat es aber nicht mehr: Laut Daten, die Infratest Dimap für die ARD erhoben hat, haben die Grünen im Vergleich zu 2021 mehr als 600.000 Stimmen an die Linken verloren – so viel wie an keine andere Partei. Unter Unions-Wähler*innen, auf die es Habeck abgesehen hatte, konnte die Partei gleichzeitig aber auch nicht punkten.
Habeck konnte nicht anders
In seiner ersten Analyse auf der Wahlparty spricht Habeck selbst davon, dass die grüne Rolle in der Brandmauer-Debatte ein Problem war. Wendepunkt ja, aber in die falsche Richtung: Bis Mitte Januar habe der Trend für die Grünen gut ausgesehen. „Dann haben viele Leute gesagt: So nicht, nicht Friedrich Merz und nicht regieren mit der Union.“ Die Linkspartei hätte dieses Versprechen leicht abgeben können, den Grünen sei dieser Weg aber „versperrt“ gewesen. Beziehungsweise: „Der Weg wäre zumindest für mich nicht möglich gewesen.“
Das stimmt wohl: Eine Koalition ausschließen, freiwillig in die Opposition gehen – das hätte allem widersprochen, wofür Robert Habeck als Politiker steht.
Allerdings gab es für die Grünen in diesem Wahlkampf auch noch andere Probleme. Schwer taten sie sich zum Beispiel damit, neben der Migrationsdebatte noch eigene Themen zu setzen. Zuletzt schlugen sie deswegen auch vermehrt medienkritische Töne an: In den Talkshows sei es zu selten um die Themen gegangen, die die Menschen tatsächlich interessierten, hieß es auch von Habeck.
Eigene Themen drangen nicht durch
Unter anderem drangen die Grünen mit ihren Vorschlägen zur Klimapolitik schlecht durch. Auch bei ihren Forderungen zur sozialen Gerechtigkeit lief es nicht optimal. Programmatisch lag hier eigentlich ein Schwerpunkt der Kampagne. Habeck sagte vor der Wahl zur taz, das Thema sei ihm ebenso wichtig wie der Klimaschutz. Dem Vorurteil, nur Gutverdienende könnten es sich leisten, die Grünen zu wählen, wollte die Partei nach den Krisen- und Inflationsjahren etwas entgegensetzen.
Breit wahrgenommen wurde das aber nur einmal: Als Habeck in einem ARD-Interview die Forderung aus dem Wahlprogramm wiedergab, dass auch auf Zinsen und Dividenden Abgaben für die Krankenversicherungen fällig werden sollten. Dass es ihnen dabei nur um die Kapitalerträge der Reichen geht, stellten die Grünen allerdings erst spät klar.
Medial setze sich daher etwas anderes fest: Mit den Grünen wird es für alle teuer. Und als Infratest Dimap am Wahltag nachfragte, welcher Partei die Menschen am ehesten zutrauen, für Soziale Gerechtigkeit zu sorgen, landeten die Grünen abgeschlagen auf dem letzten Platz. Mit 6 Prozent, noch ein Prozentpunkt weniger als bei der letzten Wahl.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
FDP-Chef Lindner verabschiedet sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“